Neue Spielregeln für die Elektrizitätsbinnenmärkte

25. Mai 2023

Flexibler, diverser, digital: Der Vorschlag der Europäischen Kommission zu den Elektrizitätsbinnenmärkten bringt Verbesserungen-aber auch Herausforderungen.

Die Europäische Kommission hat mit 14. März 2023 einen Vorschlag zur Verbesserung der Gestaltung der Elektrizitätsbinnenmärkte in der EU vorgelegt. Der Vorschlag ist motiviert durch die Strompreisentwicklungen der vergangenen beiden Jahre. Am grundlegenden System des Energiemarktes, und damit auch dem in letzter Zeit viel kritisierten und oft missverstandenen „Merit-Order-Prinzip“, wird dabei nicht gerüttelt. Der Vorschlag führt zu einem flexibleren, diverseren, aber auch komplexeren Energiemarkt. Damit zeichnen sich aber insbesondere für klassische Energieversorger neue Herausforderungen ab.

PLANBARERE INVESTITIONEN ALS ANREIZ

Um ein planbareres Umfeld für Investitionen in erneuerbare Energien zu schaffen und damit das Investitionsrisiko zu senken, wird angestrebt, Projektträgern den Zugang zu längerfristigen Verträgen zu erleichtern. Die Mitgliedsstaaten sollen deshalb als Vertragspartner für sogenannte Differenzverträge, besser bekannt unter dem englischen Begriff „Contracts for Difference“, zur Verfügung stehen. Diese Art von Verträgen gewährleistet langfristige Preisstabilität. Zudem sollen die Mitgliedsstaaten ein geeignetes Marktumfeld für Strombezugsverträge (sogenannte „Power Purchase Agreements“ oder auch „PPAs“)schaffen. Diese gibt es zwar bereits, doch ist deren Verbreitung derzeit noch beschränkt. Die im Vorschlag vorgesehenen Mittel zur Förderung solcher Verträge sind insbesondere Garantieregelungen, die die finanziellen Risiken im Zusammenhang mit Zahlungsausfällen von Abnehmern verringern sollen. Netzbetreibern sollen Informationspflichten in Bezug auf Netzanschlusskapazitäten auferlegt werden. Projektwerber werden dadurch in die Lage versetzt, Projekte besser planen zu können. Erneuerbare Energie soll so insgesamt besser gehandelt werden können.

MEHR MÖGLICHKEITEN FÜR AKTIVE KUNDEN

Mit dem letzten Energiebinnenmarktpaket wurden Endverbrauchern Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die über die Auswahl des Energieversorgers und der Steuerung ihres Verbrauches hinausgehen. So können sich Marktteilnehmer zu Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaften(„EEGs“)oder Bürger-Energie-Gemeinschaften(„BEGs“)zusammenschließen, um gemeinsam Energie zu erzeugen, diese Energie zu verbrauchen, zu speichern oder zu verkaufen. Die Verbreitung von EEGs bzw BEGs ist derzeit (noch) eher gering. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass die Gründung einer juristischen Person, in aller Regel eines Vereins, Voraussetzung für die Schaffung der jeweiligen EEG bzw BEG ist. Die Interessenten streben aber häufig nur einen kleinteiligen Austausch von Elektrizität, manchmal nur zwischen wenigen Personen, an. Im Verhältnis zu diesem gewünschten Ziel verursacht die Gründung einer juristischen Person dabei einen relativ hohen Aufwand. Ein weiterer Grund mag sein, dass der Dienstleistungsmarkt für die praktische Umsetzung und die laufende Betreuung solcher Gemeinschaften derzeit noch unterentwickelt ist. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie wird nach dem Vorschlag der Kommission erstmals eine Definition des Begriffes des „aktiven Kunden“ beinhalten. Gemeint sind damit Kunden, welche über Speicher-oder Erzeugungsanlagen verfügen und nunmehr auch das Recht haben sollen, zu viel erzeugte Energie an andere Verbraucher abzugeben oder die in gemeinsamen Anlagen erzeugte erneuerbare Energie gemeinsam zu nutzen. Alle Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen sollen das Recht haben, sich an der gemeinsamen Energienutzung zu beteiligen. Der Unterschied zur bisherigen Situation ist im Wesentlichen, dass die Zusammenarbeit nicht mehr die Gründung eines eigenen Rechtssubjekts voraussetzt, sondern die Zusammenarbeit aktiver Kunden lediglich auf Basis einer privaten Vereinbarung organisiert werden kann. Auch für diejenigen Endverbraucher, die nicht selbst produzieren und weiter ausschließlich von klassischen Energieversorgern versorgt werden wollen, soll es Neuerungen geben. Aufgrund der Fortschritte in der Verbrauchserfassung und im Bereich der Kommunikationstechnologie insgesamt ist es nach Ansicht der Kommission nun technisch möglich, für einzelne Standorte mehrere Versorger zu wählen. Der Kunde kann daher hinkünftig einen variablen Stromliefervertrag und einen Fixpreisvertrag gleichzeitig haben. Wenn ein Kunde dies wünscht, soll er die Möglichkeit haben, insbesondere den Strombezug für Geräte mit hohem Verbrauch verlagern zu können. Kunden erhalten auch das Recht, den Abschluss eines Vertrages mit dynamischen Tarifen sowie Verträgen mit festen Preisen und fester Laufzeit zu verlangen, wobei jeder Versorger mit mehr als 200.000 Endkunden Verträge mit einer Laufzeit von mindestens einem Jahr anbieten muss.

PREISSTEIGERUNGEN KÖNNEN GEGLÄTTET WERDEN

Die Vertragsfreiheit klassischer Versorger wird durch die vorgesehene Pflicht, verschiedene Verträge anzubieten, beschränkt. Versorger selbst aber hängen von einem variablen Vorleistungsmarkt ab, denn auch sie müssen, abhängig von dem Deckungsgrad ihrer Eigenproduktion, Strom an den Strombörsen beschaffen. Noch unklar ist, welche Auswirkungen die neue Rechtslage auf mehrere Strombezugsverträge hätte. Verfügen Endverbraucher gleichzeitig über einen dynamischen Liefervertrag sowie auch über einen Fixpreisvertrag, ist es nur schwer vorstellbar, dass ihnen damit das jederzeitige Recht eingeräumt werden soll, zu wählen, auf Basis welchen Vertrages sie Strom beziehen wollen. Der Vorschlag spricht diese Möglichkeit nicht an. Der Fixpreisvertrag wäre dann lediglich eine Versicherung gegen steigende Preise am dynamischen Energiemarkt. Fallen die kurzfristigen Marktpreise unter den Preis der Langfristverträge, so droht den Energieversorgern das Risiko, langfristig beschaffte Energiemengen nicht verwerten zu können. Steigen die kurzfristigen Marktpreise stark an, werden Endverbraucher Strom zu fix vereinbarten Preisen beziehen wollen. Der Stromversorger wäre unterdeckt und müsste zu höheren Preisen, als im Endkundenpreis vereinbart, nachbeschaffen. Preisschocks würden daher im Vertragszeitraum ausschließlich Versorger treffen. Die Abhängigkeit von variablen Vorleistungsmärkten bringt aus Sicht der Lieferanten das Erfordernis mit sich, Endkundenpreise anzupassen, um nicht zwischen steigenden Einkaufspreisen und starren Endkundenpreisen aufgerieben zu werden. Diese Anpassung sollte rechtssicher und ohne Massenkündigungen vonstatten gehen. Dazu stehen derzeit nur inadäquate Mittel zur Verfügung. Schließlich ist es, trotz allem Interesse an stabilen Preisen, undenkbar, dass Kostensteigerungen am Energiemarkt über kurz oder lang nicht an Endkunden weitergegeben werden. Langfristige Bezugsverträge können nur dazu dienen, die Weitergabe von Preisspitzen zu glätten. Führt das System aber dazu, dass Versorger Preisschocks absorbieren müssen, so muss dieses Risiko in Verträge eingepreist werden, was sie unattraktiv macht.

UMSETZUNG ALS DIGITALE HERAUSFORDERUNG

Es ist abzusehen, dass durch die vorgesehenen Maßnahmen die Diversität und damit die Komplexität des Energiemarktes steigen wird. Es handeln hinkünftig vielfältigere Akteure mit möglicherweise mehreren parallel-laufenden Vertragsbeziehungen, welche in-und außerhalb juristischer Personen organisiert sein werden. Endverbraucher können nicht nur im Rahmen der Entscheidung zum Abschluss eines bestimmten Bezugs-oder Einspeisevertrages, sondern etwa auch durch anreizbasierte Laststeuerungssysteme jederzeit aktiv am Elektrizitätsmarkt teilnehmen. Drehpunkt steigender Flexibilität im Energiemarkt ist das Netz und dessen Steuerung. Die aktive und kleinteilige Beteiligung aktiver Kunden ist nur in einem digitalen Netz denkbar. Der Vorschlag der Kommission zielt daher darauf ab, wie auch in den Erwägungsgründen festgehalten ist, das Potential der Digitalisierung des Energiesystems zu nutzen, welches unter anderem in der aktiven Beteiligung der Verbraucher besteht. Enthalten ist auch der Auftrag an die Mitgliedsstaaten, hierzu eine geeignete IT-Infrastruktur einzurichten. Die aufgrund des Kommissionsvorschlages zu erwartenden Neuerungen enthalten damit, explizit und implizit, eine große Digitalisierungs-und Informationskomponente. Die Vernetzung und Bereitstellung von Informationen wird vor allem auch Netzbetreiber vor neue Herausforderungen stellen. Schon derzeit kommt es manchmal zu Anwendungsproblemen bei der praktischen Umsetzung, etwa indem, ganz trivial, einzelne Zählpunkte unbemerkt fehlerhaft zugordnet werden. Es ist zu befürchten, dass die Auswirkungen derartiger Mängel in einem komplexen schnell veränderlichen System schwerwiegender sein werden. Die zuverlässige Umsetzung der Digitalisierungs-und Informationskomponente wird daher, so ist zumindest zu vermuten, einiges an Anstrengung erfordern. Die erhöhte Komplexität am Energiemarkt wird es erforderlich machen, dass sich die Serviceindustrie weiterentwickelt und sowohl für klassische Marktteilnehmer als auch für aktive Kunden, in welcher Organisationsform auch immer, standardisierte Planungs-und Abwicklungsleistungen anbietet. Hier wird es anfänglich noch zu vielen Fragen, insbesondere an den Schnittstellen zwischen verschiedenen Aufgaben, kommen, wie man dies auch bei der Einführung von Energiegemeinschaften beobachtet hat.

Die Presse

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