China will „nicht wie Europa sein“

16. November 2022

COP27. Der Klimagipfel biegt ab in Richtung Verlängerung. Einigkeit gibt es fast nirgendwo. Selbst der rechtzeitige Abschied von den Fossilen ist alles andere als sicher.

Sharm El-Sheikh. Eine sechsspurige Autobahn führt die Teilnehmer zum 27. Klimagipfel im ägyptischen Sharm El-Sheikh. Im Minutentakt rollen hier Taxis und Busse voll von Politikern, Aktivisten und Lobbyisten vorbei an sattgrün bewässerten Golfressorts inmitten der kargen Landschaft in Richtung Kongresszentrum. Von einem baldigen Abschied von Kohle, Öl und Gas ist hier nichts zu bemerken. Auf dem Gelände demonstriert eine Handvoll Aktivisten vor den Tagungshallen gegen neue Öl- und Gasprojekte in Afrika. Doch in den Konferenzsälen selbst ist das Schicksal der Fossilen wenige Tage vor dem geplanten Abschluss der Klimakonferenz so offen wie auf den Straßen vor dem Tagungsort.

Die politischen Signale sind gemischt: Immerhin, die USA und China wollen wieder miteinander über Klimaschutz reden. Und der frisch gewählte Präsident, Lula, verspricht eine klimapolitische Kehrtwende in Brasilien, die dem Amazonas eine bitter notwendige Atempause verschaffen könnte. Viel mehr als ein zweiseitiges Papier mit Überschriften halten die Delegierten als Basis für ihre Verhandlungen aber noch nicht in Händen. So ist weiter unklar, ob die reichen Nationen dem von den Entwicklungsländern geforderten Finanztopf für Klimawandelschäden (Loss and Damage) zustimmen werden. Über Kohle, Öl und Gas wird im ersten Entwurf noch kein Wort verloren. Es gebe noch „viele Leerstellen“, bestätigt Österreichs Klimaschutzministerin, Leonore Gewessler, die vor Ort für die EU verhandelt.

Europa in ungewohnter Rolle

Europa findet sich bei dieser COP in einer ungewohnten Rolle wider. Jahrelang verstand sich der Kontinent als grünen Tempomacher der Welt. Doch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat den Umbau des europäischen Energiesystems empfindlich gestört. Viele europäische Staaten mussten als Ersatz für russische Gaslieferungen mehr Kohle verbrennen. Europa buhlt um neue Gaslieferanten in Afrika, dem Nahen Osten und in den USA, baut Flüssiggas-Terminals und Pipelines und droht sich damit auf Jahrzehnte an die fossile Infrastruktur zu binden. „Es geht um die Interessen Europas“, kritisiert die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate. „Nicht um jene der Menschen in Afrika.“

Am Dienstag nutzte EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans die Bühne am Klimagipfel, um zu versichern, dass die Rückkehr der Fossilen in Europa nur ein kurzfristiges Intermezzo sei. Die EU habe schon bisher die ambitionierteste Klimapolitik gemacht, zuletzt etwa mit dem Aus für Verbrenner ab 2035. Und daran werde sich nichts ändern. So werde die Union ihre Reduktionsziele im nächsten Jahr von minus 55 auf minus 57 Prozent erhöhen, verkündete er. „Lassen Sie sich von niemandem erzählen, dass wir zurückweichen.“

Zumindest was den Ausstieg aus der Kohle betrifft, geben ihm die Daten recht: Trotz des zwischenzeitlichen Comebacks des klimaschädlichsten Brennstoffs in Deutschland und Großbritannien seien EU- und OECD-Staaten auf Kurs, bis 2030 drei Viertel ihrer Kohlekraftwerke zu schließen, heißt es in einem Bericht der Powering Past Coal Alliance.
Ganz anders sei das Bild in China, dem aktuell weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen. Zwei Drittel der geplanten neuen Kohlekraftwerke sollen in der Volksrepublik entstehen. Chinas Klimagesandter Xei Zhenhua stellte klar, dass sein Land die Kohlekraftwerke auch in Zukunft brauchen werde, um das Stromnetz stabil zu halten.
Noch deutlicher wurde Li Zheng, Uniprofessor und Klimaberater Pekings: „Wir brauchen eine Energiewende, die sicher ist, damit sie auch bestehen kann“, sagte er. Erst müssten Erneuerbare bereit sein, die Last zu tragen, bevor man bisherige Stützen aus dem System nehmen könne. „Wir wollen nicht wie Europa sein und uns auf Kosten der Versorgungssicherheit verändern.“

Die Presse