Energiewende als Falle: Kleinwasserkraft gegen Biodiversität

28. Feber 2024, Wien

Artenvielfalt. Der Biodiversitätsrat sieht die Artenvielfalt gefährdet, wenn Kleinwasserkraftwerke einen Boom erleben sollten.

In Österreich gibt es mehr als 3150 Wasserkraftwerke (2005 waren es knapp 2400), wobei die überwiegende Mehrheit (etwa 95%) auf kleine Kraftwerke entfallen, die eine Leistung von weniger als zehn Megawatt haben. Für ein klimaverträgliches Energiesystem ist der Ausstieg aus der fossilen Energie unerlässlich. Ein Bestandteil dieser Energiewende ist der Ausbau der Wasserkraft.

Derartige Projekte bewegen sich im Spannungsfeld Energiewende und Schutz der Artenvielfalt. Die sieht der österreichische Biodiversitätsrat allerdings gefährdet, wenn es zu einem Boom bei Kleinwasserkraftwerken komme. In einer Aussendung des Biodiversitätsrats heißt es dazu, dass die Tausenden an Kleinwasserkraftwerken „weniger als 15% der jährlich produzierten Wasserkraft liefern“.

Dem stünden „verheerende ökologische Konsequenzen“ in österreichischen Gewässern gegenüber, denn jedes Wasserkraftwerk bedeute auch „lokal Lebensraumverlust und fragmentiert Fließgewässer im größeren Maßstab“.
„Aus unserer Sicht ist es nicht tragbar, wenn Kleinwasserkraftwerke in besonders sensiblen und für die Biodiversität wichtigen Flächen errichtet werden“, sagt Simon Vitecek, Assistent am Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Universität für Bodenkultur in Wien (Boku). „So ein hohes ökologisches Potenzial haben wir zum Beispiel in der Steiermark und in Kärnten im Koralm-Gebiet. Oder in den Lebensräumen von Huchen und gefährdeten Muschelarten.“ Der Biodiversitätsrat schlussfolgert, dass es einer „maßvollen, zukunftsorientierten Energiepolitik“ bedarf, „die nicht die pekuniären Interessen einzelner im Blick hat, sondern unser schönes Österreich zu bewahren trachtet – gerade angesichts der Biodiversitätskrise und des Klimawandels. In erster Linie gilt es, den Gesamtverbrauch an Energie zu reduzieren. Die Reduktion des Energieverbrauchs muss deshalb wesentlich höhere Priorität genießen als die Zerstörung wertvollen Naturkapitals durch neuen Kraftwerksbau.“ Dagegen sagt Paul Ablinger, Geschäftsführer von Kleinwasserkraft Österreich: „Der Eingriff in den Naturraum ist begrenzt.“ Eine Studie in Südtirol, wo die Biodiversität oberhalb und unterhalb eines Kleinwasserkraftwerks untersucht wurde, belege. „Es war kein Unterschied feststellbar“, so Ablinger.

Aufgrund der ihm vorliegenden Daten sei die Zahl der Kleinwasserkraftwerke viel größer und liege bei 4000. Im Zuge der Energiewende peilt er an, dass 400 bis 500 Kleinwasserkraftwerke zusätzlich errichtet werden. „Und wenn wir über die Rolle der Kleinwasserkraftwerke reden, dürfen wir nicht nur auf die Stromgewinnung schauen, sondern müssen auch die stabilisierende Funktion für Stromnetze im Auge haben.“

Bei den Auswirkungen auf den Naturraum müsse man im ersten Schritt einmal den Zustand des betreffenden Flusses und der Uferbereiche betrachten, die vielerorts bereits jetzt in einem nicht vorteilhaften Zustand seien. Und außerdem: Es gebe Zehntausende von Querbauten in Flüssen (ohne Stromgewinnung). „Und außerdem haben Längsbauten – Dämme – entlang von Flüssen in den meisten Fällen nachhaltig negative Auswirkungen auf die Biodiversität.“ Der WWF hat gemeinsam mit der Boku eine Studie erstellt, die Österreichs Flüsse unter die Lupe nimmt. Quintessenz: Mehr als ein Drittel der Flussläufe sollte unberührt bleiben.

von Michael Lohmeyer

Die Presse

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