Während russisches Rohöl auf der EU-Sanktionsliste steht, über Drittländer aber dennoch nach Europa kommt, geht dies bei Gas noch auf direktem Weg. Die Hauptrouten von einst sind zwar unterbrochen, dafür kommt mehr Gas per Schiff.
Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat vor zwei Jahren in mehrerlei Hinsicht eine neue Zeitrechnung begonnen, auch bei Energie. Russland war jahrzehntelang ein zuverlässiger und günstiger Lieferant von Öl und Gas. Sich einzugestehen, dass dem nicht mehr so ist, fällt manchen Verantwortungsträgern bis heute schwer.
Dennoch reichte der Konsens in der EU-27 so weit, russisches Rohöl und Derivate auf die Sanktionsliste zu setzen. Gas hingegen ist noch immer nicht sanktioniert – und füllt Wladimir Putins Kriegskasse Tag für Tag. Neben Deutschland hat sich Österreich vehement gegen ein Importverbot ausgesprochen. Die Abhängigkeit von Lieferungen sei zu hoch, als dass man sofort darauf verzichten könnte. Bis 2027 ja, hieß es kurz nach Ausbruch der Krise aus dem schwarz-grünen Regierungslager.
Die Fakten sind andere. Statt gesunken ist der Russland-Anteil an Österreichs Gasimporten zuletzt gestiegen – sogar dramatisch. Mit 98 Prozent war er im Dezember so hoch wie nie, 97 Prozent waren es im Jänner, ist der Regierungs-Website zu entnehmen. Mit einer Diversifizierungsverpflichtung für die rund 60 Unternehmen, die in Österreich Gashandel betreiben, will Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) nun dagegen vorgehen und russisches Erdgas hinauszwingen.
Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Ob die SPÖ mitgeht, ist alles andere als sicher. Die FPÖ hat bereits abgewunken. Noch gibt es außerdem die Gesetzesvorlage gar nicht.
Zudem soll der Ausstieg aus den OMV-Verträgen mit Gazprom vorbereitet werden. Diese sehen Gaslieferungen bis zum Jahr 2040 im Ausmaß von jährlich sechs Milliarden m3 vor; Gas, das bei Nichtinanspruchnahme dennoch zu bezahlen wäre – take or pay. Damit wird sich früher oder später wohl ein internationales Gericht beschäftigen müssen.
Die Langfristverträge der OMV sind der Hauptgrund, warum Österreich bei insgesamt verringerten Importmengen noch immer einen so hohen Anteil an russischem Gas hat. Und dass die vereinbarten Mengen auch tatsächlich wieder am vereinbarten Übergabepunkt in Baumgarten ankommen.
Deutschland hingegen war gezwungen, in kürzester Zeit Alternativen für russisches Gas zu finden. Nord Stream, bis dahin Haupttransportweg für russisches Gas nach Deutschland, ist bekanntlich durch eine gezielte Aktion noch unbekannter Täter im September 2022 in der Ostsee zerstört worden.
Wenn man die Abhängigkeit der EU-27 von russischem Gas betrachtet, ist diese mittlerweile deutlich gesunken: von gut 45 Prozent vor Ausbruch des Krieges auf knapp 15 Prozent 2023. Gut sechs Prozent davon sind russisches LNG. In Österreich sind etwa zwei Prozent des Gases auf russisches LNG zurückführbar.
Deutliche Entspannung
Sollte kein russisches Gas mehr nach Europa kommen, wäre dies kompensierbar durch LNG-Importe aus anderen Weltregionen, sagt Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel, im STANDARD-Gespräch. Die Lage habe sich gegenüber vergangenem und vorvergangenem Jahr deutlich entspannt. Es gebe massig Flüssigerdgas und mittlerweile genügend Verlade- und Entladeterminals.
Für Ungarn, die Slowakei und Österreich zeichne sich eine weniger erfreuliche Situation ab, die Gaspreise würden wohl steigen. Das deshalb, weil die genannten Länder nicht mehr am Anfang der Lieferkette stünden, sondern am Ende. Weil Italien kein Gas mehr über Baumgarten bezieht, hat sich auch die Liquidität am regionalen Gasmarkt verringert. Das hat zur Folge, dass die Preise jetzt schon höher sind als notwendig.
Die Zahl der Routen, über die russisches Gas auf dem Pipelineweg nach Europa kommt, ist auf zweieinhalb zusammengeschrumpft. Es sind dies die Transgas-Leitung durch die Ukraine, die Turkstream durch das Schwarze Meer und, immer wieder einmal die Tanap, vom Kaspischen Meer kommend quer durch die Türkei (siehe Grafik).
An Transgas hängen vor allem die Slowakei und Österreich. OMV hat Bezugsverträge mit Gazprom, die bis 2040 die Lieferung von jährlich sechs Milliarden m3 vorsehen. 2022 kam nur ein Bruchteil. Seit vorigem Herbst kommen die bestellten Mengen laut OMV wieder vollumfänglich an – möglicherweise aber nur mehr bis Ende des Jahres. Kiew will den Transitvertrag mit Moskau nicht verlängern.
Im Gegensatz zu Österreich hat beispielsweise Italien, das vor zwei Jahren noch viel Gas aus besagter Pipeline bezogen hat, andere Lieferanten gesucht und auch gefunden. Dazu gehören Algerien und Aserbaidschan. Das öl- und gasreiche Land am Kaspischen Meer ist über die transanatolische Pipeline Tanap mit Europa verbunden und schickt nun vermehrt Gas nach Italien.
Tauschhandel
Wobei es sich auch in diesem Fall zumindest teilweise um russisches Gas handeln dürfte. Gazprom hat mit Socar, dem staatlichen Energieunternehmen Aserbaidschans, die Lieferung von rund einer Milliarde m3 Erdgas pro Jahr vereinbart. Dieses wird nach Europa weiterverkauft, sagen Insider; nicht direkt, sondern über Swaps.
Während Russland schon länger kein Gas mehr durch Jamal Europe schickt und auch über die Ostsee-Route kein Gas mehr kommt, weil Nord Stream durch Anschläge bekanntlich zerstört wurde, nutzt Moskau umso stärker Turkstream. In der Woche vom 4. bis 10. März exportierte Russland auf diesem Weg rund 321 Millionen m3 Gas in den Westen, wovon ein beträchtlicher Teil nach Ungarn ging. Über Transgas wurden in derselben Woche 294 Millionen m3 exportiert.
Über Pipelines
Gasflüsse über Transgas und Turkstream
LNG
Europa ist Endstation und Umschlagplatz
Es sind beinahe kommunizierende Gefäße: Pipelinegas und LNG. Fakt ist, dass Europa gesamthaft immer weniger Gas aus Pipelines bezieht, die in Russland ihren Ursprung haben. Gleichzeitig steigt die Menge an verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG). Flüssig wird das Gas bei Minus 164 Grad Celsius. Es wird per Schiff zu Entladeterminals gebracht und bei Umgebungstemperaturen in gasförmigem Zustand durch Pipelines zu Endkunden geschickt.
Einige Länder in der EU beziehen mehr LNG aus Russland als je zuvor. Spanien etwa hat seine Importe laut Eurostat im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2021, vor dem Einfall Russlands in die Ukraine, verdoppelt, Belgien sogar verdreifacht. Auch Frankreichs Gashändler importieren LNG in großem Stil: Rund 80 Prozent der russischen Flüssigerdgasimporte gingen im vergangenen Jahr in diese drei Länder.
Spanien an der Spitze
Mengenmäßig steht Spanien an der Spitze: Das Land bezog im Vorjahr 6,7 Milliarden m3 LNG aus Russland. Dabei war Spanien anders als Deutschland oder Österreich nie abhängig von russischem Gas. Dieses machte vor dem Ukrainekrieg nur rund neun Prozent der gesamten Gasimporte aus; heute ist der Anteil doppelt so hoch.
Russland nutzt europäische Häfen aber auch, um sein LNG außerhalb der EU weiterzuverkaufen. Dabei dient Zeebrügge als zentraler Umschlagplatz, hat das ARD-Magazin Monitor kürzlich recherchiert. Das Gas, das im Bauch von Eisbrechern von jenseits des Polarkreises kommt, wird im belgischen Hafen umgeladen und nach China geliefert. Der nächste geeignete Hub ist in der Türkei. Die Eisbrechertanker müssten einen weiten Umweg machen – heißt doppelte Fahrzeit. Der Transport mit Eisbrechern ist zudem viel teurer, und es gibt nur wenige davon. Die Kosten würden um 70 Prozent steigen, sagen Experten. Ohne EU würde der russische LNG-Absatz einbrechen.
Der Standard