Warum baut Österreich diese Pipeline nicht?

18. September 2023

Energie. Die Gasversorgung von morgen hängt nicht nur an der Suche nach neuen Lieferanten, sondern auch am Bau neuer Leitungen. Um das wichtigste Teilstück ist ein Streit entbrannt.

Im Grunde ist die Sache simpel: Will Österreich auch in den kommenden Wintern mit (nichtrussischem) Gas heizen, braucht es nicht nur neue Lieferanten, sondern auch neue Leitungen. So sieht das die Gasbranche, so sieht es der Energieregulator, so sieht es das Klimaschutzministerium. Das Herzstück all dieser Überlegungen ist der Bau einer 40 Kilometer langen Leitung von Oberkappl nach Bad Leonfelden in Oberösterreich. Dieser zweite Strang neben der bestehenden West-Austria-Gasleitung würde es ermöglichen, dass mehr Gas aus dem Westen in Richtung Osten fließen kann, falls Russland als Lieferant wegfällt. Spätestens ab 2024 drohe Gasmangel in der Region, warnt die zuständige Gas Connect Austria (GCA). Daher sei der Bau dieses ersten Teilstücks des „WAG Loop“-Projekts „besonders wichtig“. Seit dem Frühjahr liegt auch die Genehmigung des Regulators auf dem Tisch. Bauen will die GCA die Leitung trotzdem nicht.

Um das zu verstehen, ist es hilfreich, einen Schritt zurückzugehen. Österreich ist auch eineinhalb Jahre nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs noch zu über 60 Prozent von russischem Erdgas abhängig, das unter anderem über die West-Austria-Gasleitung transportiert wird. Solange die teilstaatliche OMV nicht juristisch gegen ihre bis 2040 geltenden Lieferverträge mit der russischen Gazprom vorgeht, dürfte sich daran auch wenig ändern. Genau das macht den Bau eines neuen Teilstücks, um Gas aus Deutschland zu holen, freilich etwas riskanter. Die Gas Connect Austria, eine 51-Prozent-Tochter des Verbunds, will die finale Entscheidung erst treffen, wenn klar ist, dass auch genügend Transportkapazitäten gebucht werden. Ohne „politische Unterstützung“ könne das Projekt nicht starten, heißt es aus dem Unternehmen.

Grüne fordern Gasleitung

Die Politik ist aber alles andere als begeistert von der Vorstellung, nach dem teuren Aufbau der strategischen Gasreserve noch einmal Steuergeld in die Hand nehmen zu müssen, um ein Projekt zu ermöglichen, von dem bis vor wenigen Monaten noch alle Beteiligten hellauf begeistert waren. Und so flatterte dieser Tage ein Brief aus dem zuständigen Klimaschutzministerium auf die Schreibtische der beiden GCA-Geschäftsführer Harald Stindl und Stefan Wagenhofer. Das Schreiben liegt der „Presse“ vor. Es ist freundlich im Ton, in der Sache aber kaum misszuverstehen.
Das Projekt „WAG Loop 1“ sei erfreulicherweise im Koordinierten Netzentwicklungsplan (KNEP) der E-Control vorgesehen, was den Betreibern die notwendige finanzielle Sicherheit biete. Die „GCA bekommt unabhängig von der konkreten Buchungslage der Transportkapazitäten die angemessenen Kosten für den Ausbau der Pipeline ersetzt“, heißt es deutlich. Im Klartext: Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es keinen ernsthaften Grund mehr, auf der Bremse zu stehen.

Das bestätigt auch E-Control-Chef Alfons Haber im Gespräch mit der „Presse“. Das Projekt sei notwendig und genehmigt, die Kosten könnten in den Tarifen der Netzbetreiber berücksichtigt werden. Für den Bau des ersten Teilstücks von Oberkappl nach Bad Leonfelden und einer elektrischen Verdichterstation in Rainbach veranschlagt die GCA rund 200 Millionen Euro. Der komplette „WAG Loop“ wäre hundert Kilometer lang und entsprechend teurer. Aber schon die ersten 40 Kilometer brächten immerhin 2,5 Milliarden Kubikmeter mehr Erdgas aus dem Westen nach Österreich. Ein Plus von 30 Prozent.

Energieexperten halten das Risiko, das mit dem Bau der Gasleitung verbunden ist, ohnedies für überschaubar. Immerhin sei die Pipeline auch abgesehen von der akuten Gasversorgung von strategischer Bedeutung, da sie so geplant ist, dass in ihr auch grüner Wasserstoff transportiert werden kann. Mittelfristig werde es die Kapazitäten auf der Strecke also in jedem Fall brauchen, meint der Energieberater Walter Boltz.

Gesetzliche Pflicht zum Bau

Doch für den Fall, dass das „gute Zureden“ doch nicht genügen sollte, legt das grüne Ministerium in seinem Schreiben noch etwas nach: Die Genehmigung der E-Control bedeute einerseits, dass die Finanzierung des Projekts kein sonderliches Problem mehr darstellen sollte, andererseits sei die „GCA verpflichtet, das Projekt auch umzusetzen“. „Sofern Sie als Fernleitungsnetzbetreiber nach Genehmigung des KNEP die durchzuführenden Investitionen nicht tätigen würden, wäre die Regulierungsbehörde gesetzlich dazu verpflichtet, die Durchführung der Investition zu gewährleisten.“

Eine Pflicht, der E-Control-Chef Alfons Haber in jedem Fall nachkommen will: „Wir bleiben dran und werden die Durchführung des Netzentwicklungsplans überwachen“, betont er. Das Projekt sei ohnedies frühestens in 3,5 Jahren finalisiert, komme also keine Sekunde zu früh, wenn Österreich ab 2027 ohne russische Gaslieferungen auskommen will. Laut Gesetz kann ein Netzbetreiber den Bau nur dann verweigern, wenn „zwingende Gründe“ dagegen sprächen. Noch hat die GCA diese „zwingenden Gründe“ jedoch nicht auf den Tisch gelegt.

Die Presse

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