Der Europäische Rechnungshof empfiehlt dringend einen Realitätscheck für die EU-Wasserstoffstrategie. Die Markteinschätzung sei zu vage, und ein verbindlicher Fahrplan für die EU-Länder fehle.
Keine Ausgangsanalyse, keine verbindlichen Ziele für die Mitgliedsstaaten und keine Folgenabschätzung hinsichtlich der Produktionskosten – es ist tiefgehende Kritik, die der Europäische Rechnungshof (EuRH) an der Wasserstoffstrategie der Europäischen Kommission übt. Dabei wird im Zusammenhang mit Wasserstoff eine Menge Geld bewegt: Bis 2027 belaufen sich allein die in der EU bewegten Fördermittel auf 18,8 Milliarden Euro.
Genau hier setzen die Buchprüfer des EuRH in Luxemburg an. Denn zu den wichtigsten Finanzierungsquellen gehören der in der Corona-Krise ins Leben gerufene Aufbau- und Resilienzfonds und der Innovationsfonds, aus dem Wasserstoffprojekte unter dem Titel „Important projects of common European interest“ gefördert werden. Es sind also letztlich öffentliche Gelder der EU-Mitgliedsländer, die hier verteilt werden – diesfalls ungenügend koordiniert und wenig transparent.
Saubere Quellen gesucht
Ziel der Anstrengungen, mit denen sich Europa insbesondere in der energieintensiven Industrie und im Transportsektor klimafit machen will: saubere Energiequellen zur Herstellung von Wasserstoff als Ersatz für Erdgas und andere fossile Energieträger.
Die Herausforderung ist enorm, denn 96 Prozent des 2022 verbrauchten Wasserstoffs wurden aus Erdgas hergestellt, was die CO2-Emissionen in die Höhe treibt, anstatt diese bis 2030 um 55 Prozent zu senken, wie das der Green Deal vorsieht. Größte Baustellen im Klimaschutz sind Transportsektor, Energieversorgung und Industrie. Sie brauchen grünen Wasserstoff, also Strom aus grünen Quellen. Vor diesem Hintergrund scheinen die EU-Ambitionen reichlich unrealistisch, bemängelt der EuRH, der dringend einen Realitätscheck empfiehlt. Denn aus derzeitiger Sicht sei es unrealistisch, dass die Ziele 2030 erreicht würden.
Generalstabsmäßig ist die EU bei ihrer Wasserstoffstrategie offenbar nicht vorgegangen. Das sollte nicht verwundern, denn vor Festlegung der EU-Ziele für die Produktion und den Import von erneuerbarem Wasserstoff wurden weder solide Analysen durchgeführt noch die Ziele für die einzelnen Mitgliedsstaaten verbindlich aufgeschlüsselt und festgelegt. Im Gegenteil.
An EU-Zielen vorbei
Wenn EU-Länder in Eigenregie nationale Ziele festgelegt haben, dann passten diese mit den Zielen der EU-Kommission oft nicht zusammen. Die Kommission wiederum habe für CO2-armen Wasserstoff erst gar keine Ziele festgelegt, schreibt der EuRH in seinem am Dienstag vorgelegten Bericht.
Der Investitionsbedarf für Elektrolyse, Produktion und Pipelines zum Transport des Wasserstoffs sei enorm, aber die Kommission habe keinen vollständigen Überblick über diesen Bedarf oder die öffentlichen Mittel, die dafür zur Verfügung stünden. Erst recht gebe es keine Garantie dafür, dass das Potenzial der Wasserstoffproduktion in der EU vollständig genutzt werden könne, schreibt der EuRH.
Immerhin habe die Kommission Schritte unternommen, um den Markthochlauf der Wasserstoff-Wertschöpfungskette zu koordinieren. Das scheint dringend geboten, denn die EU-27 sind wieder einmal mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs. Vorreiter sind Dänemark, Deutschland, Spanien, Frankreich und die Niederlande, von ihnen werden knapp 80 Prozent der Elektrolyseurkapazitäten geplant und errichtet, während elf Staaten nicht einmal aktualisierte Klima- und Energiepläne nach Brüssel geschickt hatten. Die fünf Vorreiter haben allein 2022 eine Milliarde Euro an EU-Förderungen abgeholt. Weitere 800 Millionen Euro gingen an Italien, Polen, Finnland, Schweden Tschechien, Zypern, Deutschland, Spanien und die Niederlande.
Wie der geschätzte zukünftige Bedarf an Wasserstoff schwankt auch der Investitionsbedarf für die Produktion von grünem Wasserstoff: Waren in der Strategie 2020 noch 24 bis 42 Milliarden Euro für Eletrolyseure vorgesehen, waren es im REPowerEU-Plan im Jahr 2022 bereits 50 bis 75 Milliarden Euro. Die Ertüchtigung von Pipelines wird mit bis zu 38 Milliarden Euro veranschlagt, die Speicher mit elf Milliarden Euro und die zusätzliche Elektrizität mit 200 bis 300 Milliarden Euro. Ergibt in Summe 335 bis 471 Milliarden Euro an Investitionskosten, für die es massive private Investitionen braucht.
Wichtige Importe
Fixer Bestandteil der Wasserstoffstrategie sind auch Wasserstoffimporte. Zu diesem Zweck hat die EU Partnerschaften und Absichtserklärungen mit Drittländern über den Zukauf von Wasserstoff abgeschlossen. Denn nicht alles an Wasserstoff kann in der EU erzeugt werden. Zu den EU-Partnern gehören Norwegen, die Ukraine, Kasachstan, Marokko, Ägypten, Namibia, Argentinien, Uruguay und Japan, mit denen Deutschland, die Niederlande und Polen ihrerseits bilaterale Lieferverträge geschlossen haben. Koordiniert würden diese Kooperationen unzureichend, eine Gesamtstrategie für EU-Importe gebe es auch nicht, kritisiert der EuRH, dem es auf allen Ebenen an Verbindlichkeit mangelt. Die EU-Kommission operiere auf Basis von Mitteilungen statt rechtlich bindender Dokumente oder Verträge.
Gut möglich, dass der Bedarf ohnehin überschätzt wird. Laut EuRH-Bericht dürfte die Nachfrage nach grünem Wasserstoff bis 2030 rund zehn Millionen Tonnen nicht überschreiten, was etwa die Hälfte des von der EU errechneten Bedarfs darstellt. Das Marktrisiko für grünen, also aus erneuerbarer Energie hergestellten Wasserstoffes ist noch erheblich, denn es hängt vor allem vom Energiepreis ab. Es braucht dafür neben erneuerbarer Energie vor allem Wasser.
Der Preis für Wasserstoff aus Erdgas wird auf Grundlage von Daten der Internationalen Energieagentur auf ein bis drei US-Dollar pro Kilogramm taxiert, der grüne Wasserstoff hingegen auf 3,4 bis 12,0 Dollar.
Der Standard