Österreich droht neue Gaskrise

12. April 2024, Wien

Energie. Stoppt die Ukraine 2025 den Gasfluss nach Europa, kommen in Österreich doppelt so hohe Preise und „die schärfste Rezession seit Lehman und Corona“. Alle wollen das verhindern. Aber wie?

Es ist nicht lang her, da gab der Energieregulator E-Control noch Entwarnung: Auch ohne russisches Erdgas sei Österreich im kommenden Winter gut mit Energie versorgt, hieß es. Immerhin sind die Speicher am Ende der Heizperiode mit 75Prozent noch bestens gefüllt. Im Jahr 2026 sieht die Lage hingegen komplett anders aus. Glaubt man führenden Energieexperten, stolpert Österreich gerade sehenden Auges in eine neue Gas(preis)krise hinein.
Denn ab Ende 2024 will die Ukraine bekanntlich kein russisches Erdgas mehr nach Europa durchleiten. Dem Kontinent kommen damit schlagartig 40Millionen Kubikmeter Erdgas am Tag abhanden. Österreich, das im Februar immer noch 87Prozent seines Gases über diese Leitung bezogen hat, wäre wohl am härtesten getroffen. Nun gibt es zwar theoretisch die Möglichkeit, genügend Gas über Deutschland und Italien ins Land zu holen – dafür reichen die Leitungen gerade noch aus. Da bei einem Ausfall der Ukraine-Leitung aber auch Ungarn, Slowenien und die Slowakei aus Österreich versorgt werden müssten, käme es dennoch zu Einschränkungen, warnt Öl- und Gasanalyst Johannes Benigni von JBC Vienna.

Zwei Prozent weniger BIP

„Wir laufen Gefahr, mit einer Gasmangellage konfrontiert zu sein“, erwartet auch Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung. Die Folge des Stopps russischer Lieferungen: Der Preis steigt bis 2026 von heute knapp 28Euro je Megawattstunde auf 85Euro je Megawattstunde Erdgas. Die Auswirkungen des neuerlichen Preisschocks auf die Wirtschaftsleistung des Landes wären beträchtlich, rechnet der Gründer des Economica-Instituts vor: Bei einem konservativ geschätzten Jahresverbrauch von 85Terawattstunden (TWh) Gas ergäbe sich eine Lücke von 17,1TWh. Die Wirtschaftsleistung würde um 1,8Prozent schwächer ausfallen, die Volkswirtschaft verlöre 7,7Milliarden Euro und 87.000 Jobs (siehe Grafik). Bei einem höheren Gasverbrauch ist sogar ein Minus von bis zu 2,2Prozent der Bruttowertschöpfung erwartbar. Unter dem Strich wäre es „die schärfste Rezession seit Lehman und Corona“, sagt Helmenstein.

Vor allem aber: Anders als beim ersten Energiepreisschock nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine wäre nicht ganz Europa betroffen, sondern eben nur Österreich und einige Nachbarländer. In Summe dürfte ab 2026 nämlich mehr als genug Gas für Europa verfügbar sein. Wer dann ausreichend Pipelinekapazitäten zu den neuen Lieferanten oder aber eigene Flüssiggasterminals hat, muss sich wenig Sorgen machen. Österreich und andere Staaten, die stark von russischem Pipeline-Gas abhängen, wären hingegen mit massiv steigenden Kosten konfrontiert.
Was das im Einzelfall bedeutet, erklärt Max Oberhumer, Aufsichtsratsmitglied beim Papierkonzern Sappi: „In der energieintensiven Industrie ist der konzerninterne Wettbewerb groß“, sagt er. „Schon ein Kostenplus von fünf Prozent reicht aus, und bestimmte Produkte werden in andere Fabriken in Europa verlagert.“

Ein Problem, zwei Lösungen

Das Problem ist Unternehmen wie Politik bewusst, aber was soll Österreich am besten dagegen unternehmen? Da gibt es, grob gefasst, zwei Denkschulen. Je nachdem fehlen entweder die Leitungen, um nicht-russisches Gas ins Land zu holen, oder aber nur der Wille der Unternehmen, damit endlich zu beginnen. Zu Gruppe eins zählt Elisabeth Zehetner, Geschäftsführerin des wirtschaftsnahen Vereins Oecolution. Sie fordert etwa, dass die geplante Verstärkung der Pipeline nach Deutschland (WAG-Loop) schneller vorangetrieben wird. „Wenn das durch die normalen Genehmigungsverfahren muss, geht es sich bis 2027 einfach nicht aus.“

Gruppe zwei ist mehrheitlich im grünen Energieministerium daheim. Dort hat man sich ebenfalls Gedanken gemacht, wie Österreich auch 2026 sicher mit Energie versorgt werden kann. Wie „Die Presse“ in Erfahrung bringen konnte, liegen die ersten konkreten Vorschläge bereits auf dem Tisch. So kursiert ein Gesetzesvorschlag, der österreichische Energieversorger mit mehr als 20.000 Kunden dazu verpflichten würde, einen Ausfall ihres größten Lieferanten (heute meist Russland) über andere Quellen zu ersetzen. Bis 2027 sollten die Unternehmen gänzlich von Russland unabhängig sein. Bis dahin will die Regierung auch die Mehrkosten ersetzen, die durch die Suche nach neuen Lieferanten entstehen. Das Ministerium bestätigt, dass der Entwurf zwecks Abstimmung beim Koalitionspartner liegt. Das ÖVP-geführte Finanzministerium prüft noch.

Wird Abschied von Russland Pflicht?

Bisher waren die heimischen Versorger bei ihrer Suche nach neuen Lieferanten sehr zurückhaltend, was nicht zuletzt daran liegt, dass Deutschland hohe Abgaben für Gasexporte eingeführt hat und so den Gaseinkauf über alternative Routen für heimische Abnehmer erschwert. Gegen diese Maßnahme läuft ein Pilotverfahren der EU-Kommission. Um den drohenden Gaspreisschock 2026 abzuwenden, müssten sich die Versorger dennoch heute schon von der russischen Gazprom abwenden, Vertragsbeziehungen mit anderen Lieferanten aufbauen und Transportkapazitäten buchen, so die Grünen.

„Dass man politisch von russischem Gas weg will, ist verständlich“, sagt Benigni. „Aber die wichtigste Maßnahme fehlt: die Infrastruktur, damit das Gas ins Land kann.“

Auf einen BlickÖsterreich steuert auf eine erneute Gaspreiskrise zu. Stoppt der Transit durch die Ukraine, könnten sich die Preise 2026 verdoppeln, warnen Ökonomen. Das grüne Energieministerium will die Versorger per Gesetz zwingen, sich endlich alternative Lieferanten zu suchen.

von Matthias Auer

Die Presse

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