Analyse. Der Preis für CO2 in Europa ist im letzten Jahr um die Hälfte eingebrochen. Das erschwert Staaten und Unternehmen die Finanzierung der grünen Wende.
Gäbe es auf der Welt nur Ökonomen, die Klimapolitik würde deutlich einfacher aussehen, als es heute der Fall ist. Die einzige, weil effizienteste, Maßnahme wäre dann wohl ein Preis für das Emittieren von Treibhausgasen. Die EU hebt so einen Preis für jede Tonne CO2 seit 2005 von der Industrie und der Stromwirtschaft ein. Ab 2027 sollen auch die privaten Haushalte für den Verbrauch von fossilen Rohstoffen CO2-Zertifikate benötigen. Doch aktuell mehren sich Zweifel, dass der CO2-Preis auch wirklich bewirkt, was die Volkswirte von ihm erhoffen.
In den vergangenen zwölf Monaten ist der Kurs für europäische CO2-Zertifikate an der Börse nämlich fast um die Hälfte eingebrochen (siehe Grafik). Mit aktuell etwas über 50 Euro je Tonne ist die Signalwirkung an Investoren, ihr Geld doch besser in klimafreundliche Projekte zu stecken, denkbar gering. Die Gründe für den Preisverfall sind simpler Marktlogik geschuldet: Europas Wirtschaft schwächelt, der massive Ausbau der Erneuerbaren dämpft den fossilen Energieverbrauch, Europas Emissionen sinken. Entsprechend niedrig ist die Nachfrage nach den Verschmutzungsrechten. Dazu kommt, dass Brüssel erst 2022 zusätzliche Emissionsrechte in den Markt gepumpt hat, um Europas Abschied von russischen Gaslieferungen zu ermöglichen. So weit, so funktionsfähig dieser CO2-Markt: Es gibt mehr Angebot als Nachfrage, also sinkt der Preis.
Was allerdings überrascht ist, wie wenig weit die Investoren an der Börse in diesem Fall nach vorne blicken. Denn viele der preisdämpfenden Effekte sind kurzlebig und die strenge Klimapolitik der EU ist wohl der beste Grund, an steigende CO2-Preise zu glauben. So müssen ab heuer etwa auch Schiffe CO2-Rechte erwerben, was die Nachfrage erhöht. Zudem nimmt die EU schrittweise Zertifikate vom Markt. Bis 2030 sollen um 62 Prozent weniger als 2005 verfügbar sein. Die Chancen, dass der Preis schon bald wieder steigt, sind also hoch. Dennoch wird der Preiscrash bis dahin noch jede Menge an Kollateralschäden verursachen.
Aktuell sind vor allem die EU-Mitglieder selbst unter den Opfern des Preisverfalls. Für sie sind die Einnahmen aus dem CO2-Markt eine Hauptfinanzierungsquelle für die grüne Transformation ihrer Wirtschaft. Für 2022 kam so die Rekordsumme von 38,8 Milliarden Euro zusammen. Die größten Profiteure waren laut Europäischer Umweltagentur Deutschland mit 6,8 Milliarden Euro vor Polen mit fünf Milliarden und Italien und Spanien mit je 3,2 Milliarden Euro. Auch Österreich verdiente 382 Millionen Euro mit dem Zertifikatehandel. (siehe Grafik). Der Innovation Fund und der Modernisation Fund, die EU-weit grüne Transformationsprojekte stützen, erhielten zusammen 8,6 Milliarden Euro.
Heuer dürfte es deutlich weniger werden. Und das in einem Moment, in dem Europa eher mehr Geld ausgeben müsste, um die Ziele noch erreichen zu können.
Unternehmen zittern
Aber nicht nur die Staaten sind Leidtragende, auch viele Firmen, die in klimafreundliche Projekte investiert haben, spüren erhöhten Druck. Dennvieledieser Projekte haben bestimmte CO2-Kosten hinterlegt, ab denen es sich auchrechnet. „Für Investoren ist der Preisverfall daher Gift, weil Assetsund Investitionsentscheidungen neu bewertetwerden müssen“, sagt Florian Maringer,Co-Gründer des neuen Kontext Instituts für Klimafragen. Das Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid rechnet sich etwa erst ab einem CO2-Preis von hundert Euro je Tonne. Die meisten Projekte rund um grünen Wasserstoff brauchen noch einmal deutlich mehr. Fällt der Kurs, sinken damit auch die Chancen auf Realisierung vieler Projekte zur Energiewendein Unternehmen. „In Kalifornien ist der CO2-Preis daher nach unten gedeckelt“, so Maringer. „Das klingt zunächstunlogisch, ist aber für Investoren sinnvoll, weil es dasPreisrisiko verringert.“
Finanzanalysten gehen davon aus, dass die Schwächephase des europäischen Emissionshandels bald vorüber gehen wird. Sobald die Wirtschaft anspringe, steige der Bedarf automatisch. Dazu kommt die künstliche Verknappung: 2026/2027 dürfte die EU in etwa so viel CO2 emittieren wie zuletzt, hat dann aber bereits 200 Millionen weniger Zertifikate am Markt. Die Analysten von Bnef rechnen damit, dass der durchschnittliche CO2-Preis in Europa 2030 bereits bei 149 Euro liegen wird. Und je weniger heute in die grüne Wende investiert wird, desto knapper (und teurer) dürften die CO2-Zertifikate werden.
An den Märkten ist auch dieses Szenario nicht unentdeckt geblieben. Die schwedische Bank SEB rät ihren Kunden bereits, sich bei niedrigen Kursen mit CO2-Zertifikaten einzudecken und schreibt: „Es könnte das lukrativste Investment des Jahres werden“.
von Matthias Auer
Die Presse