„Klimaneutral werden, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit flöten geht“

26. Feber 2024

Hohe Energiepreise machen insbesondere der Industrie zu schaffen. Beihilfen sind laut Wifo-Chef Felbermayr aber keine Lösung

Balanceakt. „Wollen tun wir alle dasselbe, wie wir hinkommen ist die spannende Frage“, sagte Verbund-Chef Michael Strugl bei einer Veranstaltung in der Österreichischen Botschaft in Berlin. Europa müsse klimaneutral werden, „ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit flöten geht“. Strugls Auftritt in Berlin hat den Hintergrund, dass sich der Verbund in Deutschland breiter aufstellen will.

Die Konjunkturaussichten sind nicht nur in Österreich gedämpft, in Deutschland bezeichnete sie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor Kurzem gar als „dramatisch schlecht“. Die Energiepreise in Europa haben sich nach dem Preisschock 2022 zwar weitgehend normalisiert, sie sind aber deutlich höher als etwa in den USA oder Asien – und werden das voraussichtlich auch bleiben. Die angepeilte Energiewende werde zumindest in einer Übergangsphase zusätzlich Geld kosten, sagte Gabriel Felbermayr vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) bei der Veranstaltung. Insbesondere mit Hinblick auf exportorientierte und energieintensive Bereiche sieht der Ökonom bereits „das Gespenst der Deindustrialisierung“ umgehen. Während der Sektor in Österreich im Vergleich zu 2015 etwas gewachsen ist, ist die Produktion in Deutschland um ein Fünftel zurückgegangen.

Dass Deutschland, einst stolze „Konjunkturlokomotive Europas“ so ins Hintertreffen gerate, liege nicht ursächlich an den hohen Energiekosten, sagte Felbermayr. Die Probleme mit dem Standort hätten sich spätestens 2017 gezeigt. Dazu zählt Felbermayr etwa die vergleichsweise hohe Besteuerung von Lohnarbeit und Unternehmen sowie Defizite in der Infrastruktur.

Punktuelle Energie-Preishilfen seien demnach auch keine geeignete Lösung, sagte Felbermayr. Die Strompreise könnten insgesamt gesenkt werden, etwa durch weniger Abgaben. Jedenfalls werde aber europaweit eine „andere Industriepolitik“ gebraucht.

Dabei müsse zwar dereguliert werden, einen Verzicht auf lenkende Staatseingriffe dürfe das jedoch nicht bedeuten. Die Maßnahmen sollten zielgerichteter erfolgen, um gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Als Beispiele nannte der Ökonom das EU-Lieferkettengesetz und CO₂-Zölle (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM): Beide Konzepte sind laut Felbermayr im Prinzip richtig, die Umsetzung aber schlecht gelungen.

Europa enger vernetzen

Auch im Energiebereich sehen Strugl und Felbermayr die EU-Staaten gefordert. Besonders dringend sei, dass die europäischen Stromnetze massiv ausgebaut werden. Das würde eine effizientere Verteilung von Strom über Staatsgrenzen hinweg ermöglichen, um die geografisch stark unterschiedlichen Potenziale von Windkraft und Photovoltaik besser zu nutzen. Am grundsätzlichen Marktmodell (Merit Order, Anm.), das im Zuge der Energiekrise massiv in die Kritik geriet, würde hingegen weder Strugl noch Felbermayr etwas ändern. Der Staat müsse lediglich im Krisenfall eingreifen können.

Damit der Erneuerbaren-Ausbau wie geplant gelingen kann, müssten laut Strugl vor allem die Genehmigungsverfahren schneller gehen. Der Verbund-Chef verwies dabei beispielhaft auf das bereits vor mehr als einem Jahr angekündigte „Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz“.

Die Pressereise nach Berlin fand auf Einladung der Verbund AG statt.

Kurier

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