
Die Strommarktreform soll Preisschocks wie vor zwei Jahren verhindern, die umstrittene Preisfindung über das Merit-Order-Prinzip bleibt aber erhalten. E-Control erwartet stabile bis sinkende Gas-und Strompreise.
Innsbruck – Unlängst haben die EU-Länder in Brüssel die Reform des europäischen Strommarkts angenommen. Bürger und Unternehmen sollen damit künftig besser vor ausufernden Strompreisen geschützt sein.
Welches sind die Eckpunkte der Reform?
„Es ist keine Vollreform, aber es wurden Lehren aus der Krise gezogen“, sagt Johannes Mayer, Volkswirt der Regulierungsbehörde E-Control: „Das System bleibt im Prinzip so, wie es war, für Ausreißersituationen wie etwa im Jahr 2022 gibt es aber einen Sondermechanismus.“ Im Fall, dass der Strompreis an der Börse auf über 180 Euro/MWh und die Haushaltspreise um mehr als 70 %steigen, könne die EU-Kommission eine Krise ausrufen, erklärt Mayer: „Dann können die EU-Staaten regulatorisch in die Preissetzung eingreifen.“
Zudem werde bei größeren Versorgern laufend eine Risikobewertung durchgeführt. Die Regulierungsbehörde müsse dabei bewerten, inwiefern die Versorger ihre Kundenversprechen abgesichert haben. „Wenn ein Versorger einen Preis von 5 Cent für ein Jahr verspricht und er hat noch fast keinen Strom eingekauft, hat er ein hohes Risiko. Wenn er bereits viel eingekauft hat, ist das Risiko sehr gering“, erklärt Mayer. Bei der Reform geht es aber etwa auch um Standards für direkte Stromverträge zwischen Erzeugern und Unternehmen (Power Purchase Agreements). Und auch um „Peak Shaving“, um den Stromverbrauch in Spitzenlastzeiten zu reduzieren.
Wie steht es um die Erneuerbaren ?
Die Reform soll auch den Umbau des Stromsystems auf mehr erneuerbare Energien vorantreiben. Im Mittelpunkt stehen dabei Verträge zwischen Regierungen und Stromerzeugern, so genannte Contracts for Difference (CfDs). Mit diesen „Differenzverträgen“ garantieren die Staaten Stromerzeugern einen Mindestpreis für Strom, wenn sie neue Investitionen in erneuerbare Energien wie Wind- und S o l a r k r a f t, aber auch Kernkraft tätigen. Bei Differenzverträgen wird ein fixer Strompreis garantiert. Bekommt der Erzeuger am Markt weniger als den Fixpreis, wird ihm die Differenz vom Staat ausgeglichen. Verdient er am Markt mehr, muss er die Differenz an den Staat zahlen, erklärt Mayer.
Was wird aus dem „Merit -Order“-System?
Das umstrittene „Merit-Order“-Prinzip, das den Strompreis an der Börse festlegt, bleibt. Dabei bestimmt das teuerste zugeschaltete Kraftwerk den Strompreis – in der Regel sind das die Gaskraftwerke (siehe Grafik). „Merit Order ist das bisher einzige System, das dafür sorgt, dass die kostengünstigsten Kraftwerke laufen“, verteidigt Mayer das viel kritisierte System.
Wie geht es mit dem Strompreis weiter?
Für kommenden Winter wird Börsen-Strom laut Mayer für umgerechnet etwa 10 Cent die Kilowattstunde gehandelt, für Sommer 2025 liegt der Preis bei unter 10 Cent. Beim Endkunden komme je nach Vertrag (fixer oder flexibler Preis) auf den Arbeitspreis noch ein Aufschlag von 1 bis 3 Cent je kWh hinzu, erklärt Mayer. Die Tiwag hat ab Juli einen Arbeitspreis von 11,8 Cent netto. „Nicht ganz günstig, aber ungefähr passt es“, lautet Mayers Einschätzung. Wie entwickelt sich der Gaspreis? Der dürfte die nächsten beiden Jahre an der Börse i n der Größenordnung von rund 4 Cent die kWh verharren und danach sinken, sagt Mayer. Mit Auswirkungen auf den Strompreis: „Die jetzigen Strompreise müssen wir für die nächsten zweieinhalb Jahre akzeptieren.“
Wie steht es um die Gasversorgung ?
Die OMV warnte unlängst, dass die russische Gazprom die Gaslieferungen an die OMV einstellen könnte, weil Zahlungen an die Gazprom nach einem ausländischen Gerichtsurteil gepfändet werden könnten. „Diese Meldung würde ich nicht überbewerten“, sagt Mayer. Die OMV habe aus rechtlichen Gründen warnen müssen.
Auch die Gasspeicher sind gefüllt. Und dass die Ukraine ab 2025 den Hahn für russisches Gas nach Europa mit Ende der Verträge abdreht, sei zwar eingepreist . In Österreich könnte Gas aber teurer werden, weil dann mehr Gas über Deutschland fließen würde, so Mayer. Neben höheren Transportkosten wäre auch die deutsche Gasspeicherumlage fällig, die Deutschland den österreichischen Gas-Importeuren verrechnet. Bei der Tigas ist das – wie berichtet – bereits der Fall. Höhere Transportkosten und deutsche Speicherumlage verteuern laut Mayer das Gas um etwa 3 Cent die kWh: „Für manche Industriezweige ist das nicht mehr lustig. Besonders, wenn die Konkurrenz in Deutschland sitzt, tut das weh.“
Erneuerbare nahmen zu, Russen-Gas floss weiter Strom-Mix. Etwas mehr als 40 Prozent des im vergangenen Jahr in der EU erzeugten Stroms stammen aus erneuerbaren Energiequellen. Der Anteil fossiler Energieträger fiel auf rund 34 Prozent, die übrigen rund 23 Prozent kamen aus der Kernenergie.
Gas-Mix: Norwegen (30 %) und USA (19 %) waren 2023 die größten Gaslieferanten der EU. Dahinter folgte Russland (14,8 %Pipeline +LNG) und Afrika (14 %). Aus Großbritannien kamen 5,7 %, aus Katar 5,3 %. Die übrigen 10 % verteilten sich auf andere Länder.
657 Mrd. Euro Hilfen. Im Jahr 2022 ergriffen viele EU-Länder Maßnahmen, um die Energiepreis-Explosion abzufedern, etwa durch Steuersenkung oder Subventionen. Laut der Denkfabrik Bruegel gaben die EU-Länder seither 657 Mrd. Euro dafür aus. Quelle: Europäischer Rat
Die jetzigen Strompreise werden wir für die nächsten zwei bis zweieinhalb Jahre akzeptieren müssen.“
Johannes Mayer (E-Control)
Tiroler Tageszeitung