Haben sie sich etwas überlegt?

23. November 2022

Energie. Viele Haushalte dürften Hilfe bei der Gasrechnung brauchen. Aber bald ist Advent. Worauf wartet die Regierung eigentlich?

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner trifft mit ihren energieökonomischen Einschätzungen nicht sehr oft den Nagel auf den Kopf. Daher scheint sie sich nun bedenkenlos auf andere zu verlassen. Erst diese Woche forderte sie im Parlament eine Gaspreisbremse nach deutschem Vorbild. „Die werden sich doch etwas dabei überlegt haben“, zeigte sie sich überzeugt.

Doch haben sie? Immerhin haben sie anerkannte Fachleute in einen Raum gesperrt und erst wieder freigelassen, als sie tief in der Nacht weißen Rauch aufsteigen ließen. Nun ist zwar kein Konzept zu gut, um nicht im politischen Prozess zerrieben zu werden — die Ampelkoalition arbeitet bereits daran —, aber manches mag durchaus für das deutsche Modell sprechen. Die Idee: Jeder Haushalt bekommt im Dezember einen pauschalen Abschlag und zahlt danach für achtzig Prozent des geschätzten Jahresverbrauchs nur noch zwölf Cent je Kilowattstunde.

Klingt ein bisschen wie unsere Strompreisbremse, oder? Nein. Ein bisschen charmanter ist die Lösung schon: Erstens, sie ist nicht datenhungrig. Alles, was sie braucht, ist eine Gasrechnung. Zweitens, sie enthält Sparanreize. Anders als der Name vermuten lässt, bremst die Gaspreisbremse nämlich keineswegs den Gaspreis. Die Haushalte bekommen lediglich vorab einen fixen Geldbetrag überwiesen, der in keinem Zusammenhang mit ihrem tatsächlichen Verbrauch im kommenden Jahr steht. Drittens, das Konzept spart Kosten, da der erhaltene Zuschuss versteuert werden muss. Außerdem ist er nach oben begrenzt, falls jemand auf die Idee kommen sollte, seinen Pool auf Kosten der Allgemeinheit zu beheizen.

Von nächtlichen Expertenrunden ist hierzulande leider nichts bekannt. Zu befürchten steht, dass es ein Abklatsch der völlig missratenen Strompreisbremse sein wird. Dann werden sich Familien wohl warme Gedanken machen müssen, während Singlehaushalte heiße Tropenpartys feiern und die Energieunternehmen die erlaubten Höchstpreise kassieren. Und Niederösterreich gibt dann noch etwas dazu, weil die ÖVP dort im Jänner als „Niederösterreich Partei“ trotz allem wiedergewählt werden möchte.

Der deutsche Vorschlag ist im Vergleich dazu nicht ganz verkehrt, da er knallhart das Sparmotiv in den Vordergrund stellt. Auch für die Industrie, die er mit der „Winterschlafprämie“ sogar lieber in die Rezession schicken würde, als eine unkontrollierte Gasmangellage zu riskieren.

Sparanreize gibt es genug

Aber das ist natürlich nicht der Grund, aus dem Rendi-Wagner das Konzept gut findet. Sie mag den Dezemberabschlag und hält die Idee insgesamt vermutlich sogar für sozial. Aber ist sie das ernsthaft? Ein Haushalt, der sich das Heizen nicht mehr leisten kann, braucht umfassende staatliche Hilfe. Sparanreize hat er schon genug. Aber alle anderen Haushalte brauchen eben keine Hilfe. Gerade die SPÖ sollte in der Krise nicht vergessen, wie der Sozialstaat funktioniert. Er soll nicht für jeden zu achtzig Prozent da sein, sondern zu hundert Prozent für alle, die ihn brauchen. Natürlich brauchen ihn in der Krise mehr als in normalen Zeiten. Aber wann sind wir eigentlich auf die Idee gekommen, dass der Staat der breiten Mittelschicht, die den Sommerurlaub für nächstes Jahr schon gebucht hat, die Heizrechnung zu bezahlen hat? Was ist geworden aus der großen gemeinsamen Kraftanstrengung, die wir als freie Gesellschaft der russischen Aggression entgegensetzen wollten? Und woher, glauben wir, kommt das Geld für die Gaspreisbremse, wenn nicht von uns selbst?

Fragen über Fragen. Vielleicht sollten auch wir uns langsam einmal etwas dazu überlegen.
Jan Kluge ist Ökonom bei der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria.
E-Mails an: debatte@diepresse.com

von Jan Kluge

Die Presse

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