Wiens Klimastadtrat Czernohorszky: „Es ist Feuer am Dach“

24. November 2023, Wien

Für Klimamaßnahmen verantwortliche Politiker haben es nicht leicht. Obwohl sich so viel bewegt wie noch nie, läuft ihnen die Zeit davon. Sie sind stolz darauf, was alles bereits beschlossen ist oder zumindest diskutiert wird, und bekommen dennoch immer zu hören: Zu wenig. Zu zögerlich. Zu spät. Das geht dem Wiener Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) nicht anders. „Ich weiß nicht, ob wir wirklich in derselben Stadt wohnen“, meint er einmal im Laufe des APA-Interviews.

Dabei verkörpert der 46-Jährige, der 2017 bis 2020 Bildungsstadtrat war, ehe er die Agenden Klima, Umwelt, Demokratie und Personal übernahm, den Typus jener jüngeren Politikergeneration, der man abnimmt, dass sie meinen, was sie sagen, und das Problem erkannt haben. Auch Czernohorszky ist nicht darum verlegen, die Größe der Herausforderung in große Worte zu kleiden: „Es ist nicht 5 vor 12, sondern bereits wirklich Feuer am Dach. Trotzdem ist Alarmismus der falsche Weg!“

Moment: Schreit man nicht „Alarm!“, wenn’s brennt? Rhetorisch versucht der Politiker, der Politologie und Soziologie studiert hat, die selbst angesteuerte Klippe so zu umschiffen: „Der Löschvorgang ist eine breite sozial-ökologische Transformation – von allen. Es geht um das gute Leben für alle. Damit das bleibt, muss sich alles ändern. Das braucht die Arbeit mit den Menschen – und das fühlt sich für mich eher wie ein offenes Ohr oder eine ausgestreckte Hand als wie ein erhobener Zeigefinger oder ein Alarmschrei an. So sehr es natürlich nicht nur alternativlos ist, sondern auch beängstigend, wenn wir das nicht hinbekommen.“

Um Wien als Klimamusterstadt darzustellen, verfolgt der zuständige Stadtrat drei Argumentationslinien: Wien hat sich früh ambitionierte Ziele gesetzt; noch viel mehr ist derzeit in Ausarbeitung oder Umsetzung, wird aber erst schlagend; wirklich säumig ist dagegen der Bund, der es verabsäumt, entsprechende Rahmenbedingungen etwa bei der Wärmewende zu schaffen. Kontrovers wird das Gespräch erst, wenn’s ins Detail geht. Da droht manche Frage, die Czernohorszky lächelnd als „aufgelegter Elfer“ zur Darstellung der erfolgreichen Stadtpolitik empfindet, dann doch in ein Gerangel zu münden, in dessen Verlauf der Ball ins Aus rollt.

Der große Ruck, den man in Wiens Stadtregierung in Sachen Klima vermisst, um wie etwa die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo auch mit einschneidenden Maßnahmen einen radikalen Kurswechsel vorzunehmen, sei in Wien in den vergangenen zweieinhalb Jahren tatsächlich passiert, beteuert der Stadtrat. Er verweist etwa auf die Etablierung eines Klimarats Ende der vergangenen Legislaturperiode, der noch ambitioniertere Ziele Richtung CO2-Neutralität einforderte. Nun wird bis 2040 Klimaneutralität angestrebt. „Das wurde mit dem Klimafahrplan in wenigen Monaten auf alle Bereiche heruntergebrochen.“ Das Koalitionsübereinkommen mit den NEOS nannte Czernohorszky schon mal „insgesamt ein Klimaschutzprogramm“. Doch das dort versprochene Klimagesetz wird erst im ersten Halbjahr 2024 als Vorlage in den Gesetzgebungsprozess eingebracht. Auch das Instrumentarium eines Klimabudgets, bei dem jede Geschäftsgruppe nicht nur in Geld, sondern auch in Emissionen budgetieren soll, befinde sich im Ausrollen und werde mit dem nächsten Doppelbudget wirksam. Hier werde Neuland beschritten, betont er. Aktuell seien schon Großprojekte bewertbar, „das wurde in den letzten Monaten in einer großen Kraftanstrengung erarbeitet“.

Die Bürgerbeteiligung in Stadtplanungs- und Klimafragen, von Bürgerinitiativen und Aktivistinnen meist als Feigenblatt oder Beschäftigungstherapie empfunden, sei in Wahrheit vorbildlich, meint Czernohorszky: Das „Bürger:innenbudget“ für mehr Beteiligung bei Klimainitiativen sei mit 20 Euro pro Kopf doppelt so hoch wie in Paris, Wiens Anstrengungen zielten vor allem auf eine Verbreiterung der Partizipation und Ermächtigung von bisher unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen. „Wir gehen hier voran. Wie das bei Wegen so ist, sind wir noch nicht angekommen. Aber ich bekomme aus diesen Prozessen unglaublich viel positives Feedback.“

Der Grünanteil der Stadt sei so hoch wie in keiner anderen europäischen Großstadt, der Zuwachs an Bodenversiegelung so gering wie in keinem anderen Bundesland – „und das, obwohl Wien in den letzten vier Jahrzehnten um 400.000 Menschen gewachsen ist!“ Zahlreiche umgebaute Straßen würden davon zeugen, dass die Stadt den Umbau ernst nehme. „Es sind 50.000 Quadratmeter entsiegelt worden, die früher Asphalt waren, weitere 50.000 Quadratmeter Versickerungsflächen geschaffen worden. Alleine in der Thaliastraße wurden in den ersten beiden Umbau-Abschnitten 170 Bäume in früheren Straßenraum gepflanzt worden. Und im dritten Abschnitt kommen weitere dazu. Oder die Argentinierstraße: Sie wird nach ihrem Umbau ein völlig anderer Ort sein.“

Die Strukturen der Stadt, in der Planungs- und Verkehrsstadträtin Ulli Sima oft schwergewichtigere Entscheidungen zu verantworten hat als der Klima- und Umweltstadtrat, seien sehr wohl angemessen umgestellt worden, versichert Czernohorszky: Schon 2021 wurde der damalige Forstdirektor der Stadt, Andreas Januskovecz, zum Klimadirektor und Bereichsleiter für Klimaangelegenheiten berufen, der nur dem Bürgermeister und dem Magistratsdirektor unterstellt ist. „Er ist weisungsberechtigt auf jede Magistratsabteilung der Stadt!“ Es wurde allerdings noch kein Projekt bekannt, bei dem er aus Klimagründen ein Veto eingelegt hätte. Dafür gebe es zahlreiche ambitionierte Projekte, etwa bei der Energie- und Wärmewende. „Da nehme ich für uns in Anspruch, dass wir da richtig schnell waren und nicht kleckern, sondern klotzen!“

„In 17 Jahren raus aus Gas – das hat einen Man-to-the-moon-Aspekt! Das braucht es aber auch, denn nur eine klimaneutrale Stadt ist eine lebenswerte Stadt. Ich bin überzeugt davon, dass wir es schaffen!“ Das von der Bundesregierung versprochene strenge Erneuerbaren Wärme Gesetz, das den Weg weisen hätte sollen, sei nicht gekommen, „nun ist uns der Geduldsfaden gerissen“. Wien gehe in Vorlage, werde etwa in der Bauordnung nachschärfen, Unterstützung bei der Umrüstung einer größtmöglichen Anzahl von Gebäuden bieten, vor allem auf den Ausbau und Nachverdichtung des Fernwärmenetzes setzen, aber nicht die Ziele aufweichen. „In Wien sind 600.000 Gasthermen zu tauschen. Das ist eine riesige Aufgabe. Aber wir geben es nicht billiger. Wir werden zeigen, wie’s gehen kann. Aber es wird auch ordnungspolitische Maßnahmen auf Bundesebene brauchen. Dafür werde ich mich einsetzen. Bei der Wärmewende braucht es ganz dringend Klarstellungen. Wer nicht erkennt, dass diese Aufgabe bis 2040 nicht stemmbar ist, wenn auf Bundesebene die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht gesetzt werden, ist entweder blind oder schwindelt die Leute an.“

Beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs liege man sehr gut, bei der Forcierung des Radverkehrs seien die entsprechenden Mittel in den vergangenen zwei Budgets verfünffacht worden, so der Stadtrat. In den Bezirken wird freilich weiterhin um jeden Parkplatz gerungen und auch mit der Stadtstraße wurde ein deutliches Signal gesetzt, dass in Wien wohl auch künftig das Auto ein wesentliches Verkehrsmittel bleiben wird. Insgesamt sei „viel zu tun“, räumt Czernohorszky ein – und lässt durchblicken, dass es auch ihn als Radfahrer nicht glücklich mache, dass die Zahl der SUVs in den vergangenen Jahren im Wiener Straßenverkehr stark zugenommen habe.

Vorhaltungen, dass das alles in Summe dennoch zu wenig sein dürfte, um angesichts dramatischer Prognosen die angestrebte Klimafitness der Stadt zu erreichen, nimmt der Klimastadtrat gelassen: „Es ist fast mein Tagesgeschäft, dass ich konfrontiert werde mit einer Zielzahl für 2030 oder 2040 und der Beschwerde, dass wir die noch nicht erreicht haben. Ich nehme das sportlich – und weise darauf hin, dass wir noch ein bisserl Zeit haben bis dahin. Ich finde es schön, dass wir in einem urbanen Raum leben, wo Menschen sagen: Das ist uns nicht schnell oder umfassend genug. Ich sehe das als Rückenwind. Das bestärkt mich und gibt uns auch die Möglichkeit zu sagen: Es gibt noch nicht für alles eine Lösung – aber wir kriegen das hin!“

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

APA

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