Energiewende: „Es fehlt ein Masterplan für Erneuerbare“

30. Juli 2024, Wien

Ausbau von Anlagen für Windkraft oder Photovoltaik ist zu begrüßen, aber nicht um jeden Preis. Umweltschützer fürchten Aushebeln der Bürgerbeteiligung durch Verfahrensbeschleunigungen.

Der Ausbau erneuerbarer Energieträger wie Photovoltaik oder Windkraft müsse unbedingt forciert werden, aber nur mit Hirn und Konzepten. Darin sind sich Gregor Schamschula, Umweltjurist beim Ökobüro, und Hanna Simons, stellvertretende Geschäftsführerin des WWF Österreich, einig. Sie kritisieren, dass die Realität in Österreich eine andere sei. Mit dem Argument, man müsse möglichst schnell weg vom russischen Erdgas und Erdöl, dürfe nicht jedes Projekt unter Missachtung von Bürgerbeteiligungsverfahren durchgepeitscht werden, fordern die beiden.

„Nicht jedes Projekt, das unter dem Vorwand der Energiewende eingereicht wird, ist ein gutes Projekt“, betont Simons. Und weiter: „Die Klimakrise ist eng verbunden mit der Biodiversitätskrise. Wir brauchen nicht nur einen Umstieg auf erneuerbare Energie, sondern müssen beim Schutz der Ökosysteme genauso gut sein.“

Denn funktionierende Ökosysteme seien wirksame CO2 -Speicher und daher brauche auch Österreich mehr davon. Gehe der Ausbau ökologischer Energieformen hingegen auf Kosten der Ökosysteme, „dann schneide ich mir in das eigene Fleisch; dann kommt man in einen Teufelskreis“.

Genau diesen zielgerichteten, systematischen Umbau der Alpenrepublik vermissen Simons wie auch Schamschula: „Es wird immer nur von Einzelprojekt zu Einzelprojekt gedacht. Es gibt keinen Masterplan.“ Ein Grund dafür sei die Kompetenzzersplitterung – für Flächenwidmung sind Gemeinden und Bürgermeister zuständig, für die Raumordnung die Länder. Die Lösung wäre für die Umweltexperten eine für Bund, Länder und Gemeinden verbindliche übergeordnete Energieraumplanung.

Als Beispiel nennt Simons den Tourismus: Dieser sei ein großer Konsument von Energie, werbe aber gleichzeitig mit Bildern von unberührter Natur, die es dort kaum mehr gebe. „Das ist ein Spannungsverhältnis. Wenn es um das Landschaftsbild geht, werden Konflikte entstehen“, ist sich Simons bewusst. Man wettere gegen den Ausbau, gleichzeitig wolle man in der Nähe einen Autobahnanschluss und einen großen Supermarkt.

Andererseits würden in hochsensiblen Zonen Projekte vorangetrieben – wie der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal in Tirol zeige. Im Bewusstsein, dass hier wertvolle Moore, zwei Flüsse und sechs Schutzgebiete zerstört würden. Schamschula hält fest, dass immer öfter in immer sensibleren Gebieten gebaut werde, 80 Prozent der Lebensräume seien in keinem guten Zustand mehr.

Der Ausbau der Wasserkraft habe dazu geführt, dass nur mehr 15 Prozent der Flüsse in einem guten ökologischen Zustand sind. Zwei Drittel der Flüsse müssten saniert werden. „Das ist ein gutes Beispiel, dass falsche Entscheidungen wie ein Bumerang zurückkommen. Wir wollen nicht in ein paar Jahrzehnten mit viel Geld die jetzigen Maßnahmen wieder sanieren müssen“, sagt Simons.

Die Umweltexperten haben das Gefühl, dass Klimaschutz oftmals als Vorwand verwendet wird, „um gewisse Rechte auszuhebeln oder Megaprojekte durchzudrücken“. So sei nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eine EU-Beschleunigungsverordnung erlassen worden, die den EU-Mitgliedstaaten ermöglicht, in Genehmigungsverfahren für erneuerbare Projekte von einer UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) abzusehen. Das Ziel sei, die Bürgerbeteiligung und Umweltorganisationen zurückzudrängen. „In der Praxis beschleunige ich Verfahren mit ordentlicher Planung und mit Behördenressourcen (genügend Personal und Sachverständigen)“, erklärt Schamschula.

Werde dieser Grundsatz ignoriert, „dann fehlt es an öffentlicher Akzeptanz“. Der Schuss werde nach hinten losgehen: „Das ist nur eine Beschleunigung am Papier, weil die Gefahr besteht, dass Projekte ohne Parteiengehör vor dem Höchstgericht nicht Bestand haben.“ Das Denken „Nur weil es sich um grünen Strom handelt, kriege ich alles“ hält der Umweltjurist für nicht sinnvoll.

Die Conclusio von Simons lautet: „Die Politik hat über Jahrzehnte den Ausstieg aus fossilen Treibstoffen verschlafen. Dafür die Rechtsstaatlichkeit aufs Spiel zu setzen und Umweltorganisationen als Bremser darzustellen ist dreist.“

von Fritz Pessl

Salzburger Nachrichten

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