
Die Umstellung der Energieversorgung ist der Schlüssel zur Klimaneutralität der EU. Der Weg ist noch weit.
Rund drei Viertel der EU-weiten Treibhausgasemissionen kommen von der Erzeugung von Energie beziehungsweise deren Verbrauch durch Wirtschaft, Haushalte, Verkehr. Gerade einmal 23 Prozent des gesamten Energieverbrauchs sind 2022 (die aktuellsten verfügbaren Zahlen) von erneuerbaren Quellen wie Wasser, Sonne, Windkraft, Biomasse oder Biogas gekommen. Der überwiegende Anteil stammte von Kohle, Öl und Gas, sowie bei Strom in zwölf EU-Ländern auch aus Atomkraft.
Die fossilen Energieträger zu ersetzen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit von Europas Industrie zu gefährden und ohne auf modernes Leben zu verzichten, ist der Schlüssel zur Klimaneutralität, die sich die EU bis 2050 vorgenommen hat. Es geht im Kern um viel Strom – für Industrie, Transport, Heizen, Kühlen und nicht zuletzt die Produktion von Wasserstoff bzw. synthetischem Gas und Treibstoff, als Ersatz für Erdgas und Sprit, wo Batterien nicht einsetzbar sind.
Was in Brüssel und den Hauptstädten Kopfzerbrechen bereitet, sind eher die Etappenziele, die man sich gesetzt und immer wieder verschärft hat. Zuletzt als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine und von Moskaus Spiel mit dem Gashahn. Bis 2030 soll der Erneuerbaren-Anteil auf 42,5 oder noch besser 45 Prozent nahezu verdoppelt werden, um die Abnabelung zu beschleunigen. Dazu kommen spezielle Vorgaben für die Industrie, für die Sanierung von Gebäuden, für den Verkehr, mehr Energieeffizienz und ein ganzes Gesetzespaket für Wasserstoff und „grünes“ Gas.
„Es sind schon sehr ambitionierte Ziele, das wird nicht leicht, sie zu erreichen“, sagt Leonardo Barreto-Gomez, Leiter der EU-Abteilung in der Österreichischen Energieagentur. Wobei die Wende in der Stromerzeugung einfacher zu bewerkstelligen sei als etwa im Wärme- und Kältebereich oder im Schwerverkehr.
Die EU-Staaten gehen bei der Dekarbonisierung ihrer Energiesysteme sehr unterschiedlich vor. „Am weitesten fortgeschritten sind Länder mit großem Biomasseanteil“, sagt der Experte – also mit viel Wald. Allen voran liegt Schweden mit einem Erneuerbaren-Anteil von zwei Drittel, gefolgt von Finnland mit knapp unter 50 Prozent sowie Lettland und Dänemark mit mehr als 40 Prozent. Österreich liegt – nicht zuletzt durch den geografisch und historisch hohen Anteil an Wasserkraft zur Stromerzeugung – im oberen Drittel. Portugal wiederum punktet mit Biomethan. Aufgeholt hat laut Barreto-Gomez Griechenland – durch den Ausbau von Windenergie und Speichern und liegt sogar vor Deutschland.
Etliche osteuropäische Länder gehen bei der Dekarbonisierung einen anderen Weg: Sie setzen auf Kernenergie. Wie Frankreich, das 70 Prozent seines Stroms mit Atomkraft erzeugt und einen massiven Ausbau sowie Laufzeitverlängerungen plant. Barreto-Gomez rechnet dennoch nicht mit einer großen Nuklear-Renaissance, weil erneuerbare Energie einfach billiger sei. Frankreich betreibe aber viel Lobbying für öffentliche Förderungen.
Dass die Ziele für 2030 bzw. 2050 nach der EU-Wahl aufgeschnürt werden, erwartet er nicht, sehr wohl aber Debatten über den CO2 -Reduktionspfad bis 2040 (minus 90 Prozent). Das Ziel sei lohnenswert, werde sich aber „wahrscheinlich nicht ausgehen“.
von Monika Graf
Salzburger Nachrichten