Rund vor wurstförmig – Wie Afrikas Megastädte Energie sparen

23. Feber 2023, Wien

Die Bevölkerung Afrikas wird laut Prognosen zukünftig massiv anwachsen. Besonders viele Menschen werden in die Städte drängen. Wiener Komplexitätsforscher haben nun heutige afrikanische Metropolen anhand neuer Daten analysiert. Dabei zeigte sich, dass eine Bevölkerungsverdoppelung im Schnitt den Energiebedarf im Verkehr verdreifacht. Mit der richtigen Stadtplanung könne man gegensteuern – indem man etwa auf eine runde Stadt-Gestalt setzt und längliche Ballungsräume vermeidet.

Für ihre Analysen, die auf dem Preprint-Server „arXiv“ veröffentlicht wurden und in den kommenden Tagen im Fachjournal „PNAS“ erscheinen, stützte sich das Team um Rafael Prieto-Curiel vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna auf erst seit kurzem zugängliche Daten, die von Google AI stammen. Darin konnten die Wissenschafter die 183 Millionen Gebäude und deren Koordinaten in nahezu 6.000 Städten identifizieren. Diesen Datenhaufen, zu dem noch diverse andere Informationen kamen, ordneten die Forscher dann hinsichtlich verschiedener Kriterien, wie der bebauten Fläche einer Stadt, der Gebäude-Anzahl, dem Platz, den das Stadtzentrum einnimmt, oder der Form der Gebäude-Anhäufung.

So entstand ein Modell, das erstmals sehr präzise ermögliche, den Verkehrs- und Energiebedarf afrikanischer Städte einzuschätzen. Der Schlüssel dazu liegt in der Möglichkeit zur Berechnung der durchschnittlichen Entfernung, die zwischen den einzelnen Bauwerken in den jeweiligen Ballungsräumen zurückgelegt werden muss. Ebenso errechneten Prieto-Curiel und seine Kollegen Jorge E. Patino von der Universidad EAFIT (Kolumbien) und Brilé Anderson von der OECD die Distanzen, die Menschen in den Ballungsräumen zurücklegen müssen sowie die damit verbundenen Fahrzeiten.

Dabei zeigte sich, dass bei einem Anwachsen der Bevölkerungszahl um das Doppelte in einer Stadt vor allem der Energiebedarf für Mobilität um das Dreifache ansteigt, so die Wissenschafter. Dieses Szenario ist durchaus realistisch, denn „bis 2050 werden in Afrika zusätzlich 950 Millionen Menschen in Städten leben, im Jahr 2015 waren es noch 574 Millionen Menschen“, so Prieto-Curiel.

Entscheidend dafür, ob die voraussichtliche Bevölkerungsexplosion auch quasi zwingend zu einer noch massiveren Ausweitung des Energiebedarfs führen wird, sei die Stadtplanung. So könne unter verschiedenen Planungsszenarien bei einer Verdoppelung der Stadtbewohner im ungünstigsten Fall der Energiebedarf um das 3,2-fache anwachsen. Bei idealer Planung komme es hingegen nur zu einer zweieinhalbfachen Erhöhung, erklärte Prieto-Curiel der APA.

Eindeutig feststellen lasse sich, dass eine länglichere, wurstartige Form, zu der vor allem kleinere Städte neigen würden, zu größerem Energiebedarf im Verkehr und in der Folge größerer Umweltbelastung führt, da die zurückzulegenden Wege dort im Durchschnitt länger sind. Der Form-Unterschied liege auch daran, dass sich größere Städte ein Stück weit automatisch anders anordnen, weil bei besonders ungünstigem Aufbau Wege schnell sehr zeitraubend werden können. Das falle in Kleinstädten weniger ins Gewicht, so Prieto-Curiel.

Will man in runderen Städten zum Beispiel von der Peripherie in das Zentrum gelangen, ist das günstiger, weil sich Wege verkürzen und sich auch wichtige Infrastrukturen wie das Abwasser- und Stromnetz effizienter aufbauen und betreiben lassen. Alleine aufgrund ihrer Form vergrößere eine längliche Stadt also bereits viele Probleme.

Während in Europa die Verstädterungsrate (der Anteil der Bevölkerung eines Landes in Städten) von zehn auf 40 Prozent über einen Zeitraum von rund 150 Jahren anstieg, dauerte das in Afrika weniger als 80 Jahre, so der CSH-Forscher. Die neuen Methoden und das neue Wissen, das die Forschung bereitstellen kann, sollte daher dafür eingesetzt werden, dass die Urbanisierung in Afrika auch planvoller abläuft, hofft Prieto-Curiel.

Aus dieser Perspektive heraus sieht Prieto-Curiel auch die Pläne Saudi-Arabiens zum Aufbau der Modellstadt „The Line“ für neun Millionen Einwohner kritisch, die sich einmal in gerader Linie über rund 170 Kilometer erstrecken soll: Suche man etwa völlig zufällig zwei Menschen aus der Neun-Millionen-Metropole Johannesburg (Südafrika) aus, leben diese im Schnitt 33 Kilometer voneinander entfernt. In „The Line“, wo im Gegensatz zu Johannesburg allerdings ein ausgeklügeltes Transportsystem mit aufgebaut wird, wären es 56 Kilometer. Mit letzterem Ansatz würden Menschen „voneinander weggerückt“, was dem Charakter von Städten widerspreche, so der Wissenschafter: Die Modellstadt werde eher „keine nachhaltige Lebensweise, sondern nur ein paar beeindruckende Renderings bieten“, glaubt er.

Service: https://doi.org/10.48550/arXiv.2207.03003

APA

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