Atomkraft spaltet erneut die Europäische Union

3. April 2023, Brüssel
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Klimapolitik. Das Aus des Verbrenners samt Ausnahme für E-Fuels ist besiegelt — doch „rosa Wasserstoff“ sorgt für Streit.

Am Ende war nur Polen dagegen: mit 23 Ja-Stimmen und drei Enthaltungen (Italien, Bulgarien, Rumänien) beschlossen die Energieminister am Dienstag, dass ab dem Jahr 2035 keine neuen Fahrzeuge mit konventionellen Verbrennungsmotor mehr in der EU zugelassen werden dürfen. Dieser Umstieg auf den Elektromotor hat allerdings die bekannte, auf den von Deutschland angeführten Widerstand zurückzuführende Ausnahmeregel, dass synthetisch hergestellte Kraftstoffe (sogenannte E-Fuels) auch ab 2035 Autos mit Verbrennungsmotoren werden antreiben dürfen. Die Europäische Kommission wird im Herbst einen Vorschlag vorlegen, wie solche Motoren, die nur mit „CO2-neutralen Treibstoffen“ laufen, verbindlich definiert werden.

Auf einem anderen Feld der Klimapolitik jedoch verhärtete sich eine bestehende Front. Elf Mitgliedstaaten, angeführt von Österreich (dazu Belgien, Estland, Dänemark, Deutschland, Irland, Lettland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien), lehnen es ab, dass Wasserstoff, der mit Strom aus Kernkraftwerken erzeugt wird, als erneuerbare Energiequelle gezählt wird. Auf so ein grünes Mascherl für „rosa Wasserstoff“ pocht allen voran Frankreich, das im Wasserstoff-Boom eine goldene Chance für seine Atomindustrie sieht. An Frankreichs Seite stehen neun Mitgliedstaaten: Bulgarien, Kroatien, Finnland, Ungarn, Polen, Tschechien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Belgien, Italien und die Niederlande nahmen als Beobachter an ihrer Koordinationssitzung teil. Keines der beiden Lager konnte sich durchsetzen. Am Mittwoch versuchen die EU-Botschafter, den Streit zu lösen — entlang der unveränderten Fronten.

Italien will Ausnahme für Biotreibstoffe

Das Einknicken der Kommission gegenüber Deutschland in der Frage der E-Fuels war auf das starke Lobbying des deutschen Autoherstellers Volkswagen zurückzuführen, dessen Luxusmarke Porsche beim Vorzeigemodell 911 keine Anstalten zeigt, auf Elektroantrieb umzustellen. Die E-Fuel-Ausnahme macht die Kommission und die gesamte Union nun erpressbar, was deutlich am Begehren der italienischen Regierung abzulesen ist, auch Biokraftstoffe aus Raps, Mais und Rüben als „CO2-neutral“ beziehungsweise „technologisch offen“ zu definieren. Die Kommission lehnt das zwar unter vorgehaltener Hand mit den beiden Argumenten ab, dass Ackertreibstoffe erstens nicht klimaneutral seien und zweitens die Lebensmittelsicherheit gefährdeten. Offen hat sie sich aber noch nicht gegen Biodiesel und Bioethanol positioniert. Und wie das E-Fuel-Beispiel illustriert, kann starkes nationales Lobbying auch vermeintlich klare Linien der Kommission aufweichen. Zudem wird die Kommission die Verordnung schon im Jahr 2026 einer Überprüfung unterziehen.

„Champagner des Antriebs“

Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne), welche die Bundesregierung beim Ratstreffen vertrat, wies darauf hin, dass diese synthetischen Kraftstoffe im Flug- und Schiffsverkehr benötigt würden, „aber sie werden auf Dauer knapp und teuer sein“. Plakativer brachte der Vorstandschef des Nutzfahrzeugherstellers Iveco, Gerrit Marx, die Problematik gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters auf den Punkt. Er nannte sie „Champagner des Antriebs“ und sagte: „Wenn Sie einen Ferrari haben oder einen Porsche Turbo einmal pro Wochenende fahren, werden Sie sich nicht kümmern, ob ein Liter fünf oder acht Euro kostet. Aber das ist nicht der Treibstoff der Zukunft. Und raten Sie, wer der Nummer-eins-Produzent von E-Fuels werden will? Saudiarabien.“

Abseits des politischen Grabenkampfes der Energieminister erzielten ihre Verhandler mit jenen des Europaparlaments ebenfalls am Dienstag eine wichtige Einigung, um die breitenwirksame Elektrifizierung des Autoverkehrs zu ermöglichen. Die Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe soll die Mitgliedstaaten dazu verpflichten, bis zum Jahr 2030 entlang der wichtigsten Autobahnen alle 60 Kilometer für mindestens 3600 Kilowatt Ladekapazität für Lastkraftwagen sorgen. Auf Überlandstraßen müssen es mindestens 1500 Kilowatt alle 100 Kilometer sein. Generell muss dann für jedes E-Auto mindestens 1,3 Kilowatt Ladeleistung bereitstehen.

Die Presse

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