Ist das Österreichs neue Gasstrategie?

29. Juni 2023, Wien

Energie. Wie kommt die Republik von Moskau los, ohne dass das Gas ausgeht? Die angepeilte Teilverstaatlichung der OMV überzeugt wenige. Stattdessen sollen Lieferanten die Versorgung sichern.

Seit die Temperaturen über 20 Grad geklettert sind, ist bei dem Thema irgendwie die Luft raus. Österreichs Gasspeicher sind zu 80 Prozent gefüllt, die kommende Heizperiode gesichert, die Preise an der Börse wieder gesunken. Erst die überraschende Nachricht, dass die Ukraine ab 2025 kein russisches Gas mehr nach Europa lassen könnte, erinnerte das Land daran, dass die Gaskrise trotz des sommerlichen Wetters nicht gänzlich vorbei ist — und auch rasch wieder eskalieren könnte.

Denn anders als die meisten EU-Staaten hat es Österreich bisher nicht geschafft, sich von seinem Langzeitlieferanten aus Moskau loszusagen. Der Kriegstreiber Russland stellt immer noch 60 bis 80 Prozent aller Gasimporte in Österreich. Die Lieferverträge der OMV mit Gazprom laufen bis 2040. Zwar gibt es mittlerweile eine strategische Gasreserve des Staates, doch die reicht nicht, um die Versorgung des Landes mit nichtrussischem Erdgas zu sichern. „Österreich hat hier nicht ausreichend getan, obwohl es eine Reihe einfacher und leistbarer Alternativen gibt“, warnte der frühere E-Control-Chef Walter Boltz dieser Tage bei einer Veranstaltung in Wien.

Es fehlen Gas und Leitungen

Üblicherweise sind weltweit betrachtet etwa 15 Prozent zu viel Gas am Markt, um etwa technische Schwierigkeiten bei einzelnen Pipelines überbrücken zu können. Diese Mengen gibt es heute nicht. Sollte nun also tatsächlich kein russisches Gas mehr nach Europa kommen, fehlen dem Kontinent rund 20 Milliarden Kubikmeter, so seine Rechnung. Und selbst wenn ausreichend Mengen da wären, gäbe es nicht genügend Transportkapazitäten, um Österreich, Ungarn, Serbien und die Slowakei über Deutschland und Italien zu versorgen.

Genau deshalb haben Boltz und der Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss als Berater der grünen Energieministerin Leonore Gewessler vor wenigen Wochen ein Papier vorgelegt, wie Österreich die Gasversorgung sichern könnte. Eine Kernidee war auch, dass der Staat selbst vorübergehend die OMV-Gashandelstochter mitsamt ihren rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übernehmen solle, damit diese frühzeitig Erdgas und Lieferkapazitäten für das Land buchen. Der Koalitionspartner war ebenso zurückhaltend wie die Staatsholding Öbag, unter deren Dach die staatliche Einkaufsgesellschaft hätte firmieren sollen. Die Sache wurde Wolfgang Peschorn, dem Chef der Finanzprokuratur, zugeschanzt. Er sollte sich — auf Zuruf des Finanzministeriums — Gedanken machen, wie das Land den Ausstieg aus dem Russen-Gas denn nun am besten über die Bühne bringen könnte. Wie „Die Presse“ in Erfahrung bringen konnte, liegt das Ergebnis seiner Überlegungen nun vor.

„Die Zuständigkeit im Energiebereich ist gesetzlich zersplittert. Die überwiegende Kompetenz des Bundes fällt aber zweifellos in den Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Klimaschutz“, stellt Peschorn eingehend fest — nur um dann klarzustellen, dass er von den Plänen des grünen Ministeriums herzlich wenig hält: „Im liberalisierten Energiemarkt Europas kommt den Energielieferanten die Verantwortung für die Versorgung zu. Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, mit Steuergeld die Energielieferanten von dieser Verantwortung zu entlasten“, sagt er der „Presse“. „Eine staatliche Einkaufsgesellschaft würde diesen Überlegungen widersprechen.“

Vielmehr müsse gesetzlich sichergestellt sein, dass Energielieferanten ihren Lieferverpflichtungen auch in einer Krise „möglichst uneingeschränkt“ nachkommen, sagt der Chef der Finanzprokuratur.

Billiganbieter im Visier

Zu Beginn der Gaspreiskrise ist bekanntlich genau das Gegenteil passiert: Viele Billiganbieter, die darauf spekulieren, kurzfristig billiges Gas an der Börse kaufen zu können, haben sich aus dem Staub gemacht, ihre Kundinnen und Kunden mussten scharenweise zu den Landesenergieversorgern überlaufen, die traditionell vorsichtiger planen und mehr Gas einspeichern. Heute, mit sinkenden Preisen, kommen die Billiganbieter wieder zurück — ohne dass sich an ihrem Geschäftsmodell etwas geändert hätte.

Es müsse „im Interesse der Kunden und zur Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs“ gewährleistet sein, dass sich Energielieferanten in Krisenzeiten „nicht ihrer vertraglichen Verpflichtungen entledigen können“, legt Peschorn nach. Die Unternehmen müssten doch selbst ausreichend Erdgas in Österreich gespeichert haben, um ihre Kunden zu versorgen.

Das sind doch ganz andere Töne, als bisher vom schwarzen Koalitionspartner in Richtung Energiewirtschaft zu hören waren. Im grünen BMK stößt man damit dem Vernehmen nach auf offene Ohren. So liegt bereits ein Gesetzesvorschlag vor, der die Speicherverpflichtung anhebt. Die Billiglieferanten, oft reine Händler, wären davon aber nicht betroffen.
„Unsere Unsicherheit heute ist das Ergebnis unternehmerischer Entscheidungen“, sagt auch Walter Boltz. Daher sei es nur recht und billig, wenn der Staat nicht alles aus öffentlichen Mitteln bezahle. Im Strategiepapier, das er mit Roiss ausgearbeitet hat, findet sich auch ein Vorschlag, der verblüffend nahe an Peschorns Forderung herankommt: Konkret sollten demnach alle Importeure von Gas verpflichtet werden, nichtrussisches Gas im Umfang der 75 absatzstärksten Tage in österreichischen Speichern zu lagern. Bis so eine Pflicht Gesetz werden könnte, wird aber noch etwas Zeit vergehen.

Am Montag lädt Leonore Gewessler die Unternehmen erst einmal zum „Gasgipfel“ ins Ministerium, um ihnen ins Gewissen zu reden, mehr einzuspeichern als bisher. Um eine Pflicht, das zu tun, soll es dabei (noch) nicht gehen.

von Matthias Auer

Die Presse

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