Gasmärkte zeigen sich hypernervös

24. August 2023

Im fernen Australien wird ein Streik angekündigt, in Europa ziehen die Erdgaspreise kräftig an. Fachleute erwarten, dass es bei einem kurzfristigen Effekt bleibt, doch zeigt der Fall, wie volatil der Flüssiggasmarkt ist.

Die Arbeitsbedingungen seien schlecht, die Gehälter zu niedrig: Gewerkschaften in Australien machen Druck auf die Betreiber großer Erdgas-Verflüssigungsanlagen im Westen Australiens – sie drohen sowohl dem Energiekonzern Chevron als auch der Woodside Energy Group mit Streik.

„Woodside hat jede Taktik ausprobiert, um Verhandlungen im Kollektiv zu vermeiden“, kritisierte der Sprecher der Offshore Alliance, die Beschäftigte auf den Plattformen vertritt. „Aber letztendlich schaffte es das Unternehmen nicht, den Status quo aufrechtzuerhalten – jenen, in dem es allein den Ton angibt.“ Ein Streik sei nur das letzte Mittel, doch Woodside lasse keine Wahl. Das Unternehmen verweist auf laufende Verhandlungen.
Viel Zeit bleibt nicht, schon Anfang September wollen die Gewerkschaften die Arbeiten einstellen, sollte es keine Einigung geben. Nicht nur für die Unternehmen hätte das Folgen – sondern auch für den globalen Handel mit Flüssiggas, kurz LNG. Die Plattformen, um die es in dem Streit geht, sorgen für gut zehn Prozent der globalen LNG-Exporte.

Wenige Langzeitverträge in Europa

Einen Vorgeschmack darauf, wie der Markt reagieren könnte, gaben die Sprünge bei den Marktpreisen Anfang des Monats – sie folgten auf die ersten Berichte rund um mögliche Streiks. Die Preise für LNG schnellten kurzfristig um bis zu 40 Prozent in die Höhe.

Europa sei von solchen Preissteigerungen besonders betroffen, erklärt Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel. Denn: Australien bedient mit seinem LNG vor allem langfristige Verträge mit Kunden in Asien. Wenn Unternehmen nun ihre Verträge nicht mit eigenem Erdgas erfüllen können, müssen sie dieses anderswo besorgen: Auf dem Spotmarkt, also dort, wo ganz kurzfristig gehandelt wird. Dort kauft Europa große Teile seines Flüssiggases. „Europa will nur vorübergehend viel Flüssiggas, schließlich soll es schnell in Richtung Erneuerbare gehen“, erklärt Zachmann. Daher hätten europäische Versorger nur wenige langfristige Verträge. „Das bedeutet aber auch, dass wir jede Bodenwelle am LNG-Markt mitnehmen.“

Eine Dürre in Südamerika hatte im vergangenen Jahr eine andere solche Bodenwelle ausgelöst. Weil die Wasserkraft weniger Strom lieferte, stieg die Nachfrage nach LNG rasant. Ähnlich wie nun im Fall der australischen Ölplattformen gingen auch damals die Preise für LNG auf Höhenflug.

LNG-Anteil verdoppelt

Neue Verflüssigungsterminals, die derzeit in den USA gebaut werden, könnten den Markt bald beruhigen, meint Zachmann. Wie sich die Situation allerdings weiterentwickle, sei schwer voraussehbar.

Pipelinegas mitgerechnet, gehen die Erdgasimporte Europas insgesamt zurück. Der Anteil von LNG, das mit Schiffen geliefert wird, hat sich in den vergangenen zwei Jahren dafür verdoppelt. Dasselbe galt für die von Schiffen zu verantwortenden CO₂-Emissionen, die für den Transport der zusätzlichen LNG-Mengen eingesetzt wurden.
Wie es weitergeht, hängt zu einem großen Teil an politischen Entscheidungen: Wird etwa Österreich weiter so große Mengen an russischem Gas importieren? Derzeit kauft es rund 80 Prozent in Russland – etwa gleich viel wie vor dem Angriff auf die Ukraine. Und: Wie schnell gelingen der Erneuerbaren-Ausbau und der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen? Die Antworten entscheiden mit, wie sich die LNG-Nachfrage in Europa entwickelt – ebenso wie die Preise für Haushalte. „Kurzfristig werden die meisten Haushalte Preissteigerungen, wie jetzt ausgelöst durch den Streit in Australien, nur verzögert und gedämpft spüren“, meint Zachmann. Er erwarte keine tiefgreifenden Verwerfungen.

Der Standard