Um die viel diskutierten Netto-Null-Emissionen als Klimaschutzziele zu erreichen, müsste der gesamte durch menschliche Aktivitäten verursachte Treibhausgasausstoß woanders wieder ausgeglichen werden. Zwischen den Zahlen von Staaten zu ihren Treibhausgasbilanzen (nationale Treibhausgasinventare) und den Berechnungen des Weltklimarates (IPCC) klafft aber eine nicht unbeträchtliche Lücke. Würde man diese schließen, müsste die Netto-Null noch früher erreicht werden, so Forscher.
Ein Team um die beiden u.a. am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien tätigen Wissenschafter Matthew Gidden und Thomas Gasser hat sich im Rahmen einer im Fachmagazin „Nature“ erschienenen Studie damit beschäftigt, wie einerseits Staaten und andererseits die wissenschaftliche Forschung mit CO2-Emissionen umgehen, die mit der Landnutzung zusammenhängen. Gerade beim Blick in Richtung Netto-Null-Emissionen kommt der Landnutzung eine besonders große Bedeutung zu, wenn es etwa darum geht, Wälder zu erhalten bzw. aufzuforsten oder sich darum zu bemühen, möglichst viel Kohlenstoff auf landwirtschaftlichen Flächen sozusagen zu speichern.
Über das Verhältnis von Kohlenstoffeinlagerung und -freisetzung auf verschieden genutzten Flächen gibt es Annahmen, auf denen die Landnutzungs-Treibhausgasbilanzen beruhen. So wird zwischen vom Menschen bewirtschafteten und nicht „gemanagten“ Flächen unterschieden. Allerdings gibt es hier Diskrepanzen in der Betrachtungsweise zwischen wissenschaftlichen Modellen und den Treibhausgasinventaren vieler Staaten, heißt es in einer Aussendung des IIASA.
Während in ersteren nur Flächen als „bewirtschaftet“ angesehen werden, wo der Mensch auch tatsächlich durch land- oder forstwirtschaftliche Aktivitäten starken Einfluss ausübt, werden seitens der Länder auch Gebiete, die in geringerem Ausmaß landwirtschaftlich oder auch lediglich zur Erholung von Menschen genutzt werden, ebenso als „gemanagt“ angesehen. Welchen Unterschied das machen kann, zeigen die Forscher in ihrer Arbeit.
Insgesamt gesehen ist die Differenz beträchtlich: Demnach klafft zwischen der wissenschaftlichen Betrachtungsweise, an die sich der IPCC hält, und den Treibhausgasbilanzen der Länder eine Lücke zwischen vier und sieben Gigatonnen CO2 pro Jahr. Das entspricht immerhin rund zehn Prozent der aktuellen jährlichen Treibhausgasemissionen, heiß es.
In der Folge legten die Forscher die genaueren Maßstäbe an die nationalen Treibhausgasinventare an. So offenbarte sich, dass die Reduktion der Treibhausgase bis zum Jahr 2030 schneller und deutlicher ausfallen müsste, um das Ziel zu erreichen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Insgesamt dürften gegenüber den bisherigen Länder-Annahmen nochmals zwischen 55 und 65 Gigatonnen CO2 weniger bis zum Jahr 2030 ausgestoßen werden.
Letztlich müssten viele Länder ihre Bekundungen, Netto-Null-Emissionen zu erreichen, um bis zu fünf Jahre früher einlösen. Die neuen Erkenntnisse „zeigen die Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, ist es entscheidend, dass die Länder auch das richtige Ziel anstreben“, so Gidden. Würden die Staaten weiter von ihrer bisherigen Berechnungsweise ausgehen, „werden sie ihr Ziel verfehlen“, so der Wissenschafter.
Diese Gefahr orten auch die beiden britischen Wissenschafter Chris Jones und Alexander Askew in einem Perspektivenartikel zu der Arbeit, in der nun beschrieben wird, wie die Methodik derart angepasst werden kann, dass die Staaten einmal „einen echten Netto-Nullpunkt melden können“. Mit Blick auf die am 30. November in Dubai beginnende UNO-Klimakonferenz „COP28“ fordern die an der „Nature“-Publikation beteiligten Experten nachgeschärfte und detailliertere nationale Klimaziele. Es werde immer klarer, dass noch in diesem Jahrzehnt große Anstrengungen im Klimaschutz notwendig sind. Dieses Faktum sollte „nicht in den Details der technischen Berichterstattung“ untergehen, so Gidden.
Service: Die Publikation online: https://dx.doi.org/10.1038/s41586-023-06724-y ; Der Perspektivenartikel: https://doi.org/10.1038/d41586-023-03504-6
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