Gewerbliche Abwärme als wertvolle Ressource

18. September 2023

Nachhaltigkeit. Mit hohen Energiepreisen nimmt die Nachfrage nach Abwärmenutzung zu, doch es gibt noch einige Hürden.

Zweifellos steigt die Bedeutung für gewerbliche Abwärme – aber im Verhältnis zum Potenzial noch viel zu langsam. „Man muss den Wert der Abwärme erkennen. Energie schmeißt man nicht einfach weg, sondern muss sie in den unendlichen Kreislauf führen“, sagt Lars Thomsen, Zukunftsforscher und Gründer der Denkfabrik ‚future matters‘. „Mit den steigenden Energiepreisen gewinnt gewerbliche Abwärme natürlich an Bedeutung, trotzdem werfen Betriebe noch immer Geld beim Fenster raus, indem sie die Abwärme einfach rausblasen“, konstatiert Thomsen. Vielleicht müsste man eine neue Vokabel für den Begriff „Abwärme“ schaffen, überlegt er: „Abwärme klingt wertlos. Nicht umsonst spricht man bei der Abfallwirtschaft nicht mehr von Abfall, sondern von Wertstoffen. Plötzlich ist Abfall keine Belastung mehr, sondern ein erwünschtes Produkt, weil man daraus Wertstoffe gewinnt, die man sonst teuer beziehen müsste.“

Frage der Energieeffizienz

Der Zukunftsforscher ist überzeugt, dass in den nächsten zehn Jahren neue Industrien entstehen, die Abwärme zum Geschäftsmodell machen. Wie zum Beispiel Jaske & Wolf Verfahrenstechnik aus Deutschland. Das Unternehmen mit Standort im Bundesland Niedersachsen entwickelt Verfahren, um Produktionsprozesse in Industriebetrieben effizienter zu machen und auf erneuerbare Energie und Abwärmenutzung umzustellen. „Jede Kilowattstunde, die nicht eingekauft werden muss und nicht nutzlos verpufft, ist die beste Kilowattstunde“, betont Geschäftsführer Wolfgang Jaske, der für Betriebe ein Dreistufenmodell entwickelt hat. „In der ersten Stufe versucht man, die Wärme zurückzugewinnen und im Kreis fahren zu lassen. So muss nur der unvermeidbare Verlust ersetzt werden. Die nachgelagerten Stufen zielen darauf ab, etwa mit Abwärme ein Gebäude zu heizen und Kosten zu sparen.“

Vor allem für energieintensive Branchen und Unternehmen bietet die Wärmerückgewinnung enorme Potenziale zum Einsparen von Energie. Mit eigens entwickelter Wärmerückgewinnungstechnologie realisiert Jaske & Wolf regelrechte Vorzeigeprojekte, beispielsweise die Beheizung städtischer Schwimmbäder aus Abwärme. Das erspart Kommunen jede Menge Geld. „Im letzten Jahrzehnt mussten wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Mittlerweile rennen uns die Betriebe die Türen ein. Bis vor kurzem war der ‚Return on Investment‘ das ausschlaggebende Kriterium für ein Investment in Energieeffizienz. Jetzt steigt die Nachfrage vor allem wegen der EU-Taxonomie und der geforderten CO2-Bilanzen“, berichtet Jaske.„Ein Grund für das hohe Energieeffizienzpotenzial sind die hohen Temperaturniveaus“, sagt Magdalena Teufner-Kabas, Geschäftsführerin von Kleinkraft, einem Ingenieurbüro, das es sich zur Aufgabe macht, Firmen im Bereich Energieeffizienz zu beraten.

„Bisher war es üblich, dass mit einem Gaskessel alle Prozesse mit sehr hohem Temperaturbereich versorgt wurden, selbst Prozesse, die mit niedrigen Temperaturen auskommen würden.“ Da sich mit Erdgas hohe Temperaturen bereitstellen lassen, gab es bisher kaum die Notwendigkeit, sich Gedanken über unterschiedliche Temperaturniveaus zu machen. Mittlerweile denken viele Betriebe um und sind daran interessiert, Prozesse bedarfsgerecht mit den richtigen Temperaturen zu betreiben – und da ist gewerbliche Abwärme ein Schlüssel zum Erfolg. „In einem ersten Schritt ist das Ziel, mit der Abwärme den eigenen Betrieb effizient mit Abwärme zu versorgen. Betrieben, die keinen Bedarf an Abwärmetemperatur haben, speisen die Abwärme in Energienetze ein“, erklärt die Energieexpertin.

Technisches Hindernis

Allerdings gibt es ein technisches Hindernis: Fernwärmenetze werden oft auf sehr hohem Temperaturniveau betrieben, Betriebe mit niedrigen Abwärmetemperaturen können nicht in dieses Netz einspeisen. Und so besteht das Dilemma, dass viele Betriebe bei Abwärme mit Niedrigtemperaturen extra Energie und Geld aufwenden müssen, um die Abwärme loszuwerden. Mit einem sogenannten Anergienetz würden sich diese Betriebe viel Kosten ersparen. Somit wird der Markt für Anergienetzanbieter interessant, wie zum Beispiel den Wiener Energieversorger BCE Beyond Carbon Energy. Mit den erneuerbaren Energiequellen wird die Dezentralisierung der Energieversorgung vorangetrieben – das kommt der Abwärmenutzung entgegen, weil Betriebe aufspringen können, die derzeit ihre gewerbliche Abwärme wegen fehlender Infrastruktur nicht loswerden. Ein drittes Hindernis sind laut Teufner-Kabas fehlende Ressourcen und der Aufwand, der mit der Umsetzung verbunden ist.

Steirer geben den Ton an

In Wien gibt es immer mehr Unternehmen, die über Abwärme ihren eigenen Energiebedarf optimieren, aber Projekte, bei denen die gewerbliche Abwärme dafür genutzt wird, um sie ins Fernwärmenetz einzuspeisen, sind noch rar. Industriestandorte wie Linz und Graz sind da im Vorteil. Die Steiermark ist schon seit vielen Jahren aktiv bei der gewerblichen Abwärmenutzung. Für die Wärmeversorgung in Graz wurde bereits im Jahr 1993 die erste Einspeisung von industrieller Abwärme aus dem Stahl- und Walzwerk Marienhütte in das Fernwärmenetz Graz in Betrieb genommen und kontinuierlich optimiert. Seit 2017 speist etwa auch das Papier- und Zellstoffwerk Sappi ins Fernwärmenetz ein.

von Christian Scherl

Die Presse

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