Energiemarkt auf dem Weg zurück zur Staatswirtschaft

28. November 2022

Gastkommentar

Für ein System mit regulierten Strom- und Gaspreisen ist der Staat nicht gerüstet.

Es ist nun knapp ein Jahr her, dass die größte Energiekrise seit dem Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Seither sucht die Politik ein Gegenmittel gegen die explodierenden Preise. Zuletzt schien eine Entspannung in Sicht, als die kurzfristigen Preise an den Strom- und Gasmärkten aufgrund der hohen Speicherstände deutlich gesunken sind. Die Preise für die kommenden Jahre an den Terminmärkten sind aber durchwegs extrem hoch geblieben. Dass es daher dringend struktureller Änderungen im Energiesystem bedarf, darin sind sich die meisten Experten einig.

Nur wie man den Energiemarkt ändern soll, darüber können sich Europas Energieminister bisher nicht so recht verständigen. Das liegt unter anderem am Bremsen der deutschen Bundesregierung bei strukturellen Eingriffen in die Strom- und Gasmärkte, weil sie Störungen auf der Angebotsseite und somit Mangellagen fürchtet. Nur langsam und schrittweise nähern sich die Energieminister strukturellen Verbesserungen an, in der Tat hat sich Deutschland kürzlich erstmals bewegt und sowohl einer Notwendigkeit der Reform des Strommarktes als auch geringfügigen Preisbeschränkungen am Gasmarkt zugestimmt.

Doch weil das alles dauert und eine Lösung ungewiss ist, gehen die nationalen Regierungen mittlerweile selbst zu staatlicher Regulierung der Energiepreise über. Österreich hat bekanntlich bereits eine Strompreisbremse mit fixen Endkundentarifen beschlossen. Deutschland setzt zusätzlich eine steuerfinanzierte Deckelung der Gas- und Fernwärmepreise um – nicht nur für Haushalte, sondern auch für die Industrie. Gleichzeitig wurden europaweit Höchstpreise für Strom aus erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Windenergie, Photovoltaik) festgelegt. Am Ende regelt somit neuerdings der Staat die Preise zum Beispiel von Solarstrom und deckelt gleichzeitig die Tarife, die Haushalte und Industrie für die Energie bezahlen. Das klingt einfach, führt aber zu Streuverlusten.

Das kann man zum Beispiel an der österreichischen Strompreisbremse beobachten, die einen Zuschuss für die staatlich festgelegten Energiepreise für Haushalte vorsieht. Konkret bezahlt der Staat dem Verbraucher die Differenz zwischen dem staatlich festgelegten Arbeitspreis (derzeit 10 Cent je Kilowattstunde) und dem Tarifpreis des Energieversorgers (maximal 40 Cent) für ein begrenztes Stromkontingent, das 80 Prozent des Durchschnittsverbrauchs eines österreichischen Haushaltes ausmacht. Aus Sicht des Energieversorgers ist das eine komfortable Regelung, kann er doch den Vertragspreis – unabhängig von seinen tatsächlichen, individuellen Strombeschaffungskosten – auf oder knapp über 40 Cent festlegen und damit für seine Kunden den maximal möglichen Zuschuss abschöpfen.
Nun kann man solche Unschärfen in einem abgegrenzten Bereich (hier: Strom für Haushalte) wahrscheinlich in Kauf nehmen, weil man rasch und unbürokratisch helfen will. Wenn man das Konzept wie in Deutschland aber auch auf andere Energieträger und andere Wirtschaftsbereiche ausdehnt, kommt man mit einer solchen pauschalen Herangehensweise schnell in große Fehlallokationen von Steuergeld.

Um das zu vermeiden, sollte der Staat nun die nach 20 Jahren Liberalisierung verloren gegangenen Kompetenzen und Ressourcen in seinen Ministerien rasch und entschieden wieder aufbauen, um das Energiesystem in seiner vollen Komplexität laufend zu monitoren, Auswirkungen von staatlichen Zuschüssen und Festlegungen in kurzen Abständen zu überprüfen und Schlupflöcher regelmäßig zu schließen.

Gleichzeitig muss man aber alles daran setzen, die Marktmechanismen so zu reparieren, dass sich aus Angebot und Nachfrage wieder vernünftige Preise ergeben. Denn eine staatliche Festlegung von Preisen ist mit Sicherheit langfristig nicht effizient. gastkommentar@wienerzeitung.at

Lukas Stühlinger ist Geschäftsführer von Fingreen, einer spezialisierten Boutique-Beratungsgesellschaft im Bereich der Finanzierung von Energie- und Umweltprojekten. Zuvor war er unter anderem lang Vorstand der Oekostrom AG. Er hat mehr als 20 Jahre internationale Erfahrung in den Bereichen Finanzierung und Energie. Foto: Marlene Rahmann

Wiener Zeitung

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