Die EU wollte sich eigentlich unabhängig von russischer Energieversorgung machen. Doch es läuft nicht wie geplant.
Es war ein ambitioniertes Vorhaben. Mit einem Netz von LNG-Terminals wollte Griechenland zur Drehscheibe für die Gasversorgung Südosteuropas werden. Vorgesehen waren fünf Anlagen, in denen man das mit Tankern angelieferte LNG regasifizieren und in die Balkanländer exportieren wollte. Durch neue Pipelines sollte das Erdgas von den griechischen Terminals bis in die Ukraine und nach Moldawien gepumpt werden. Damit wäre Griechenland zum wichtigsten Energieknoten der Region geworden – und die Region hätte sich vom russischen Gas abnabeln können. So der Plan. Aber jetzt gibt es wachsende Zweifel, ob er aufgeht.
Anfang Juli führten Gasnetzbetreiber aus Griechenland, Bulgarien, Rumänien, der Slowakei, Moldawien und der Ukraine einen Markttest durch, um das Interesse der großen Gaskunden an dem geplanten Süd-Nord-Korridor zu sondieren. Das Ergebnis war enttäuschend. Derzeit gibt es so gut wie keinen Bedarf für die neue Leitung – weil Russland die gesamte Region mit billigem Pipelinegas überschwemmt. Damit wackelt die Finanzierung der LNG-Strategie. Wenn sich keine privaten Investoren finden, bleibt nur die Hoffnung auf finanzielle Förderung der Europäischen Union. Brüssel befürwortet das Projekt, um die osteuropäischen Länder unabhängiger von russischem Gas zu machen.
Griechenland hat bisher erst ein LNG-Terminal auf der Insel Revithoussa bei Athen. Geplant waren fünf weitere Terminals. Aber die Investoren zögern. Die anfängliche Euphorie ist verflogen. Weil wieder mehr Gas aus Russland kommt, wird viel weniger LNG benötigt als noch vor zwei Jahren angenommen. Überdies geht der Gasverbrauch stärker zurück als erwartet.
Auch Griechenlands Erdgasverbrauch ist rückläufig. Vor allem bei der Stromerzeugung spielen die Gaskraftwerke eine immer geringere Rolle. 2021 hatten sie einen Anteil von 53,4 Prozent am Strommix. Im vergangenen Jahr waren es 41 Prozent. Aktuell liegt der Erdgasanteil nur noch bei knapp 32 Prozent. Aber immer mehr davon kommt aus Russland. Griechenland bezog vor dem Ukraine-Krieg etwa 45 Prozent seines Erdgases vom Kremlkonzern Gazprom. Im ersten Halbjahr 2023 waren es 21,4 Prozent, in den ersten sechs Monaten dieses Jahres erreichte der Anteil des russischen Gases 50,8 Prozent. Das Land ist also heute viel abhängiger vom Russengas als vor dem Beginn des Kriegs.
Marktbeobachter schätzen, dass der Anteil des russischen Gases an den Importen schon bald 80 Prozent erreichen könnte. Der Grund ist einfach: Gazprom verkauft sein Gas etwa acht bis zehn Euro pro Megawattstunde (MWh) unter den Marktpreisen am virtuellen Handelsplatz TTF in den Niederlanden. Das entspricht einem Discount von bis zu 30 Prozent.
Griechenland ist kein Einzelfall. Ungarn hat erst im vergangenen Jahr neue Lieferverträge mit Gazprom geschlossen. Das Land bezieht 80 bis 85 Prozent seines Erdgases über Pipelines aus Russland. In Österreich schwankte der Anteil des russischen Gases in den ersten fünf Monaten dieses Jahres zwischen 81 und 97 Prozent. Der zu knapp einem Drittel vom Staat kontrollierte österreichische Energiekonzern OMV hat sich vertraglich bis 2040 an den Lieferanten Gazprom gebunden.
Die Europäische Union hat Ende Juni das 14. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Gaslieferungen in die EU sind davon aber weiter ausgenommen. Die EU-Staaten können so viel russisches Gas importieren, wie sie wollen. Die Einfuhren von russischem Erdgas in die EU sind zwar von 155 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2021 auf 25 Milliarden Kubikmeter 2023 stark zurückgegangen. Das war vor allem eine Folge des Ausfalls der Nordstream-Pipeline.
Die Lieferungen von russischem LNG sind jedoch nach Recherchen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel seit 2021 um 38 Prozent gestiegen. Größte Abnehmer sind Spanien, Frankreich und Belgien. Im ersten Quartal steigerte Gazprom auch seine Pipelineexporte in die EU-Staaten nach Angaben des Forums Gas exportierender Länder (GECF) gegenüber dem Vorjahr um 23 Prozent.
Wegen des billigen Russengases findet Griechenland für das teure LNG in den Nachbarländern kaum noch Abnehmer. Im ersten Quartal 2024 brachen die Gasexporte in die Balkanländer um 95 Prozent ein. Das LNG-Terminal Revithoussa, das 2023 fast 60 Prozent der griechischen Gasimporte abwickelte, ist nicht einmal annähernd ausgelastet. Kein Wunder, dass die Investoren mit dem Bau neuer Terminals zögern. Wenn auch die geplanten Süd-Nord-Pipelines nicht gebaut werden, bleiben die Staaten Ost- und Südosteuropas für ihre Gasversorgung auf die bisherigen Ost-West-Leitungen aus Russland angewiesen. Freuen kann das nur einen: Kremlchef Putin.
Salzburger Nachrichten