Chef der EU-Liberalen: EU muss bei Energie diversifizieren

20. Jänner 2023, Wien

Der Chef der Liberalen im Europaparlament, Stéphane Séjourné, hat die EU-Staaten zu einer Diversifizierung ihres Energiemixes aufgerufen. Die Betonung einzelner Energieträger bewirke nämlich höhere Preise, sagte der französische Politiker am Freitag in einem Pressegespräch in Wien. Deutschland sei stark von Gas abhängig, Frankreich stark von der Atomkraft, andere hätten schon früh auf Erneuerbare gesetzt. Steige der Gaspreis, werde so für alle auch Strom teurer.

„Wir versuchen, ein Energiebudget zu haben, das diversifizierter ist als derzeit“, sagte der Parteifreund des französischen Präsidenten Emmanuel Macron bei einem gemeinsamen Auftritt mit NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger und der NEOS-Europaabgeordneten Claudia Gamon. Frankreich halte an Atomkraft fest, wolle aber auch mehr Wind- und Solarkraft, sagte er. Um den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen, seien die Zulassungsverfahren durch ein im Vorjahr beschlossenes Gesetz vereinfacht worden. Séjourné räumte ein, dass die Gräben in der Frage der Atomkraft quer durch die politischen Familien in Europa gehen. „Das ist fast eine Identitätsfrage für uns“, sagte er.

Meinl-Reisinger bekräftigte Österreichs „klare Linie gegen Atomkraft“, betonte aber zugleich, dass man diesbezüglich Ländern wie Frankreich oder Deutschland „nichts auszurichten“ habe. Jetzt gelte es, innerhalb Österreichs die Genehmigungsverfahren für Wind- oder Solarkraftwerke zu beschleunigen. „Da erwarte ich Leadership“, kritisierte sie die ihrer Ansicht nach immer noch zu unzureichenden Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung. Außerdem brauche es eine Diversifizierung, etwa in Richtung Geothermie. Das sogenannte „Biofracking“ solle man sich zunächst einmal unter Mitwirkung von Wissenschaftern „fundiert anschauen“, ehe man Entscheidungen treffe. Zugleich bekräftigte sie die scharfe Kritik ihrer Partei an der starken Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas, die „hausgemacht“ sei und auf politische Entscheidungen der früheren Regierungsparteien SPÖ, ÖVP und FPÖ zurückzuführen sei.

Mit Blick auf die unübersichtlichen Mehrheitsverhältnisse im Europaparlament hob Séjourné die besondere Rolle der liberalen Renew-Fraktion als „Zünglein an der Waage“ hervor. „Wir können entscheiden, ob ein Vorschlag durchgeht und haben damit auch eine große Verantwortung“, sagte der französische Politiker, der mit Blick auf die Europawahl im kommenden Jahr bereits Anspruch auf EU-Topjobs anmeldete.EU-Topjobs anmeldete.

Aktuell treibt die EU-Liberalen die Sorge um Europas Industrie um. Ihr Erfolg fußte bisher nämlich auf niedrigen Energiepreisen, vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten in einigen osteuropäischen Staaten und dem großen Absatzmarkt China. „Diese drei Kriterien, die das Wachstum in Europa gefördert haben, brechen zusammen“, sagte Séjourné. Man sehe „erste Aspekte einer Deindustrialisierung in Europa“, betonte Meinl-Reisinger mit Verweis auf den Ukraine-Krieg und das hunderte Milliarden Dollar schwere Paket der US-Regierung zum Schutz der eigenen Industrie.

Meinl-Reisinger begrüßte die Absicht der EU-Kommission, die europäische Industrie vor dem US-Paket zu schützen, warnte aber zugleich vor einem „Subventionsregen“. „Wir sind nicht der Meinung, dass Protektionismus mit Protektionismus beantwortet werden soll“, unterstrich auch Gamon. Vielmehr gehe es um faire Wettbewerbsregeln und den Schutz von „Schlüsselindustrien“. Während Gamon die Medikamentenknappheit erwähnte, verwies Séjourné darauf, dass 98 Prozent der in Europa installierten Solarpaneele in China gefertigt würden. Diese Produktion solle wieder nach Europa zurückgeholt werden.

Zusätzliche Finanzierungsquellen seien aktuell nicht erforderlich, so Séjourné. Das US-Paket entspreche ein bis zwei Prozent der Wirtschaftskraft und habe damit ein dem Green Deal der EU vergleichbares Volumen. „Wir haben noch 150 Milliarden Euro, die mobilisiert werden können“, sagte er mit Blick auf noch nicht verteilten Mittel aus dem EU-Wiederaufbauplan. Dazu komme, dass Länder wie Spanien oder Italien bei den ihnen zuerkannten EU-Geldern noch „enorme Kapazitäten frei“ hätten. Gamon betonte, dass es im Kampf gegen die Deindustrialisierung „nicht nur um Geld, sondern um die regulatorische Seite“ gehe, konkret den Bürokratieabbau oder die Senkung der Lohnnebenkosten.

APA