Eine pragmatische Weltklimakonferenz?

10. August 2023

Klimakrise. Echte Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel wird es nur mit der Beteiligung der Öl- und Gasindustrie geben.


Die jüngsten Klimaverhandlungen waren gelinde gesagt hitzig. Abgesehen von den üblichen gegenseitigen Schuldzuweisungen in Bezug auf Finanzierungsfragen, hat die Entscheidung, Sultan Al Jaber – Chef des staatlichen Erdölkonzerns Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) – zum Präsidenten der bevorstehenden UN-Klimakonferenz (COP 28) in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu ernennen, erhebliche Kontroversen ausgelöst.
Wenn die Welt echte Fortschritte bei der Bekämpfung des Klimawandels erzielen will, ist die Beteiligung sowohl der Öl- und Gasindustrie als auch der Golfregion aber unerlässlich.


In diesem Sinne könnte die COP 28 ein echter Gamechanger sein – wenn es der übrigen Welt gelingt, Dogmen beiseitezulassen und sich auf die Suche nach einem gemeinsamen Nenner zu konzentrieren. Für die EU ist diese Botschaft besonders wichtig. Die EU hat zwar wichtige Fortschritte bei der Verringerung ihres CO₂-Fußabdrucks und der Verbesserung der Energieeffizienz erzielt, doch es ist ihr nicht gelungen, einen gemeinsamen Energierahmen zu entwickeln, wodurch sie nicht nur die Energiesicherheit, sondern paradoxerweise auch die Nachhaltigkeit untergraben hat.


Grüne Initiativen überdenken
Dies wurde nach der Invasion Russlands in der Ukraine unübersehbar, als die europäischen Länder um alternative Energielieferungen rangeln mussten. Deutschland griff auf die Verbrennung von Kohle zurück, dem schmutzigsten fossilen Brennstoff. Nun ist die EU gezwungen, die Machbarkeit einiger ihrer grünen Initiativen zu überdenken, darunter ein Gesetz, das den Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035 verbietet, und das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, eine Schlüsselkomponente des europäischen Green Deal.


Hinzu kommt, dass es der EU zwar gelungen ist, sich in Bezug auf den grünen Wandel als globale Standards setzend zu etablieren, sie aber das Ausmaß überschätzt, in dem ihre grüne Philosophie in der Welt Anklang findet. Dies gilt insbesondere für Nicht-OECD-Länder, die sich an der Vorstellung stoßen, dass sie einen direkten Sprung von der Energiearmut hin zu einem vollständig erneuerbaren und dekarbonisierten Verbrauch machen sollen.
Diese Länder haben wenig zur Klimakrise beigetragen und stehen nun vor der Herausforderung, schnell wachsenden Bevölkerungen wirtschaftliche Chancen zu bieten. Man kann schwer erwarten, dass sie Nachhaltigkeit Vorrang vor Wachstum und Entwicklung einräumen. Wenn sie einen Beitrag zum grünen Wandel leisten – und damit Notwendigkeiten wie der Anpassung an den Klimawandel Rechnung tragen –, sollten sie großzügige Finanzmittel von reichen Ländern erhalten.


Doch diese Unterstützung bleibt derzeit weit hinter dem zurück, was benötigt wird. Schätzungen zufolge müssen Schwellen- und Entwicklungsländer bis Anfang der 2030er-Jahre jährlich rund 2,8 Billionen Dollar in saubere Energie investieren, wenn sie überhaupt eine Chance haben sollen, Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Das ist mehr als das Dreifache der im Jahr 2022 bereitgestellten 770 Milliarden Dollar.


Klimamilliarden ausgeblieben
Im Jahr 2021 beliefen sich die Nettotransfers aus offiziellen Krediten an die Entwicklungsländer auf lediglich 38 Mrd. Dollar. Die 100 Mrd. Dollar an Klimafinanzierung pro Jahr, die Länder mit hohem Einkommen 2009 zugesagt hatten, und die bis 2020 bereitgestellt werden sollten, sind ausgeblieben. Stattdessen haben einige Geber damit begonnen, ihre Auslandshilfen und Darlehen an grüne Bedingungen zu knüpfen. Seine eigenen Energiedefizite gleicht Europa indes weiterhin mit Gas aus, das oft aus Ländern wie Mozambique oder dem Senegal stammt, denen es die Finanzierung für alles außer erneuerbaren Energien verweigert hat.


Wenn die COP 28 ein Erfolg werden soll, müssen grüner Idealismus und Heuchelei durch eine klarsichtige Agenda ersetzt werden, die das breite Spektrum der Interessen berücksichtigt, die im Spiel sind. Nur wenn wir die Bedürfnisse und Ziele aller relevanten Akteure anerkennen, können wir hoffen, grüne Initiativen nachhaltig zu gestalten und die Energiewende zu beschleunigen.


Ein realistischeres Konzept für den Öl- und Gassektor ist ebenfalls erforderlich. Zunächst einmal führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass der Öl- und Gassektor für den Zugang zu Energie und für die Energieversorgungssicherheit vorerst unverzichtbar ist. Wie in einem kürzlich erschienenen Bericht der Internationalen Energieagentur dargelegt, können nur kontinuierliche Investitionen in die Öl- und Gasindustrie sicherstellen, dass das weltweite Öl- und Gasangebot nicht schneller sinkt als die Nachfrage.


Öl- und Gasunternehmen spielen aber eine noch größere Rolle bei der grünen Transformation. Energieunternehmen haben eine globale Reichweite, eine hohe Risikobereitschaft, beträchtliche finanzielle Ressourcen und etablierte Verbindungen zu Energieakteuren wie Abnehmern und Aufsichtsbehörden. Außerdem verfügen sie über beträchtliches Know-how bei Offshore-Projekten, der Wasserstoffproduktion und dem Transport von Brennstoffen. All diese Stärken können genutzt werden, um die Ziele der Nachhaltigkeit voranzutreiben.

Unternehmen wie Adnoc haben bereits Fortschritte erzielt, nicht nur bei der Senkung ihrer Kohlenstoffintensität, sondern auch bei ihrem Beitrag zur Entwicklung. Der mit 500 Millionen Dollar ausgestattete Corporate Venture Fund von Saudi Aramco zur Förderung erneuerbarer Energien und energieeffizienter Technologien ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Aber es muss noch viel mehr getan werden.


Um den privaten Sektor – und nicht nur Öl- und Gasunternehmen – zu ermutigen, mehr in die Emissionsminderung zu investieren, müssen wir die CO₂-Bepreisungund die grenzüberschreitenden Emissionshandelssysteme besser nutzen. Dabei müssen jedoch die unterschiedlichen Energiebedürfnisse und Prioritäten berücksichtigt und unrealistische Erwartungen an erneuerbare Energien vermieden werden.


Ein einheitlicher Ansatz für alle wäre weder fair noch effektiv. Jedes Land muss in der Lage sein, sein eigenes Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit, Sicherheit und Kosteneffizienz zu finden. Die EU ihrerseits braucht einen neuen Rahmen für Klimamaßnahmen, der eine praktischere, globale Perspektive widerspiegelt – und die Art von breitem Anklang findet, der für echte Fortschritte beim Klimawandel unverzichtbar ist.


Die Welt kann es sich nicht erlauben, Ideologie eine höhere Priorität beizumessen als Pragmatismus. Ein gerechter grüner Wandel wird nur mit einem nüchternen, ausgewogenen Ansatz möglich sein, der die Energie- und Entwicklungsbedürfnisse der einzelnen Länder berücksichtigt. Wenn die COP 28 zu bedeutenden Fortschritten führen soll, müssen wir aufhören uns zu streiten, und anfangen anzuerkennen, was die verschiedenen Akteure – einschließlich der Öl- und Gasindustrie – beisteuern können.

Die AutorinAna de Palacio(* 1948 in Madrid) studierte Rechts- und Politikwissenschaften sowie Soziologie. Von 2002 bis 2004 spanische Außenministerin, später Vizepräsidentin der Weltbank. Gastdozentin an der Georgetown University.

Die Presse