Europa kann Klimaschutz

19. Jänner 2024, Wien

Klima. Die Emissionen der EU sinken so rasch wie nirgendwo sonst. Aber die Angst vor steigenden Kosten und dem Unmut der Wähler gefährdet das Erfolgsprojekt.

Es mag ja sein, dass manche Europäer schön langsam „klimaschutzmüde“ sind, wie jüngste Umfragen zur kommenden EU-Wahl nahelegen. Brüssel hat den Menschen in den vergangenen Jahren auch wirklich einiges an gedanklicher Veränderungbereitschaft abverlangt. Aber eines muss man der Europäischen Union lassen: Sie hat ihre Treibhausgasemissionen so rasch reduziert wie kein zweiter vergleichbarer Wirtschaftsraum. Und das, ohne ernsthaft am Wohlstand der Bürger des Kontinents zu kratzen, so das Ergebnis eines neuen Berichts des Europäischen Klimabeirats.

Seit dem Jahr 1990 hat die EU ihre Treibhausgasemissionen um 32,5 Prozent gesenkt. Nur Russland schaffte durch den Zusammenbruch der Sowjetunion am Papier ein noch stärkeres Minus. Finale Zahlen gibt es erst bis 2022. Doch auch im vergangenen Jahr dürften die Emissionen der EU um weitere fünf Prozent gesunken sein, so die Erwartung des Global Carbon Projects. Und dabei handelt es sich keineswegs nur um die Export europäischer Emissionen durch die Verlagerung der Industrie in Richtung Asien. In den Jahren zwischen 2010 und 2020 sanken der Treibhausgasausstoß innerhalb der Grenzen der EU und die sogenannten konsumbasierten Emissionen, also jene CO2-Mengen, die Europäer durch ihren Einkauf in anderen Weltregionen auslösen, in etwa gleich rasch, so die Analyse des unabhängigen wissenschaftlichen Beirats, der die Kommission mit Fakten zur Klimapolitik versorgt.

Europas Angst vor dem Wähler

„Diese deutliche Emissionsreduktion der EU ist sowohl das Ergebnis klimapolitischer Fortschritte als auch die Folge des Krieges Russlands gegen die Ukraine“, sagt Edgar Hertwich, Mitglied des EU-Klimabeirats und Professor an der Norwegian University of Science and Technology. Zwar sei Europa bewusst, dass es alleine die Erderwärmung nicht stoppen könne, weshalb Brüssel zuletzt auch verstärktes Augenmerk darauf gelegt hat, mit Instrumenten wie dem CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM) auch Schwellenländer zu mehr Klimaschutz zu animieren. Doch die gute Entwicklung der Emissionen in Europa gibt dem gebürtigen Österreicher Hertwich auch Hoffnung, dass die EU ihr eigenes „ehrgeiziges Ziel“, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken und bis 2050 klimaneutral zu sein, erreichen könnte.

Das gilt allerdings nur dann, wenn es Europas Nationalstaaten und Wähler zulassen, dass die bisherige Klimapolitik der EU-Kommission konsequent weiter verfolgt wird. Zuletzt mehrte sich in vielen Staaten der Widerstand gegen zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen. Und das, obwohl sich die Sorge, dass die Energiewende den europäischen Wohlstand auffressen werde, bisher vor allem in den Köpfen der Menschen abgespielt hat.

Ein CO2-Preis für alles

Seit 2000 ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf innerhalb der EU inflationsbereiningt von 22.450 auf 28.950 Euro gestiegen, zeigen Eurostat-Daten. Auch die Kaufkraft der Europäer stieg trotz der harten Klimapolitik im letzten Jahrzehnt beständig.

Doch das könnte sich nun ändern, mahnen Kritiker ein. Denn die nationale Umsetzung der bereits beschlossenen EU-Politik ist nicht einfach, von der Renovierung des Gebäudebestands bis hin zum Ausbau des Stromnetzes. Zudem müsste der bisherige Kurs nach Ansicht der Wissenschaftler auch deutlich verschärft werden, um die Ziele wirklich zu erreichen. Dass Europas Wälder überaltern und damit weniger Kohlendioxid binden können,. verschärft die Lage zusätzlich.

Das 55-Prozent-Ziel bis 2030 mache demnach etwa eine Verdoppelung der Emissionsreduktion der vergangenen Dekade notwendig. Soll auch der Kurs in Richtung Klimaneutralität gehalten werden, müssten die Emissionen bis 2040 um 90 bis 95 Prozent gegenüber 1990 sinken. Ohne Einführung von spürbaren CO2-Preisen in nahezu allen Bereichen des Lebens wird das nicht realisierbar sein. Der europäische CO2-Preis für privates Heizen und Autofahren wird ab Mitte des Jahrzehnts bereits Realität. Die Forscher vom Klimabeirat drängen zudem auf die Einführung eines CO2-Preises für den Agrarsektor spätestens ab 2031. Als finanzielle Entlastung für betroffene EU-Bürger und Regionen sieht die Kommission bisher lediglich einen wenig bekannten Klimasozialfonds vor, der Härtefälle abfedern soll.

„Wie der Rest der Welt ist auch Europa spät dran, wenn es darum geht, den tiefgreifenden Wandel einzuleiten, der für den Aufbau einer klimaverträglichen Wirtschaft erforderlich ist. Fehler der Vergangenheit, wie sich von billigem russischem Gas abhängig zu machen, bedeuten jetzt eine kostspielige Kurskorrektur“, meint der Studienautor Edgar Hertwich.

Kurskorrektur in Nationalstaaten

Nun liegt es an den Nationalstaaten, diese Kurskorrektur auch an ihre Wähler zu verkaufen. Bis Mitte 2024 müssen die EU-Mitglieder ausreichend ambitionierte Nationalen Energie und Klimapläne (NEKP) vorlegen, die den Zielen der Kommission entsprechen. Österreich hat bis dato noch keinen ausreichenden Plan beisammen. Es klafft eine Emissionslücke von 13 Prozentpunkten.

Dabei gäbe es auch höchst effektive Klimaschutzmaßnahmen, die Steuermittel sparen statt die Kosten zu heben, betonen die Wissenschaftler des EU-Beirats in ihrer Studie. Bestes Beispiel dafür ist der lange versprochene Abbau fossiler Subventionen, den auch der Europäische Rechnungshof seit Jahren immer wieder einfordert. Im Vorjahr summierten sich die staatlichen Beihilfen und Steuererleichterungen für den Verbrauch der klimaschädlichen Treibstoffe in der EU immerhin auf 50 Milliarden Euro im Jahr. Tendenz leicht steigend.

von Matthias Auer

Die Presse

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