Schlüsselposition für eine grüne Energiezukunft

31. Jänner 2024

Interview. Mag. Stefan Wagenhofer, Geschäftsführer von Gas Connect Austria und ÖVGW-Vizepräsident, über die zentrale Rolle Österreichs bei der Verteilung von Wasserstoff in Europa

Warum brauchen wir Grünes Gas und welche Herausforderungen muss die Gasinfrastruktur in Zukunft bewältigen?
Stefan Wagenhofer: Grüne Gase wie Biogas aus Reststoffen, Wasserstoff, synthetische Gase und synthetische Kraftstoffe (sogenannte E-Fuels) sind, genau wie Erdgas, vielfältig einsetzbar. Erneuerbarer Strom wird nicht ausreichen, um den gesamten Energiebedarf zu decken, selbst wenn es uns gelingt, durch Energieeffizienzmaßnahmen Einsparungen zu erzielen. Zudem gibt es vor allem in der Industrie schwer zu dekarbonisierende Zweige, in denen eine Elektrifizierung entweder gar nicht oder nur zu volkswirtschaftlich nicht vertretbaren Kosten möglich ist.

Mit klimaneutralem Wasserstoff und Biomethan stehen jedoch gasförmige Energieträger zur Verfügung, mit denen eine Dekarbonisierung in Industrie, Raumwärme und Mobilität möglich ist und die über eine bereits weitgehend vorhandene Leitungs- und Speicherinfrastruktur saisonübergreifend bereitgestellt und verteilt werden können. Außerdem ist das Potenzial an Emissionseinsparungen enorm und rasch umsetzbar.

Welche Rolle wird Grüner Wasserstoff in Zukunft spielen?

Wasserstoff birgt als vielseitig einsetzbarer Energieträger große Potenziale für den Weg zu einer klimaneutralen Energieversorgung. Ein wesentlicher Vorteil von Wasserstoff liegt darin, dass er in der Lage ist, große Mengen an erneuerbaren Energiequellen zu speichern. Das hilft uns, die saisonalen Schwankungen zwischen Sommer und Winter in der Energieerzeugung durch Sonne und Wind auszugleichen und somit eine kontinuierliche Versorgung mit erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Wasserstoff kann langfristig gespeichert werden und bei Bedarf jederzeit über das weit verzweigte Gasnetz verteilt werden.

Bisher wird Wasserstoff vor allem in der chemischen Industrie, zum Beispiel zur Herstellung von Stickstoffdünger, in Erdölraffinerien zur Raffinierung von Mineralöl oder bei der Herstellung von synthetischen Kraftstoffen verwendet. Darüber hinaus gibt es Industrieprozesse, die sich nicht oder nur sehr schwer elektrifizieren lassen, zum Beispiel die Stahlerzeugung oder die Ammoniakproduktion. Aktuell werden dafür meist Kohle oder Erdgas genutzt. In Zukunft könnten diese Prozesse zunehmend auf Wasserstoff umgestellt werden.

Hier liegt großes Potenzial, CO₂ einzusparen und so das Klima zu schützen: Je mehr Prozesse auf Wasserstoff umgestellt werden, desto weniger CO₂ wird ausgestoßen. Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar. Im System können erneuerbare Energien als chemische Energie gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt zum Beispiel mittels Brennstoffzellen wieder in elektrische Energie umgewandelt werden – und das vollkommen emissionsfrei.

Kann Grüner Wasserstoff über die vorhandene Gasin-frastruktur transportiert werden?

Ein paar Adaptionen müssen schon vorgenommen werden, aber im Großen und Ganzen kann man die Frage bejahen. Eine Untersuchung des deutschen Gasnetzes hat ergeben, dass sich deren Stahlleitungen für den Transport von 100 Prozent Wasserstoff eignen. Auch in Österreich wurden im Rahmen der Forschungsinitiative „Green Gas 4 Grids“ entsprechende Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse waren ähnlich positiv. Anpassungen wird es etwa bei Dichtungen in Messeinrichtungen oder den Austausch von Kompressoren geben, aber bis zum Start werden diese Aufgaben gelöst sein. Umso mehr als ja auch die Forschungsaktivitäten voranschreiten. Vor allem die erwähnte Forschungsinitiative „Greening the Gas“ gibt gezielt wissenschaftliche Projekte zu diesen Fragen in Auftrag. Unser Ziel ist, mit unseren Pipelines eine Schlüsselposition bei der Verteilung von Wasserstoff in Europa einzunehmen. Die heimische Wasserstoff-Produktion wird uns nicht ausreichen.

Woher werden wir den Wasserstoff beziehen?

Österreich liegt für die gesamte europäische Wasserstoff-Versorgung strategisch in einer wichtigen Position und ist durch das bereits vorhandene Gas-Fernleitungsnetz für den Transport von Wasserstoff sehr gut aufgestellt. Der italienische Gasnetzbetreiber SNAM plant, Österreich und Deutschland bis spätestens 2030 mit grünem Wasserstoff aus Nordafrika zu versorgen. Das Projekt „South H2 Corridor“ wird von einem Konsortium aus vier Firmen betrieben und soll von Tunesien und Algerien über Italien und Österreich bis nach Bayern verlaufen. SNAM möchte für den Transport hauptsächlich das bestehende Erdgas-Pipelinenetz nutzen. Konkret soll der Wasserstoff über 3300 Kilometer lange Wasserstoffpipelines von Nordafrika nach Italien, Österreich und Deutschland transportiert werden. Er kann aber auch aus Rumänien oder der Ukraine kommen, zwei weiteren zukünftigen Hoffnungsgebieten für die Wasserstoffproduktion. Und gleichzeitig kann Wasserstoff, der in den windreichen Regionen Norddeutschlands oder der Niederlande erzeugt wird, über das vorgelagerte Pipelinenetz zu uns nach Österreich und von dort weitertransportiert werden. Das Projekt „H2 Backbone Murfeld“ setzt auf die Erweiterung der bestehenden Süd-Ost-Leitung für den Wasserstofftransport. Damit könnte künftig grüner Wasserstoff aus Kroatien und Italien nach Österreich und Europa befördert werden.

Welche Projekte sind für den H2-Transport und die H2-Speicherung geplant?

Ein Schlüsselaspekt der Energiewende ist, dass ausreichend Energie-Speichersysteme zur Verfügung stehen, um eine stabile und durchgängige Energieversorgung sicher zu stellen. Da elektrische Energie bei weitem nicht im benötigten Ausmaß speicherbar ist, gilt es daher, das enorme Speicherpotenzial von Gas zu nutzen und die Möglichkeiten der Umwandlung von nachhaltig erzeugtem Strom in Grünes Gas als festen Bestandteil im Energiesystem der Zukunft zu verankern. Gas Connect Austria engagiert sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene für den Ausbau der H2-Infrastruktur, um die künftige Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft mit nachhaltiger Energie sicherzustellen.

Welche Maßnahmen müsste die Politik setzen, um den Prozess voranzutreiben?

Den Aufbau der Transportwege sehe ich nicht nur als Aufgabe der beiden österreichischen Fernleitungsbetreiber an, sondern auch als Aufgabe der Politik. Wir müssen dafür sorgen, dass Österreich über ein leistungsfähiges Wasserstoff Startnetz verfügt, damit unsere Industrie und unsere Kraftwerke Wasserstoff aus verschiedenen Quellen beziehen können. Diese Diversifizierung ist sowohl für die Versorgungssicherheit wichtig als auch die Grundlage dafür, dass sich ein Wettbewerb zwischen mehreren Anbietern entwickeln kann. Damit sich ein integrierter Wasserstoffmarkt in ganz Europa etablieren kann, ist es notwendig, dass die entstehenden Wasserstoff-Cluster aus Produzenten und Abnehmern in nationalen und internationalen Leitungssystemen verbunden sind. Für so ein European Hydrogen Backbone (europäisches Wasserstoff-Leitungsnetz) braucht es einheitliche Standards und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen.

Links: European Hydrogen Backbone : https:// ehb.eu/
Backbone Murfeld: https:// h2backbone-mur-feld.at/
SouthH2 Corridor: https:// www.south2corridor.net/

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