Nächster Winter ohne Russengas?

26. Feber 2024, Wien

Energie. Das Kappen russischer Gaslieferungen gilt als wirtschaftspolitisch, ökologisch und moralisch opportun. Österreich tut sich schwer – zumindest bisher.


Rund um den Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine mehren sich die Schreckensmeldungen darüber, wie der treue Gaskunde Österreich Moskaus Krieg finanziert. Tatsächlich kauft das Land – anders als die meisten anderen EU-Staaten – immer noch den Großteil seines Erdgases in Russland ein. Im Dezember waren es 98Prozent, im Schnitt 2023 immerhin 64,7 Prozent. Empört fordert die Politik nun, den „Gashahn aus dem Kreml“ endlich zuzudrehen. Aber kann Österreich das überhaupt, und warum ist das nicht längst passiert?

1 Kann Österreichs Wirtschaft auf Erdgaslieferungen aus Russland verzichten?

Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges war hierzulande (fast) allen klar: Ohne Gas aus Moskau wird es nicht nur kalt im Winter, auch die Volkswirtschaft steht still. Ein Ausstieg war also undenkbar. Aber heute ist die Situation eine gänzlich andere, sagt Carola Millgramm, Gasexpertin der E-Control, zur „Presse“: „Selbst wenn Russland von heute auf morgen kein Gas mehr liefern würde, käme Österreich gut durch diesen und den nächsten Winter“, meint sie. Der Gasverbrauch sinkt stetig (2023 war es ein Minus von 12,5Prozent), es gibt neue Lieferanten und vor allem: Die Speicher sind Ende Februar mit knapp 80Prozent so voll wie lang nicht. Die Republik ist also in einer deutlich komfortableren Lage, um über den Ausstieg nachzudenken, als 2022. Ob und zu welchem Preis sich das Land bis 2027 vom russischen Gas verabschieden kann, soll eine Studie des Wifo klären, die im Sommer vorliegen dürfte.

2 Warum tat sich Österreich mit dem Ausstieg bisher schwerer als andere Länder?

Russland ist vor allem deshalb noch Österreichs größter Gaslieferant, weil die teilstaatliche OMV noch einen langfristigen Vertrag bis 2040 mit der russischen Gazprom hat. Dieser enthält eine sogenannte Take-or-Pay-Klausel, wonach Österreich auch dann bezahlen muss, wenn es das Gas nicht abnimmt. Sechs Milliarden Kubikmeter im Jahr sind vereinbart und werden auch in Österreich landen, so es sich keiner der Beteiligten anders überlegt. Die OMV spricht öffentlich nicht über die Verträge, ziert sich jedoch, juristische Schritte einzuleiten, um frühzeitig aus dem Vertrag herauszukommen.

3 Andere Energiekonzerne arbeiten nicht mehr mit Gazprom. Hatten sie bessere Verträge?

Nein. Langfristige Verträge mit Take-or-Pay-Klausel waren bis vor wenigen Jahren Standard in Europa. Dennoch haben es sieben EU-Staaten geschafft, die Geschäfte mit Russland zu beenden. Uniper und RWE aus Deutschland zogen etwa vor ein Schiedsgericht, als Russland kein Gas mehr über Nord Stream1 nach Deutschland geliefert hat. Österreich erlebte zwar Schwankungen bei den Liefermengen, aber keinen kompletten Lieferstopp. Heute fließt das Gas wieder wie vereinbart. Der polnische Energieversorger PGNIG und die finnische Gasum wiederum nutzten Russlands Forderung, Gas nur noch in Rubel zu bezahlen, für den Ausstieg. Die OMV hingegen beugte sich Moskaus Willen – freilich zu einer Zeit, als die Versorgungslage besonders kritisch war.

4 Was hat die Bundesregierung für den Ausstieg bislang getan?

Erst am Mittwoch passierte das Erneuerbaren-Gas-Gesetz (EGG) den Ministerrat. Bis 2030 soll damit der Anteil von biologischem Methan, landläufig „Biogas“, das aus Holzresten, landwirtschaftlichen Abfällen oder Biomüll gewonnen wird, deutlich steigen. Begonnen wird damit bereits heuer (0,35 Prozent), bis 2030 sollen es 9,75 Prozent sein. 2040 soll der gesamte (bis dahin insgesamt stark gesunkene) Verbrauch vollständig von Biogas gedeckt werden. Zudem erarbeitet das Klimaschutzministerium gerade eine Novelle des Diversifizierungsgesetzes, um die Versorger zu verpflichten, einen steigenden Anteil von nicht-russischem Gas nachzuweisen. Der Gazprom-Speicher in Haidach wurde inzwischen enteignet, in Oberösterreich die Pipeline WAG-Loop genehmigt. Die Umsetzung ist aufgrund von Streitigkeiten über die Finanzierung allerdings noch offen.

5 Fehlt der politische Druck oder können die Unternehmen wirklich nicht anders?

Der politische Wunsch, dass sich österreichische Unternehmen vermehrt um nicht russisches Gas umsehen, sei durchaus berechtigt, sagt Carola Millgramm. „Die Lieferanten haben eine Pflicht, ihre Kunden auch sicher zu versorgen“, sagt sie. Allein das Risiko, dass ab 2025 der Gastransit durch die Ukraine gestoppt und kein russisches Gas mehr ins Land kommen könnte, sollte sie dazu bewegen, zu Großhändlern zu wechseln, die nicht nur auf Russland bauen. Der führende heimische Großhändler, die OMV, wiederum argumentiert, sich ausreichend alternative Gasmengen gesichert zu haben. Ohne „gesetzliche Grundlage“ sei aber kein risikoloser Ausstieg möglich. Im Parlament (mit Abstrichen bei der FPÖ) herrscht eigentlich Einigkeit darüber, sich von Russland abnabeln zu wollen. Sobald es jedoch konkret wird, vermied es die Politik bisher, klare Ansagen zu machen – und die Konsequenzen zu tragen.

von Matthias Auer und Julia Wenzel

Die Presse

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