Dynamische Stromtarife sind derzeit noch ein Nischenprodukt, aber mit viel Potenzial. Das sind die wichtigsten Fakten zum Phänomen der „negativen Strompreise“.
Ist mehr Strom vorhanden, als aktuell verbraucht wird, kann es zu negativen Strompreisen kommen. „Das heißt grundsätzlich, dass der Abnehmer bzw. Verbraucher des Stroms zu diesem Zeitpunkt für seine Abnahme bezahlt werden muss“, erklärt Leo Lehr, stellvertretender Leiter der Abteilung Volkswirtschaft beim Energieregulator E-Control. Denn damit das Stromnetz stabil bleibt, müssen Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht sein, um das zu erreichen, wird der Verbrauch von Strom mit finanziellen Anreizen belohnt.
Die negativen Preise treten auf den Großhandelsmärkten für Strom auf, also etwa an Strombörsen, sobald die Menge des Stromangebots die Nachfrage übertrifft und zugleich „die Anlagen ihre Erzeugungsmengen nicht reduzieren können oder wollen“, so Lehr zur Kleinen Zeitung.
Das ist meist dann der Fall, wenn die erzeugte Strommenge aus Wind und/oder Photovoltaik hoch und die Nachfrage nach Strom niedrig ist, vor allem an Wochenenden oder Feiertagen. Lehr: „Die erneuerbaren Erzeugungsformen erhalten meist noch eine fixe Einspeisevergütung pro erzeugter Kilowattstunde und haben deshalb, ökonomisch gesehen, keinen Anreiz, ihre Menge zu drosseln.“
In Österreich kam es von Jänner bis Mai am Day-Ahead-Markt, einem Spotmarkt, an dem Strom und Gas bis zum Tag vor dem Liefertermin gehandelt werden, an insgesamt 134 Stunden zu einem negativen Strompreis. In den allermeisten Fällen lag der Preis von 0 Euro bis zu minus 70 Euro je Megawattstunde. Zuletzt kippte der Börsenpreis am EPOX-Spotmarkt am Sonntag, 2. Juni, ins Negative – von 11 Uhr bis 18 Uhr.
Die meisten Analysen gehen davon aus, dass das Phänomen negativer Strompreise zunehmen und häufiger vorkommen wird als bisher. Der starke Ausbau an Erneuerbaren werde „zu einem Überschuss etwa in den Mittagsstunden an sonnigen Tagen führen, der noch nicht sofort durch zusätzliche Verbraucher bzw. Speicher ausgeglichen werden kann“, so Lehr. Auf längere Sicht sollten die negativen Strompreise „jedoch zusätzliche Investitionsanreize für Verbraucher wie etwa Batteriespeicher darstellen“.
Haushalte mit dynamischen Stromtarifen können ihren Verbrauch vermehrt in solche Stunden verlegen. „Dies wirkt dem Entstehen von negativen Preisen wiederum entgegen“, so Lehr.
Die große Mehrzahl der Kunden hat allerdings einen Stromtarif ihres Energieversorgers, der einen fixen Arbeitspreis pro verbrauchter Kilowattstunde vorsieht, unabhängig vom Zeitpunkt des Verbrauchs. Wer vom negativen Strompreis profitieren will, braucht zuvor erwähnten dynamischen Stromtarif.
Bei einem solchen Tarif hängen die stündlichen Strompreise dann direkt vom aktuellen Börsenpreis ab. Voraussetzung für die stundengenaue Abrechnung dafür ist ein Smart Meter. „Mit solchen Tarifen können auch Haushaltskundinnen und -kunden direkt an den niedrigen Stundenpreisen partizipieren“, sagt Lehr. Wie gut das gelingen kann, hänge natürlich davon ab, inwieweit man seinen Verbrauch in solche günstigen Stunden verschieben kann. Vor allem das Laden von E-Autos wäre ein solcher Anwendungsfall. Es gibt auch bereits einige Anbieter für solche Produkte. Im Tarifkalkulator der E-Control sind diese als „Spotmarktprodukt“ zu finden. Dazu gehören aWATTar, die Wiener Gesellschaft verrechnet stündliche Energieverbrauchspreise. Die Energie Steiermark hat mit „Smart Energy“ ebenfalls einen Anbieter für dynamische Stromtarife im Rennen. „Vergleichen kann man zwischen den Produkten insbesondere über die Höhe des jeweiligen Aufschlages des Anbieters auf die Börsenpreise“, erklärt Experte Leo Lehr.
Wie viele Stromkunden bereits einen dynamischen Tarif nutzen, weiß die E-Control nicht. Diese seien derzeit „noch eher ein Nischenprodukt“.
Aber Achtung – wirklich Geld verdienen kann man mit dem Stromverbrauch erst dann, wenn die anfallenden Netzgebühren ebenfalls durch die Gutschrift abgedeckt sind. Der Netztarif macht derzeit im Schnitt rund ein gutes Viertel des gesamten Strompreises aus. Denn die jeweils fälligen Netzgebühren fallen unabhängig vom Börsenpreis an, sind also auch dann zu bezahlen, wenn der Strompreis negativ ist.
von Uwe Sommersguter
Kleine Zeitung