Ein Präzedenzfall eines anderen Konzerns macht nun die OMV hellhörig. Die Politik hört die Alarmglocken läuten, Experten erwarten einen Preissprung.
Das gab es zuvor noch nie. Noch nie hatte die OMV davor gewarnt, dass der russische Gazprom-Konzern seine Gaslieferungen an den österreichischen Mineralölkonzerneinstellen könnte. Am Mittwoch nun tat sie es in einer Pflichtmitteilung. Grund der Warnung vor einem möglichen Gazprom-Lieferstopp sei, dass die für den russischen Konzern bestimmtenOMV-Zahlungen für Gas fortan gepfändet werden könnten.
Doch warum die plötzliche Sorge? Laut OMV ist die Sache die, dass – wie eine OMV-Tochterfirma erfahren hat – ein großes europäisches Energieunternehmen nun ein Gerichtsurteil erwirkt habe, demzufolge es Forderungen gegen Gazprom zwangsvollstrecken könne. Im Falle einer Zwangsvollstreckung hält es dieOMVfür wahrscheinlich, „dass Gazprom Export die Gaslieferungen im Rahmen des Gasliefervertrages mit derOMVGas Marketing & Trading (OGMT) einstellen und damit den österreichischen Gasmarkt beeinträchtigen wird“, heißt es in der OMV-Mitteilung. Diese Einschätzung stütze sich auf das Verhalten von Gazprom Export in ähnlichen Situationen.
Gewessler: „Letzter Weckruf“
Vorsorglich beruhigte die OMV die Öffentlichkeit mit dem Hinweis darauf, dass sie auch im Fall einer solchen Zwangsvollstreckung ihre Vertragskunden mit Gas aus anderen Quellen versorgen könnte.
Aber aus der Beruhigung wurde vorerst nichts. Denn die plötzliche Warnung der teilstaatlichen OMV erwischte auch die heimische Politik auf dem falschen Fuß. Das zuständige Energieministerium prüfe aktuell die Entwicklungen, hieß es. Ministerin Leonore Gewessler sprach von einem „letzten Weckruf“ für all jene Unternehmen, die den politisch gewünschten Umstieg auf alternative Gaslieferanten immer noch blockieren.
Tatsächlich bezieht Österreich im Gegensatz zu den meisten EU-Ländern noch immer große Mengen seines Erdgases aus Russland. Im vergangenen halben Jahr kamen etwa 80 Prozent des Importgases von der Gazprom, im März waren es gar 93 Prozent. Hintergrund ist ein erst 2018 verlängerter Liefervertrag der OMV, der bis 2040 jedes Jahr etwa sechs Milliarden Kubikmeter Gas an den österreichischen Gasknotenpunkt in Baumgarten bringen soll. Der nach traditionellem Muster gehaltene Vertrag sieht vor, dass die OMV die Mengen in jedem Fall bezahlen muss, egal, ob sie die Lieferungen annimmt oder nicht.
Doch obwohl Österreich heute immer noch sehr viel Gas aus Russland einkauft, ist das Land bei weitem nicht mehr so abhängig vom Kreml wie 2022. Die OMV hat – siehe Pflichtmitteilung oben – genug nicht-russische Quellen. Aber nicht alle Versorger kümmern sich ähnlich engagiert um neue Lieferanten. Und damit bleibt offen, was mit der anderen Hälfte der heimischen Gaskunden passieren würde, die derzeit nicht von der OMV versorgt werden.
Der mögliche Preissprung
Angst, dass es im kommenden Winter nicht genug Gas fürs Heizen geben wird, muss allerdings niemand haben, betonte auch die Energieregulator E-Control am Mittwoch. Die Gasspeicher sind aktuell zu fast vier Fünfteln gefüllt, damit wäre die heurige Wintersaison selbst bei einem sofortigen Lieferstopp gefedert. Zudem gebe es heute, anders als 2022, mehr als genug Gas in Europa, betont auch Energieexperte Walter Boltz gegenüber der „Presse“. „Mit ein paar Monaten Vorlauf und etwas Planung kann Österreich seine Versorgung auch ohne Russland gut gewährleisten.“ Das Problem: Kommt es tatsächlich zur Zwangsvollstreckung, fallen diese paar Monate Vorlauf schlagartig weg – und das kostet.
Ein plötzlicher Stopp der russischen Gaslieferungen würde den heimischen Handelspunkt CEGH von einem Tag auf den anderen austrocknen, so Boltz: „Die Gaspreise würden für mehrere Monate um 20 bis 30 Prozent nach oben springen“. Pikant dabei: „In Europa hätte nur Österreich einen wirklichen Preisschock“. Die meisten anderen EU-Staaten nämlich haben sich mittlerweile von russischen Gaslieferungen weitgehend losgesagt. „Das können wir unserer Wirtschaft und unserem Wohlstand nicht zumuten“, warnt daher auch die grüne Energieministerin Leonore Gewessler.
Neue Phase im Clinch
In jedem Fall treten Gazprom und seine europäischen Kunden in eine neue Phase ihres Clinches ein. Davon zeugt auch, dass das Handelsgericht in St. Petersburg am Mittwoch mit einer Schadenersatzforderung von 575 Millionen Euro drohte, falls die OMV-Tochter OGMT ein Schiedsverfahren gegen Gazprom vor dem Stockholmer Schiedsgericht nicht zurückziehe. Die OMV hatte schon im April erklärt, den Gerichtsstand St. Petersburg nicht anzuerkennen.
von Matthias Auer und Eduard Steiner
Die Presse