Am Gas- und Strommarkt ging es in den vergangenen Monaten ziemlich rund. Die hohen Energierechnungen sorgten mancherorts für echte Dramen. Wie gingen Menschen damit um? Zwei Unternehmerinnen geben Einblick. Wir haben sie ein Stück des Weges durch die Energiekrise begleitet.
An diesem Dienstag im März ist es kalt, aber strahlend schön. Es ist ein guter Tag für einen Ausflug ins Zentrum von Eisenstadt. Ein Besuch im wohlige Wärme verströmenden Café Freu-Raum in der Fußgängerzone steht an. Anja Haider-Wallner ist Mitgründerin des Freu-Raum. Hübsch renoviert ist das freundliche Gassenlokal mit großen Fenstern – und mit einer Gasheizung. Haider-Wallner ist einem Social-Media-Aufruf gefolgt. „Wie geht es einzelnen Menschen mit der Preisexplosion bei Strom und Gas?“, lautete die Frage. Die Energiepreisexplosion bedrohe ihre Existenz, hat die gebürtige Eisenstädterin umgehend geantwortet.
In der Fanny-Elsner-Gasse, dort, wo das Lokal zu finden ist, ist von der angespannten Lage wenig zu merken. Das Interieur ist bunt und charmant, zusammengewürfelt aus nostalgisch anmutenden Möbelstücken, die Tische und Wände sind hübsch dekoriert. Zu Mittag herrscht Gelassenheit, da wird sichtlich zufrieden eine Suppe gelöffelt, dort in einer Zeitung geblättert oder getratscht. Leise klimpern im Hintergrund Porzellan und Besteck. Was hier auf den Tisch kommt, ist vegan, vegetarisch, regional, bio – und trotzdem leistbar. Betrieben wird das Café als gemeinnütziges Beschäftigungsprojekt, unterstützt vom AMS. Wer hierherkommt, schätzt auch den ökosozialen Gedanken, sagt Haider-Wallner. Eigentlich ist ihr nicht zum Scherzen zumute, heute hat sie für den Gast aus Wien aber eine freundliche Miene aufgesetzt. Die Preise für alles sind gestiegen, weitergeben kann sie die höheren Kosten nur in überschaubarem Ausmaß, sagt die 44-Jährige, die auch grüne Wirtschaftssprecherin ist. „Die Leute kommen dann einfach weniger.“ Haider-Wallner klingt dennoch nicht so, als wolle sie den Kopf in den Sand stecken.
Unfassbare Erhöhung
In den Morgennachrichten war zu hören, dass sich die Energiepreise wieder leicht entspannen. Von ein oder zwei Prozent ist die Rede und davon, dass sie davor um ein Vielfaches gestiegen sind. Fast 50 Prozent – im Schnitt. Ende Februar war der Blick auf Energiepreise auch bei jenen geschärft, die sich mit ihren Rechnungen lieber nicht im Detail auseinandersetzen. Unverständlich, nicht nachvollziehbar – das gaben viele in der jüngeren Vergangenheit bei Befragungen zu Protokoll.
Die Energierechnung, sie wurde plötzlich Gesprächsthema – am Mittagstisch, beim abendlichen Bier mit Kollegen und Kolleginnen, man wurde von Bekannten zu seinen Strom- oder Gastarifen befragt und wollte ebenfalls wissen, was sich in anderen Haushalten abspielte. Damals im Februar waren die Preise für Haushaltsenergie um mehr als 30 Prozent höher als im Jahr davor. Gestiegen sind sie schon viel früher. Haider-Wallner hat sich bis ins letzte Detail mit der Energierechnung im Café auseinandergesetzt. Zwangsläufig. Sie war nun um ein Vielfaches höher als vor der Krise. Knapp 600 Euro für Strom und Gas standen da auf der Rechnung. Zu Jahresanfang 2023 waren es plötzlich knapp 8700 Euro. Vor der Krise hieß: Vor dem Einfall der Russen in der Ukraine im Februar 2022, in dessen Folge die Energiemärkte verrückt spielten und das Damoklesschwert speziell über Österreich hing, Putin könnte den Gashahn zudrehen.
Haider-Wallner hat an diesem Dienstag im März, als sich die Preise schon wieder vom Höchststand entfernten, viel zu erzählen. Über das Entsetzen, als der Energieanbieter zum Jahreswechsel die neue Vorschreibung geschickt hat. „Es war der totale Schock, das 14,5-Fache. Wir haben uns gefragt: Wie soll das gehen?“ Die Kalkulation habe nicht mehr gestimmt. Es folgte, was viele erlebt haben. Verhandlungen mit dem Energieanbieter, fieberhafte Suche nach einer Alternative, neuer Vertrag mit einem neuen Versorger – auch dies nicht eben zu erfreulichen Konditionen. Haider-Wallner konnte einiges, aber bei weitem nicht alles abwenden.
Die Regierung hat damals Milliarden an Energiehilfen für energieintensive Unternehmen lockergemacht. Ob Kleine wie das Freu-Café Energiehilfen bekommen sollten, stand damals noch nicht fest. Haider-Wallner kannte sich als Unternehmensberaterin aus, nahm sich Zeit zu recherchieren. Und sie hatte vor, einen Ausweg zu finden. Wir vereinbaren, Ende des Sommers wieder Kontakt aufzunehmen.
Rund 170 Kilometer südlich ist Manuela Pucher nahe Graz zu Hause. Neben Anja Haider-Wallner hatte auch sie sich auf den Social-Media-Aufruf gemeldet. Sie schickt die Botschaft: „Obwohl ich es mir sehr wohl leisten könnte, will ich mir diese Teuerung nicht leisten.“ Pucher betreibt in Graz eine Social-Media- und Web-Agentur. Kurz vor der Krise hat sie ein Haus gebaut und sich während der Bauzeit für eine Photovoltaikanlage entschieden, dazu kam eine Wärmepumpe. „Damals konnte ich die Folgen der Energiekrise nicht abschätzen, und es war eher ein Must-have auf dem Dach eines neuen Hauses“, sagt die Unternehmerin. Im September 2022 hat sie das Haus bezogen. Davor hat sie in einer Eigentumswohnung gelebt – sechs Cent bezahlte sie da für den Strom, 60 Euro im Monat. „Mir war immer das Genießen und das Leben wichtig, Stromsparen, so wie ich es von meinen Großeltern kenne, war kein Bestandteil meines Lebens.“
Ehrgeizige Optimierung
Das habe sich drastisch verändert, sagt Pucher im März. Sie hat einen 17-jährigen Sohn, einen Spielefreak, der gerne und lange am Computer hängt, energieaufwendig, wie sie sagt. Pucher und ihr Lebensgefährte verdienen gut. „Aber wir wollen uns das nicht leisten“, sagt sie. Die 46-Jährige geht generalstabsmäßig vor. Jedes Gerät wird auf seine Energieeffizienz abgeklopft. Gewaschen wird zu Mittag, wenn die Photovoltaikanlage den meisten Strom produziert, die Geräte laufen, wenn die meiste Sonne scheint. „Es tut uns nicht weh“, sagt Pucher. Früher sei es egal gewesen, wenn 20 Euro im Monat für den Whirlpool angefallen sind, jetzt hat sie der sportliche Ehrgeiz gepackt. Sie will im Jahr einige Hundert Euro einsparen. 150 Euro im Monat lautet derzeit ihre Vorschreibung. Sie macht nun auch Wochenpläne fürs Einkaufen. Statt früher 600 Euro im Monat fallen jetzt 400 Euro für Lebensmittel an. „Wir versuchen alles zu optimieren.“
Auch zur politischen Diskussion hat sie eine Meinung: „Eigentlich hätte es mehr Markteingriffe gebraucht – so wie andere Länder das gemacht haben. In Österreich hat die Regierung mit der Einführung der Strompreisbremse Anfang Dezember 2022 spät reagiert. Spanien und Portugal hatten seit Mai 2022 einen Preisdeckel für Elektrizität, die mit Gas erzeugt wird. Europaweit wurde diskutiert, wie Stromkunden besser vor überschießenden Preisen geschützt werden können. Konsumentenschützer nahmen Strom- und Gasversorger ins Visier, das sogenannte Merit-Order-System, bei dem der Strompreis durch das jeweils zugeschaltete Kraftwerk (in der Regel ein Gaskraftwerk) bestimmt wird, wurde heftig kritisiert. Da wie dort war das Argument zu hören, dass die hohen Preise ein Anreiz sein sollten, Energie zu sparen. Bei Manuela Pucher hat das funktioniert. Sie hat sich einen Stromzähler organisiert, sie weiß sogar, was ein Waschgang kostet. Pucher ist voll bei der Sache. Wir vereinbaren, im Herbst erneut Kontakt aufzunehmen.
In den Sommermonaten sorgte die hohe Inflation für hitzige Debatten – vor allem die Frage, warum sie hierzulande so hartnäckig höher ist als in vielen anderen Ländern Europas. Die Lebensmittelpreise und die geschmalzene Teuerung in der Gastronomie regten auf. Die Wettbewerbshüter wurden am Mineralölmarkt aktiv, und sie nahmen die Lebensmittelbranche unter die Lupe. Die Energiepreise sind inzwischen wieder gesunken. So manch einer zog seine Schlüsse und baute sein Heizsystem um oder schmiedete zumindest entsprechende Pläne.
Solidarität und Rückschlag
Anja Haider-Wallner hatte das im Eisenstädter Café Freu-Raum selbstverständlich auch in Erwägung gezogen. Was dagegen sprach: Die Gasheizung wurde anlässlich der Renovierung im Jahr 2019 um 30.000 Euro neu installiert. Heute ist klar: Es war die falsche Entscheidung. Im September klingt Haider-Wallner gefasst, aber auch angestrengt. Im Frühjahr hatte sich die Lage zugespitzt. Man trommelte zum großen Benefizkonzert. Die Menschen kamen zahlreich, die Solidarität war groß. Dann kam der Rückschlag. Sinkende Umsätze bei steigenden Kosten. „Es blieb eine Berg-und-Tal-Fahrt“, sagt Haider-Wallner. Man hatte im Betrieb einen Wechsel des Steuerberaters und war quasi im Blindflug unterwegs. Was sich dann zeigte, war düster: höhere Energiekosten, hohe Wareneinsatzkosten. Es war ernüchternd. „Die Energiekosten – 18.000 Euro mehr im Jahr – sind ein Teil des Problems, aber bei weitem nicht alles“, stellt die Burgenländerin mit ihrem Team fest. Man kommt zum Schluss, dass das Geschäftsmodell so nicht funktioniert. Es soll umgestellt werden auf einen sozioökonomischen Betrieb. Die Genossenschaft wird sich auflösen, so viel ist im September klar. Wir verabreden ein weiteres Gespräch im November.
Szenenwechsel. Manuela Pucher in der Steiermark klingt fröhlich, als wir im September plaudern. „Bei mir hat sich Energiesparen komplett eingebürgert“, sagt sie. Pucher arbeitet mit Timer, gewaschen wird bei Sonne, ihre Photovoltaikanlage hat sie erweitert. Die Unternehmerin hat sich einen neuen Energieversorger organisiert nach Ablauf der Bindungsfrist. Statt vorher 36 Cent zahlt sie nun 14 Cent – flexibler Tarif. „Meine eigene Strompreisbremse“, meint sie und ergänzt: „Das macht mir richtig Spaß.“ Zehn Minuten habe es gedauert, und sie habe 1200 Euro im Jahr gespart. Pucher verhandelt überall nach – Versicherung, Softwarepaket, nix ist fix. Allein beim Waschen spare sie 70 Euro. Am Ende ist sie mit ihren Optimierungsplänen noch lange nicht. „Vielleicht muss man auch Geräte tauschen oder einen Waschgang weniger waschen.“
Überzeugungsarbeit nötig
Pucher klingt noch immer elektrifiziert, wenn sie aufzählt, was sie noch vorhat. Ihren 17-jährigen Sohn hat sie noch nicht überzeugt, es ihr gleichzutun. Er habe jetzt eine Freundin, ebenfalls computerspielebegeistert. „Die Klimaanlage läuft, bis ich sie abdrehe.“ Wir hören einander noch einmal im November.
Bei Anja Haider-Wallner hat sich bis zu diesem Monat viel getan. Sie ist mittlerweile Landessprecherin der Grünen und Klubobfrau im Eisenstädter Gemeinderat. Ihre Funktion im Freu-Raum hat sie zurückgelegt. Was die staatliche Unterstützung betrifft, sagt sie nun als Politikerin: Die Pauschalförderung für Kleinbetriebe ist viel zu spät gekommen. Zudem sei sie falsch konzipiert gewesen. „Im Verhältnis zu den tatsächlichen Mehrkosten ist das allenfalls ein Trostpflaster gewesen.“ Sie ist jetzt aber ohnehin mit ihrer neuen Funktion eingedeckt.
Auch Manuela Pucher zieht Resümee. Für sie sei es ein erkenntnisreiches Jahr gewesen. „Ich habe mich sehr viel mit dem Stromverbrauch meiner Geräte auseinandergesetzt, viele meiner Routinen verändert.“ Mit der Wirtschaftspolitik ist sie nicht zufrieden. Sei sei Unternehmerin und es gewohnt, „nix geschenkt zu bekommen“. Sie findet es „allerdings traurig, dass die österreichische Politik nicht imstande ist, die Inflation zu senken, wie es in so vielen EU-Staaten sehr wohl gelungen ist“.
„Es war der totale Schock. Wir haben uns gefragt: Wie soll das gehen?“
„Energiesparen hat sich komplett eingebürgert. Ich habe viel verändert.“
Der Standard