Die russischen Gasexporte in die EU vermag der schwungvolle Handel mit China nicht zu kompensieren. Der Verlust bei Gazprom beläuft sich auf sieben Milliarden.
Russlands staatlicher Gaskonzern Gazprom, einst das wertvollste Unternehmen des Landes, kämpft mit den Folgen von Kundenabwanderungen in Europa. Versuche, die Lücken durch mehr Verkäufe im Heimatmarkt und mit Lieferungen nach China zu schließen, waren überschaubar erfolgreich. Michal Meidan, Expertin für China beim Oxford Institute for Energy Studies, glaubt nicht, dass China Europa als hochprofitablen Gasmarkt ablösen kann. „China ist für Russland ein Absatzmarkt, aber mit viel niedrigeren Preisen und Umsätzen als Europa.“ Gazprom könnte daher vor Flaute stehen.
Europa, vor allem Deutschland waren die größten Absatzmärkte für Erdgas aus Russland. Dies änderte sich mit dem Krieg in der Ukraine+. Deutschland mitsamt Gazproms größtem Einzelkunden, Uniper, verzichtet auf Pipelinegas aus Russland, andere Länder fuhren ihre Importe zurück. Der Einbruch im Gasgeschäft mit Europa trug dazu bei, dass Gazprom erstmals seit 1999 ein Geschäftsjahr mit Verlust beendete: In der Bilanz von 2023 steht ein Fehlbetrag von sieben Milliarden Dollar.
Russland hat nach Daten von Gazprom und Reuters-Berechnungen im ersten Kriegsjahr 2022 noch rund 63,8 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa exportiert. 2023 gingen die Lieferungen um mehr als die Hälfte auf 28,3 Milliarden Kubikmeter zurück. 2018, als Russland in die EU und weitere Länder wie die Türkei, insgesamt 200,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas pumpte. Den Rest erledigten die Schäden an den Nord-Stream-Röhren.
Russland wandte sich daher China zu. Bis 2030 sollen jährlich 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach China strömen – auch mit neuen Pipelines. Allerdings kommen die Planungen nur schleppend voran, man ist sich über den Preis nicht einig. Seit Ende 2019 pumpt Russland durch die Pipeline Power of Siberia Gas in die Volksrepublik. Russland werde seine Einnahmen durch neue Röhren etwas ausbauen, sagt Kateryna Filippenko, Gasexpertin der auf Energiemärkte spezialisierten Analysefirma Wood Mackenzie. Das werde aber nicht reichen, um die Einbußen in Europa auszugleichen.
Selbst wenn Gazprom alle Pipelineprojekte realisierte, die Umsätze mit China wären deutlich niedriger als jene mit Europa: Nach Angaben des in Moskau ansässigen Handelsbüros BCS beliefen sich die Einnahmen von Gazprom aus Gasverkäufen nach Europa im Zeitraum 2015 bis 2019 dank monatlicher Lieferungen von 15,5 Milliarden Kubikmetern auf durchschnittlich 3,3 Milliarden Dollar pro Monat. Die Einnahmen aus den Gaslieferungen nach China liegen nach Reuters-Berechnungen für 2023 eher bei 6,5 Milliarden Dollar – wenn man den vom russischen Wirtschaftsministerium angegebenen Preis von 286,9 Dollar je 1000 Kubikmeter für die 22,7 Milliarden Kubikmeter Gas anlegt, die Gazprom im Vorjahr an die Volksrepublik geliefert hat. Laut einem Dokument, das Reuters einsehen konnte, erwartet das russische Wirtschaftsministerium, dass der Gaspreis für China in den nächsten vier Jahren sinkt. Im Worst Case ist von einem Einbruch im Jahr 2027 um 45 Prozent auf 156,7 Dollar pro 1000 Kubikmeter die Rede. Das könnte an Turkmenistan liegen, das Gas nach China liefert. (Reuters)
Der Standard