Zertifikatehandel. Die WKÖ drängt darauf, Verschmutzungsrechte von anderen EU-Staaten schon jetzt zu kaufen, um beim Verfehlen der Klimaziele 2030 Strafzahlungen zu entgehen. Wie sinnvoll wäre das? Leonore Gewessler Klimaschutzministerin (G)
Österreich hat sich gegenüber der EU vertraglich dazu verpflichtet, bis 2030 um 48 Prozent weniger Treibhausgase als 2005 auszustoßen. Das gilt für alle Bereiche, in denen derzeit noch fossile Brennstoffe verwendet werden, also beim Pkw- und Lkw-Verkehr, bei der Wärme- und Warmwassererzeugung in Österreichs Häusern oder in der Stromproduktion.
Das Umweltbundesamt hat vorgerechnet, dass mit den vorhandenen Maßnahmen eine Reduktion von 35 Prozent möglich sein könnte, was gleichzeitig bedeutet, dass eine Lücke auf das Minus-48-Prozent-Ziel besteht. Es müssten also neue Regelungen oder Gesetze her, damit das Ziel erreicht werden kann.
In den kommenden Tagen werden Wissenschafter vom Climate Chance Center Austria empfehlen, wie das Ziel erreicht werden kann: Die Forscher haben die öffentlichen Stellungnahmen zu Gewesslers 2030-Klimaplan (NEKP) durchforstet und sie auf Wirkung und Umsetzbarkeit analysiert.
Eine Stellungnahme stach dabei heraus – jene der Wirtschaftskammer. Denn schon auf Seite 1 des Dokuments wird zuerst kritisiert, dass das 2030-Ziel „überschießend, vor allem aber überproportional hoch ist im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten“ sei. Daher werde es als „erforderlich“ angesehen, „Emissionsberechtigungen zuzukaufen“.
Gemeint sind damit innerhalb der EU handelbare Zertifikate, die das Recht zur Emission von Treibhausgasen gewähren. Das können aber nur Staaten verkaufen, die ihre Klimaziele übererfüllen.
Günther Lichtblau vom Umweltbundesamt erklärt, wie in der EU dieses System des Zertifikatehandels aussieht: „Neu ist dabei, dass nur Mitgliedstaaten der EU handeln dürfen. Zertifikate gibt es noch gar nicht, sie werden auch nur kaufbar sein, wenn EU-Staaten ihre Klimaziele übererfüllen.“
Das könne etwa auf die nordischen Staaten zutreffen, die Klimaschutz sehr ernsthaft betreiben, wie auch auf osteuropäische Staaten mit derzeit noch viel fossiler Energiegewinnung, die man einfach umstellen können wird. Lichtblau geht aber auch davon aus, dass es nur wenige Zertifikate zu kaufen geben wird, man müsse entsprechend hohe Kosten erwarten.
Dementsprechend würde der Experte nicht empfehlen, Zertifikate zuzukaufen: „Wer das macht, kommt in ein systemisches Problem, denn damit substituiert man ja nur Klimaschutzmaßnahmen in anderen Staaten. Alle EU-Staaten müssen bis spätestens 2050 klimaneutral sein.“
Wenn alle scheitern?
Doch was, wenn zahlreiche EU-Staaten ihre Ziele nicht erfüllen und es bei Weitem nicht ausreichend Zertifikate gibt? „Grundsätzlich würden dann Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und Strafen ausgesprochen werden. Die EU-Politik könnte aber auch versuchen, Ziele zu verschieben.“
Die Klimaministerin hält
– nicht überraschend – wenig von der WKÖ-Forderung, jetzt schon Zertifikate zu kaufen: „Das ist überhaupt keine Frage: Investitionen in den Klimaschutz in Österreich sind immer vernünftiger als Geld ins Ausland zu überweisen“, erklärt Leonore Gewessler. Sie meint, „vom mutigen Klimaschutz in Österreich profitieren wir doppelt: Wir schaffen heimische Wertschöpfung und sorgen für mehr Lebensqualität. Jetzt nichts tun, dann Strafe zu zahlen und am Ende noch größere Herausforderungen haben, ist nicht mein Zugang.“
Auch die Umweltschutzorganisation Global 2000 lehnt den Zukauf von Zertifikaten „als Ersatz für wirksame Klimaschutzmaßnahmen klar ab“. Laut Finanzministerium könne die Verfehlung der Klimaziele 4,7 Milliarden Euro an Kosten für den Zukauf von CO₂-Zertifikaten verursachen. „Bei höheren Zertifikatspreisen kann die Summe aber auch deutlich höher ausfallen. Gleichzeitig zeigen Studien, dass wir mit wirksamen Klimaschutzmaßnahmen ans Ziel kommen können, wie das auch andere Länder, etwa Schweden, vorzeigen“, so Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher der Umweltschutzorganisation.
„Gleichzeitig kauft man sich durch CO₂-Zertifikate nur wenig Zeit. Denn die EU-Kommission hat schon vorgeschlagen, die Emissionen bis 2040 um 90 % zu reduzieren.“
„Investitionen in den Klimaschutz sind immer vernünftiger, als Geld ins Ausland überweisen“
Leonore Gewessler Klimaschutzministerin (G)
Fakten
Klimaziele
Österreich hatte
das Kioto-Klimaziel (2008–2012) verfehlt und musste dafür fast eine halbe Milliarde Euro Strafe zahlen. Als neues Ziel wurde für 2030 eine CO₂-Reduktion von 48 Prozent vereinbart. Diskutiert wird derzeit
das Ziel für 2040, die EU-Kommission fordert eine Reduktion um 90 Prozent
Aktuelle Daten
Die Treibhausgas-Emissionen
in Österreich sind von 2021 auf 2022 um 5,8 Prozent gesunken und lagen bei 72,8 Millionen Tonnen CO₂.
Für 2023 zeichnet sich ein weiteres Jahr mit einem deutlichen Rückgang der
Emissionen gegenüber dem Vorjahr ab. Demnach werden die Emissionen 2023 um etwa 7 Prozent sinken
Kurier