Windkraft hat trotz Rekorden Luft nach oben

9. Feber 2024, Wien

Klimapolitik. Türkis-Grün will die nächtliche Beleuchtungspflicht von Windrädern abschaffen, um deren Akzeptanz zu erhöhen. Trotz Rekordzahlen beschwert sich die Branche über die „Stop and go“-Politik von Bund und Ländern.

Winter ist Windstromzeit. Zwei Drittel des gesamten Windstroms in Österreich wird im kalten Halbjahr erzeugt. 1426 Windanlagen mit einer Leistung von 3885 Megawatt gab es Ende 2023 im Land. Seit 2011 hat sich ihre Zahl damit mehr als verdoppelt. Der Anteil des Windstroms am gesamten Stromverbrauch steigt damit stetig an: Im Vorjahr deckte der Wind zwölf Prozent ab.Das bedeutet Platz zwei im Energiequellen-Ranking hinter der Wasserkraft. Der heurige Jahresstart aber übertraf alle bisherigen Rekorde. Noch nie wurde in Österreich in einem Jänner mehr Strom aus Wind gewonnen: Am 7. Jänner wurden 50,4 Prozent des Verbrauchs abgedeckt, am Tag darauf verzeichnete Österreich mit 77 Gigawattstunden europaweit den höchsten Windstromanteil am Gesamtverbrauch.

Doch diesen Jubelmeldungen steht ein großes Aber gegenüber: Die Erneuerbaren-Ausbau-Gesetze der Regierung sind zwar beschlossen, warten aber zum Teil noch auf wichtige Verordnungen. Zudem herrscht ein extremes Ost-West-Gefälle bei der Windkraft – und auch sonst gibt es noch einige Schwierigkeiten.

1 Der Anteil von Erneuerbaren steigt. Liegt das nur an den Grünen?

Die Grünen wollten ihre Handschrift in einer Regierungsbeteiligung vor allem im Ausbau der erneuerbaren Energie hinterlassen. Kurz vor dem Ende der Koalition mit der ÖVP ist anzuerkennen, dass ihnen das über weite Strecken gelungen ist. Nach den Beschlüssen vom Erneuerbaren Wärme- und Ausbaugesetz beanspruchen sie deshalb nicht nur den Fotovoltaikboom – 811.148 Haushalte wurden im Vorjahr mit Sonnenstrom versorgt –, sondern auch die Rekordzuwächse beim Windstrom für sich. Die grünen Gesetze sind aber nur ein Teil der Wahrheit: Der Ukraine-Krieg hat den Wunsch nach Energieunabhängigkeit befeuert. Österreichs Strom war schon zuvor recht grün, was am hohen Anteil der Wasserkraft liegt. 2023 lag der Anteil von Wasserkraft bei 43 Prozent des Verbrauchs.

2 Der Winter ist Windrekordzeit. Wie viel kann der Wind schon abdecken?

61 Prozent des Windstroms wird im Winter erzeugt. Der Jänner 2024 hat Österreich dabei neue Rekorde beschert: Noch nie wurde so viel Strom erzeugt wie am 25.Jänner. Mit insgesamt 1148 Gigawatt pro Stunde wurden im Jänner 20,7 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs abgedeckt. Das sind im Vergleich zum Durchschnitt der letzten fünf Jahre 53 Prozent mehr. „Im Winter kann die Windkraft ihr ganzes Potenzial entfalten“, betonte IG-Geschäftsführer Stefan Moidl in der Vorwoche.

3 Die Regierung schafft nun das nächtliche Blinken der Windräder ab. Wieso?

Wer in der Nähe von Windparks im Osten wohnt oder schon auf dem Flughafen in Wien-Schwechat gelandet ist, kennt das Meer aus roten Lichtern, die in der Nacht den Standort der Windräder verraten. Derzeit ist das Dauerblinken gesetzlich verpflichtend. Es soll der Flugverkehrssicherheit dienen, etwa, wenn kleine Maschinen in Bodennähe fliegen. Die Branche aber fordert schon länger eine Abkehr. Denn das Blinken ist auch aus Sicht von Anrainern oft ein Hindernis zur Akzeptanz von neuen Windparks. Um Gegenargumente weiter in den Hintergrund zu drängen, haben ÖVP und Grüne in der Vorwoche einen Antrag für eine Luftfahrtgesetzesnovelle im Parlament eingebracht. Aus Sicht der Grünen sei das dauerhafte Blinken nicht nötig. Die Austro Control soll es künftig in der Hand haben, die roten Lichter an den Windrädern bei Bedarf anzuschalten, sollte ein Flugzeug in der Nähe sein.

4 In Niederösterreich stehen 797 Windräder, im Westen keines. Wieso?

Trotz der Jubelmeldungen ist die Windbranche alles andere als zufrieden. „Das technische Windkraftpotenzial in Österreich ist enorm“, heißt es seitens der IG Windkraft. Doch deren Sprecher, Martin Jaksch-Fliegenschnee, ärgert sich über die „Stop and go“-Politik im Land. Er führt den Zickzackkurs Anfang der 2000er-Jahre und 2010er-Jahre beim Ökostromgesetz ins Treffen, der sich beim Vergleich der jährlichen Investitionen in den Windsektor deutlich zeigt: 2014 gab es ein Allzeithoch mit 670 Millionen Euro.

Danach ging das Volumen der Investitionen stetig zurück. 2020 wurden etwa nur 40 Millionen Euro investiert. Seit 2021 wurde jährlich mehr als 400 Millionen Euro investiert, für 2024 ist jedoch wieder ein krasser Abfall (180 Millionen Euro) prognostiziert. Zudem geht die Neuerschließung von Windparks von Land zu Land nur spärlich voran. Das änderte sich bisher auch nicht durch die Zuständigkeit der Grünen im Bund, denn die Umsetzung – konkret: die Umwidmung von Flächen – ist größtenteils Länderkompetenz.

56 Prozent bzw. 797 von 1426 Windanlagen stehen in Niederösterreich, gefolgt vom Burgenland (461), von der Steiermark (118), Oberösterreich (31), Kärnten (10) und Wien (9). In Salzburg, Tirol und Vorarlberg gibt es weiterhin kein einziges Windrad, dabei müssten gerade sie ein Interesse an der Windkraft haben, die im Winter ihren Höhepunkt erlebt. Denn zur selben Zeit verbrauchen die Wintersportländer am meisten Strom, der dann oft importiert werden muss.

5 Wieso ist man aktuell auch mit der Bundesregierung unzufrieden?

Kritisiert wird von der IG Windkraft aber auch das grüne Klimaministerium. Man warte immer noch auf die Verordnung zum EAG, um die tatsächlichen Volumina an Förderungen zu erfahren. Das sei seitens der Regierung für Ende 2023 versprochen gewesen.

Stimmt nicht, widerspricht man auf Nachfrage im Büro von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne): Den Verordnungen vorausgegangen sei jeweils ein Gutachten, um zu klären, welche Förderhöhen möglich seien. „Die Arbeiten dazu sind aktuell in der finalen Phase“, heißt es. Die Verordnungen würden „rechtzeitig für die diesjährigen Fördercalls erlassen“. Für den Fotovoltaikbereich habe sich die Förderstruktur bereits „grundsätzlich geändert“. Dort profitierten auch Private schon seit 1.Jänner vom Wegfall der Umsatzsteuer „und bekommen so einfach und unbürokratisch eine Förderung“.

von Julia Wenzel

Die Presse

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