Einfach kein Gas? Es ist kompliziert

7. Feber 2023, Wien

Heizen. Ob der Gasausstieg in Wien bis 2040 klappt, ist noch offen. Denn ob Strom, Kosten oder Gesetze: Hürden gibt es viele.

600.000 Gasheizgeräte gibt es in Wien noch. Dazu kommen 460.000 Gasherde. Bis 2040 sollen sie verschwunden sein, das ist mittlerweile bekannt. Nicht ganz klar ist, wie das funktionieren soll.

Vor Kurzem hat die Stadt Wien dazu ein Konzept für einen Gasausstieg vorgelegt. Doch was steht in dem 72-seitigen Dokument? Wird das Riesenprojekt Gasausstieg greifbarer? Und ist dieser überhaupt realistisch?

Konzept, noch kein Plan

Zunächst: „Ein Plan per se ist das noch nicht“, sagt Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur, das Konzept fasse den Stand der Dinge zusammen, der Neuigkeitswert halte sich jedoch in Grenzen. Dennoch zeige es eines deutlich: „Man merkt, dass sich die Stadt Wien Gedanken gemacht hat, wie der Ausstieg gelingen soll. Da ist sie anderen Bundesländern weit voraus.“

Ein pauschaler, noch konkreterer Plan sei laut Dolna-Gruber ohnehin schwierig, „da die Herausforderungen höchst unterschiedlich sind“, je nachdem, von welcher Art von Gebäude und welchem Gebiet man spreche. Diese Details, also welche Wärmelösungen es für welches Haus in welchem Teil von Wien gibt, will die Stadt bis 2025 nachreichen. Im aktuellen Konzept werden die verschiedenen Optionen skizziert — Fernwärme, lokale Wärmenetze, Anergienetze, Erdwärme-, Abwärme und Luftwärmepumpen.

Etwas mehr Aufmerksamkeit wünscht sich der Energieexperte beim Thema der Gebäudesanierung. „Sanierung ist ein wesentlicher Eckpfeiler, um die Aufgabe kleiner werden zu lassen. Je weniger Energie umgestellt werden muss, umso realistischer wird es.“

Die Frage, ob das gesamte Vorhaben realistisch ist, stellt sich Dolna-Gruber nicht. Die Dekarbonisierung sei alternativlos, es gehe eher „um die Frage, was man tun muss, dass es möglich wird“.

Stromversorgung sicher?

Große Fragezeichen bleiben jedenfalls für Robert Breitschopf, Innungsmeister der Wiener Installateure. Etwa beim Strom, dessen Bedarf in Zukunft massiv ansteigen werde: „Die Frage, wie wir diesen Strom speichern, ist noch nicht geklärt.“ Er ist skeptisch, ob man ab sofort voll auf Strom setzen sollte, „weil man nicht weiß, wie es sich entwickeln wird. Es gibt noch nicht die Sicherheit, die wir uns wünschen.“ Klar sei jedenfalls, dass sich das derzeitige Stromnetz in Wien verdoppeln und für die benötigten Mengen aus anderen Bundesländern Strom importiert werden muss.

Wärme aus Ferne und Tiefe

Auch bei der Fernwärme gebe es „Unsicherheiten“, sagt Dolna-Gruber. Diese soll bis 2040 in Wien 56 Prozent der gesamten Wärme ausmachen. Bis dahin muss sie aber ihre CO2-Emissionen loswerden. Dafür will die Stadt heiße Quellen nutzen (siehe unten). Ob die Erschließung tatsächlich so klappt wie geplant „und ob es in dem Zeitrahmen funktioniert“, sei nicht vorhersagbar, meint Dolna-Gruber. „Sicher ist nichts, aber es gibt zumindest einen Plan.“

Wer zahlt und wie viel?

Die Stadt geht von 30 Milliarden Euro Kosten für den gesamten Umstieg aus, noch nicht inkludiert sind die Kosten der Dekarbonisierung der Fernwärme. Die Summe bewege sich eher „am unteren Rand“ der realistischen Schätzungen, glaubt der Energieexperte. Aber: Sanierungen und Umstellungen würden immer besser und standardisierter, was sie wiederum in Zukunft billiger machen könnte.

Unsicherheit ortet Dolna-Gruber auch bei der Frage, welchen Anteil der Kosten der oder die Einzelne wird tragen müssen. Zwar fördert die Stadt bei einer Umstellung auf erneuerbare Heizsysteme — zusätzlich zur Bundesförderung — bis zu 35 Prozent der Kosten, erschwert eine solche Umrüstung aber gleichzeitig durch teilweise hohe Gebühren.
Ein Beispiel: Erdwärmepumpen sind ein wichtiger Eckpfeiler der Wärmewende. Dafür werden bis zu 300 Meter tiefe Sonden in die Erde gebohrt. Da im dicht verbauten Wien die zu Häusern gehörenden Freiflächen wie Innenhöfe oft nicht genug Platz bieten, ist es möglich, auch auf öffentlichem Grund zu bohren. Dafür erhebt die Stadt aber saftige Gebühren von bis zu 30 Euro pro Laufmeter. Ein Mehrparteienhaus mit zehn Erdsonden zu je 150 Metern würde so auf Gebühren zwischen 37.500 und 42.500 Euro kommen. Dazu kommt noch eine jährliche Gebrauchsabgabe. Ganz zu schweigen von den eigentlichen Kosten für die Bohrungen, die sich im Moment zwischen 60 und 90 Euro pro Laufmeter bewegen. Dolna-Gruber dazu: „Die hohen Gebühren konterkarieren die Ziele des Raus-aus-Gas-Konzepts und machen diese eigentlich sehr effiziente Lösung unattraktiver.“

Das bestätigt auch Installateur Breitschopf: Zusatzgebühren oder nicht — „ein normaler Bürger kann sich das kaum leisten“. Im Moment baue er im innerstädtischen Bereich noch viele neue Gasgeräte ein, „weil es keine vernünftigen Alternativen gibt. Was sollen die Leute sonst machen?“

Rechtliche Grundlagen

Eine andere Baustelle sind die rechtlichen Rahmenbedingungen. „Viele Gebäude gehören nicht einer, sondern 20 verschiedenen Personen.“ Diese alle dazu zu bringen, gemeinsam ihre Heizungen zu tauschen, „ist schon eine sehr harte Nuss“, sagt Dolna-Gruber. Nötig werden wohl Anpassungen im Miet- und im Wohnungseigentumsrecht, um Entscheidungsprozesse zu vereinfachen.

Die Gesetze liegen in der Hand des Bundes, genauso wie das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG). Auf dessen Beschluss pocht die Stadt Wien seit Monaten bei jeder Gelegenheit. Es soll viele Kompetenzen, die derzeit bei den Ländern liegen, auf Bundesebene heben, um einheitliche Rahmen zu schaffen. Aus Sicht der Stadt befindet man sich in einer Warteposition: Solange das EWG nicht beschlossen ist, könnten viele Projekte nicht umgesetzt werden.

Dolna-Gruber versteht die Zwickmühle, sagt aber auch: „Natürlich können die Wiener auch jetzt etwas weiterbringen. Und sie sind gut beraten, das zu tun. Denn die Herausforderung ist groß und die Zeit bis 2040 knapp.“

Die Presse

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