Dreht Kiew den Gashahn zu?

6. Juni 2023, Wien

Erdgas. Die Ukraine will den Transitvertrag mit Gazprom nicht verlängern, warnt Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss. Was ist da dran, und was wären die Folgen?

Der ehemalige OMV-Chef Gerhard Roiss weiß sich in Szene zu setzen: Österreich müsse sich darauf vorbereiten, dass ab Ende 2024 kein russisches Gas mehr durch die Ukraine nach Österreich fließe, ließ er Mittwochabend im ORF-Interview die „Bombe“ platzen, wie manche Beobachter rasch urteilten. Der ukrainische Vize-Energieminister Jaroslav Demchenkov habe ihm persönlich gesagt, dass sein Land den bis dahin laufenden Transitvertrag mit der russischen Gazprom nicht verlängern werde. Bewahrheitet sich die düstere Prognose, wären die Folgen dramatisch. Österreich bezog im März immer noch 74 Prozent seines importierten Erdgases von der russischen Gazprom. Die gesamte Menge floss über das ukrainische Leitungsnetz nach Baumgarten. Wie ernst also ist die Lage? „Die Presse“ beantwortet die drängendsten Fragen.

1 Kommt 2025 tatsächlich kein russisches Gas mehr durch die Ukraine nach Österreich?

Das kann heute, 18 Monate im Voraus, niemand seriös beurteilen. Jaroslav Demchenkov bestätigte auf Anfrage der „Presse“, dass die Ukraine den Transitvertrag nicht verlängern wolle. Es sei „offensichtlich, dass Gazprom seinen Status als zuverlässigen Lieferanten verloren hat“. Weiter auf Moskau zu vertrauen, sei — auch für Österreich — „russisches Roulette“. Der Westen solle stattdessen auf alle Geschäfte mit Russland verzichten.

Carola Millgramm, Gasexpertin der E-Control, ist dennoch nicht überzeugt, dass ab 2025 kein russisches Gas mehr in den Westen transportiert werde: „Wir haben alle gewusst, dass der Transitvertrag 2024 endet und nicht verlängert wird.“ Das sei aber auch gar nicht notwendig, da die Ukraine eine EU-Plattform nutze, auf der alle Lieferanten Pipelinekapazitäten kurzfristig, online und ohne eigenen Vertrag buchen könnten. Solange die Ukraine nicht definitiv sage, dass sie kein russisches Gas mehr durchlassen wolle, sei unklar, ob die Lieferungen stoppen, so Millgramm. Tatsächlich war die Ukraine bis dato stets darauf erpicht, ihre Rolle als Gastransitland — und die damit verbundenen Einnahmen — nicht zu verlieren. Für einen Transitstopp spricht hingegen, dass die Ukraine seit 2015 nicht mehr von russischem Gas abhängig ist, sondern aus dem Westen versorgt wird. Ein Aus der Gaslieferungen in die EU würde zudem den Kriegsgegner finanziell schwächen.

2 Wären Österreich und die EU auf eine Sperre der ukrainischen Pipelines vorbereitet?

Die Route durch die Ukraine ist der größte der beiden verbliebenen leitungsgebundenen Importwege für russisches Erdgas nach Europa (siehe Grafik). In Summe konnte die EU ihre Abhängigkeit von Moskau aber von über 50 Prozent mehr als halbieren. Der Großteil kommt heute aus Norwegen, Algerien, Großbritannien und über Flüssiggasimporte. In Österreich ist die Lage anders: Das Land kauft noch drei Viertel seines Erdgases bei Gazprom — und ist noch bis 2040 über langfristige Verträge an Gazprom gebunden. Die OMV betont, dass der russische Konzern das Gas bis nach Baumgarten bringen müsse — egal, auf welchem Weg. Zudem habe man genug andere Lieferanten und Pipelinekapazitäten, um die eigenen Kunden im Land zu beliefern. Für den nächsten Winter sorgen auch gut gefüllte Gasspeicher (75 Prozent) und der niedrige Gaspreis für Beruhigung. Die Österreichische Energieagentur rechnet jedoch damit, dass die Republik frühestens 2027 ohne russische Importe auskommen könnte. 2025 käme also definitiv zu früh.

3 Ist die heimische Politik nun unter Zugzwang, um die Versorgung zu sichern?

Österreich müsse sich endlich „aus der Abhängigkeit befreien“, forderte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und erinnerte an ihre Vorschläge wie den Ausbau der Pipelines nach Deutschland, strengere Speicherverpflichtungen für Versorger oder die Verstaatlichung des OMV-Gashandels, um einen Versorgungsauftrag erteilen zu können. Die Staatsholding Öbag plädiert für eine Gaskoordinierungsstelle zum Gaseinkauf für die Republik. Passiert ist auf dem Gebiet nur wenig, was nicht zuletzt daran liegt, dass der Wille zur koalitionären Zusammenarbeit in der Regierung mittlerweile mehr als überschaubar ist.

Die Presse

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 - Brüssel, APA/BMEIA