Das Börsendebakel der Wien Energie

23. Juli 2024, Wien

Prüfung. Wie kam es zum Beinahe-Kollaps der Wien Energie im August 2022? Der Rechnungshof legt zwei Jahre danach eine erste Antwort vor. Fazit: Fehler gab es nicht nur im Management des Versorgers.

Es wird noch eine Weile dauern, bis Wien-Energie-Chef Michael Strebl Ende August wieder einmal richtig entspannt in Urlaub fahren kann. Vom 26. August 2022, auch damals ein Urlaubstag, spricht der Wien-Energie-Chef inzwischen ohnedies nur noch als „Black Friday“. Es war bekanntlich der Tag, an dem die Megawattstunde Strom an Europas Börsen als Konsequenz der Gaskrise plötzlich 1015 Euro kostete und die Wien Energie somit rasch 1,8 Milliarden Euro an Sicherheiten für Termingeschäfte auftreiben musste. Geld, das der stadteigene Versorger nicht hatte.

Die Stadt Wien schoss in Summe 1,4 Milliarden Euro zu, der Bund versprach quasi über Nacht weitere zwei Milliarden Euro, um die Sache auszubügeln. Der finanzielle Kollaps war damit vom Tisch, aber die Suche nach den Schuldigen an der Misere ging erst los. Zwei Jahre später ist der Rechnungshof fündig geworden.

Eines vorweg: Spekulative Börsengeschäfte, wie sie dem Unternehmen damals von mehreren Seiten vorgeworfen wurden, haben die Rechnungshof-Prüfer nicht gefunden. Wohl aber einen verantwortungslos lockeren Umgang mit Risiken und eine bedenkliche Nonchalance, mit der Stadt Wien und Wiener Stadtwerke ihrem Tochterunternehmen, ohne näher hinzusehen, mit Milliarden an Euro ausgeholfen haben.

Schutzmauern höher gebaut

Dass der Strompreis im Zuge der Gaskrise um über 800 Prozent angestiegen ist (was den abrupten Liquiditätsbedarf erst ausgelöst hat), sei dem Versorger nicht anzulasten, betonen die Prüfer. Doch die Geschäftsführung der Wien Energie habe die notwendige Sorgfalt missen lassen und „entwickelte trotz zugespitzter Marktlage ab dem Frühjahr 2022 keine Alternativen, um das Liquiditätsrisiko des Börsenhandels zu reduzieren und das Risiko breiter zu streuen“, heißt es im Bericht. Das Risikomanagement der Wien Energie führte das letztlich existenzbedrohende Liquiditätsrisiko in seinen Berichten nicht einmal unter den „Top 5 Risiken“ an. Ein extra dafür vorgesehenes Risikokomitee der Wien Energie wurde zwischen Jänner und November (!) 2022 kein einziges Mal einberufen. Damit habe das Management nicht nur den Bestand des Unternehmens, sondern auch die Wärme- und Stromversorgung der Stadt Wien aufs Spiel gesetzt.

„Wir nehmen die Kritik des Rechnungshofs Österreichs in der Nachbetrachtung der Ereignisse im Jahr 2022 ernst und werden diese gewissenhaft evaluieren und umsetzen“, reagierte Wien-Energie-Chef Michael Strebl am Freitag. Vieles sei auch schon umgesetzt worden. „Zum damaligen Zeitpunkt hat Wien Energie nach bestem Wissen und Gewissen und im Sinne der Versorgungssicherheit und Preisstabilität gehandelt“, betonte er. Aus heutiger Sicht müsse das Unternehmen aber davon ausgehen, dass so ein Extremszenario an den Börsen wieder eintreten kann. „Genau deshalb haben wir unsere Schutzmauern noch höher gebaut.“

Scharfe Kritik äußerte der Rechnungshof aber auch an den Eigentümern, der SPÖ-geführten Stadt Wien und den stadteigenen Wiener Stadtwerken, deren 100-Prozent-Tochter die Wien Energie ist. Diese hätten kaum dazu beigetragen, die systemischen Schwächen des Energieunternehmens zu verbessern. Im Gegenteil: Bürgermeister Michael Ludwig organisierte noch am 15. Juli per Notkompetenz 700 Millionen Euro für die Wien Energie, die Wiener Stadtwerke stellten weitere Hunderte Millionen als Sicherung für die Börsengeschäfte bereit, „ohne von der Geschäftsführung der Wien Energie Alternativen einzufordern und finanzielle Limite festzulegen“.

Vom Friedhof zum Aufsichtsrat

Finanzministerium, Klimaschutzministerium und E-Control informierten die Wiener erst am 27. August – gerade einmal zwei Tage, bevor die fehlenden Milliarden bezahlt werden mussten. Zwar nahm die Wien Energie letztlich das Darlehen des Bundes nie in Anspruch und zahlte der Stadt ihre Milliarden mit Zins und Zinseszins zurück. Auch das Risikomanagement des Versorgers wurde seitdem verbessert, räumt der Rechnungshof ein. Dennoch: So weit hätte es nie kommen sollen.

Mitschuld an der Misere sei auch der Aufsichtsrat der Wien Energie unter der Führung des Stadtwerke-Vorstands Peter Weinelt. Das Kontrollgremium habe seine Überwachungsfunktion im Hinblick auf das Liquiditätsrisiko „nicht umfassend“ wahrgenommen und seine Tätigkeit „in der kritischen Phase nicht intensiviert“, so die Prüfer. Um das zu vermeiden, sollten künftig für den Aufsichtsrat „auch Personen, die unternehmerische Expertise in der Energiewirtschaft einbringen, in Betracht gezogen werden“, fordern sie.

Bisher sei de facto vor allem die institutionelle Nähe zur Stadt Wien und ihren Unternehmen ein maßgebliches Kriterium für die Besetzung gewesen. Neben Weinelt sitzen für den 100-Prozent-Eigentümer Stadt Wien die Chefinnen der Wiener Friedhöfe und des Wiener Hafens sowie zwei politische Mitarbeiter der Stadt Wien im Aufsichtsrat.

von Matthias Auer

Die Presse

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