Von erreichten Zielen über fundamentale Verfehlungen: In Österreichs Klimapolitik gibt es von beidem etwas. Wie wird es weitergehen?
Österreich ist bekannt für seine Erfolge im Erreichen gesetzter Ziele: von der gelungenen Diversifizierung und Exportorientierung der Wirtschaft in Schlüsselfeldern wie Energietechnik über eine gelebte Sozialpartnerschaft bis zur europäischen Integration. Und mindestens ebenso bekannt für fundamentale Zielverfehlungen. In Österreichs Klimapolitik gibt es von beidem etwas: den sehr erfolgreichen Ausbau der Erneuerbaren ebenso wie die mehr als drei Jahrzehnte währenden Verfehlungen bei den Gesamtzielen der Treibhausgasreduktion.
Ob aus Letzteren nach der Emissionsreduktion 2022 und 2023 um sechs bzw. sieben Prozent doch noch eine Erfolgsgeschichte werden kann, entscheidet sich gerade. Gelingt es nicht, dürften auch die Exportstärke Österreichs und der Wirtschaftsstandort deutlich darunter leiden, vor allem in den oben genannten Schlüsselfeldern.
Worauf blicken wir hierzulande im Klimaschutz zurück? In der ersten internationalen Zielfestlegung sagte Österreich in Toronto 1988 eine Reduktion seiner CO2-Emissionen um 20 Prozent bis 2005 zu – geworden ist es bis 2005 hingegen eine Zunahme um knapp 39Prozent! Im Rahmen der Verhandlungen zum völkerrechtlich erstmals verbindlichen Klimaabkommen von Kyoto 1997 legte Österreich zunächst ein Angebot, die Treibhausgasemissionen bezogen auf 1990 bis 2008–2012 um 25Prozent zu senken.
Mithilfe der Corona-Lockdowns
Der damalige Umweltminister, Martin Bartenstein, bekam von seinen Regierungskolleg:innen für die Verhandlungen in Kyoto nur mehr das Pouvoir, „maximal die Hälfte dieser 25Prozent“ verbindlich zuzusagen. Als die Uhren am letzten Verhandlungstag in Kyoto angehalten worden waren und immer noch einige Millionen Tonnen fehlten, legte Österreich – nunmehr schon als Beitrag auch zum EU-Ziel – noch ½Prozent zu den 12,5 Prozent dazu. Auch dieses Ziel von somit 13Prozent verfehlte Österreich, denn wieder waren die Emissionen bis zur Zielperiode gestiegen statt gesunken und lagen um 18,8 Prozent über dem versprochenen Zielwert. Formal erfüllt wurde das Ziel durch Zukauf von Emissionsrechten im Ausland um zumindest 500Millionen Euro und damit für heutige Maßstäbe noch vergleichsweise billig.
Das nächstfolgende Ziel war das Effort-Sharing-Ziel im Kontext der EU. Gesetzt für das Jahr 2020 ging es um eine Reduzierung von 20Prozent in den national verantworteten Emissionsbereichen (nunmehr bezogen auf 2005, ein im Fall Österreichs viel höheres Ausgangsniveau). Zum ersten Mal konnte Österreich – unter nicht unwesentlicher Mithilfe der Corona-Lockdowns – die Vorgaben einhalten. Für ebendiese national verantworteten Emissionsbereiche hat sich Österreich innerhalb der EU zuletzt verpflichtet, die Emissionsreduktion (weiterhin gegenüber 2005) bis 2030 auf 48Prozent zu erhöhen.
Im Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP), den die Kommission bis Ende Juli 2024 von Österreich in der Endfassung erwartet, ist darzulegen, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Es scheint dazu allerdings nicht nur unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Art der Übermittlung zu geben– der vom Klimaministerium koordinierte und nach einer öffentlichen Konsultationsphase nach Brüssel übermittelte Entwurf wurde von der Europaministerin wieder zurückgezogen.
Fossile Politik schadet Standort
Auch inhaltlich sind die Ressorts geteilter Meinung, insbesondere bei der Frage, ob ein wesentlicher Teil der nationalen Verpflichtungen nicht durch Emissionsreduktion, sondern durch Transferzahlungen ans Ausland erfüllt werden sollte. Reflektiert man diese Frage volkswirtschaftlich, fallen nicht nur die durch das nun striktere EU-Reduktionsziel von 55Prozent viel höheren Preise pro Tonne Zielverfehlung ins Gewicht. Eine solche Strategie erscheint vor allem auch in zwei weiteren Dimensionen äußerst fragwürdig.
Die Reduktionsverpflichtungen werden nach 2030 für Österreich noch deutlich ansteigen, wir würden uns durch eine neuerliche Verzögerung der Reduktion massive Zusatzbelastungen einhandeln – je später wir aus fossiler Energie aussteigen, umso teurer ist der Umstieg. Und wohl noch gewichtiger: Eine weiterhin fossile Politik würde dem Wirtschaftsstandort und unserer Exportstärke schaden.
Dass die zentrale Zukunftsorientierung in einem Umbau hin zur nachhaltigen und klimafreundlichen Wirtschaft liegt, zeigen in der EU z.B. die Lieferketten-Richtlinie, die Taxonomie oder Finanzmarktregulierungen. UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnet mangelnden Klimaschutz als die größte systemische Bedrohung für die Weltwirtschaft und das bisher zu zögerliche Handeln als massiv verpasste Chance. Der volkswirtschaftlich empfehlenswerte Weg ist die unmittelbare Emissionsreduktion. Der NEKP-Entwurf stand im Sommer 2023 zur öffentlichen Kommentierung zur Verfügung. In den 107 auch öffentlich verfügbaren Stellungnahmen zahlreicher Institutionen – von A wie Amt der Burgenländischen Landesregierung bis W wie Wirtschaftskammer Österreich – wurden knapp 1400 Maßnahmen vorgeschlagen, wie die Emissionsreduktion über das im Entwurf erreichte Niveau von 35Prozent auf die erforderlichen 48Prozent angehoben werden kann.
Im Kontext des Climate Change Centre Austria (CCCA) bewerteten 52Wissenschaftler:innen die Maßnahmenvorschläge und identifizierten insbesondere jene, die hohes Reduktionspotenzial aufweisen und so gestaltet werden können, dass sie nicht im Konflikt mit anderen UN-Nachhaltigkeitszielen stehen. Im Entwurf selbst waren nur Maßnahmen enthalten, die innerhalb der Regierung schon akkordiert waren (wenn auch damals noch nicht parlamentarisch verabschiedet, wie das Erneuerbare-Wärme-Gesetz).
Vorschläge auf dem Tisch
Das Ergebnis kurz zusammengefasst (die CCCA-Analyse erscheint im Februar): In allen Politikfeldern gibt es hoch empfehlenswerte Maßnahmen, jeweils mit ergänzender Begleitgestaltung zur Gewährleistung von weiteren Politikzielen, von Biodiversitätserhalt bis Verteilungsgerechtigkeit. Im Verkehr zählen insbesondere die Einführung der Kostenwahrheit, die Schaffung von Anreizen zum raschen Umstieg auf alternative Antriebe oder die Einführung eines Erfolgsmonitorings dazu.
Im Gebäudebereich geht es um die Etablierung der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen ebenso wie um die bundesweite Fortsetzung der Sanierungsoffensive in Verbindung mit der Etablierung einer langfristigen und sanierungsfreundlichen Förderpolitik sowie um eine Klimareform der rechtlichen Materie „Wohnen“. Im Bereich Abfall und Kreislaufwirtschaft kommt der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung bei Müllverbrennungsanlagen das höchste Potenzial zu, wofür grundlegende gesetzliche Änderungen erforderlich wären, aber etwa auch ein flächendeckendes Treibhausgasmonitoring wird als prioritär identifiziert.
Vorschläge liegen also auf dem Tisch, jetzt braucht es noch eine „NEKP“ – eine naheliegende, effektive, konstruktive Politik–, damit sie unsere Zukunft sichern.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
Der AutorKarl W. Steininger ist Professor für Klimaökonomik und Leiter des Wegener-Center für Klima und globalen Wandel der Universität Graz. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Produktivitätsrats der Bundesregierung.
von Karl W. Steininger
Die Presse