Die aktuellen Wasserstoffziele spielen vor allem der als Wasserstofflobby getarnten Gaslobby in die Hände.
Der Europäische Rechnungshof kritisiert die EU-Wasserstoffstrategie scharf. Der Verbund und andere österreichische Energiekonzerne setzen trotzdem auf milliardenschwere Investitionen, wie „Die Presse“ berichtete. Ein Anlass, die Folgen einer europäischen Wasserstoffwirtschaft generell zu überdenken. Denn die aktuellen Wasserstoffziele sind nicht nur unrealistisch hoch und teuer. Sie spielen vor allem der – als Wasserstofflobby getarnten – Gaslobby in die Hände und führen zu einer neuen Form von Energiekolonialismus.
Die EU-Kommission, die Industrie und Energiekonzerne erklären Wasserstoff zum Königsweg für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Industrie. Die EU-Ziele sehen eine jährliche Verfügbarkeit von 20 Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoffs ab 2030 vor. Dabei geht es hauptsächlich um grünen Wasserstoff, der durch dieElektrolyse von Wasser entsteht, aber nur dann wirklich grün ist, wenn der dafür nötige Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Viele Ressourcen
Doch Wasserstoff wird derzeit vor allem mit fossilen Energieträgern wie Erdgas hergestellt. Grüner Wasserstoff macht bisher weniger als ein Prozent (!) der weltweiten Produktion aus. Allerdings übersteigen sowohl der Flächenverbrauch als auch die hohen Energie- und Wassermengen, die dafür nötig sind, die Produktionskapazitäten innerhalb der EU. Eine lokale Produktion der angepeilten Wasserstoffmengen ist in Europa also gar nicht möglich.
Weder grün noch gerecht
Daher schließt die EU sogenannte Wasserstoffpartnerschaften ab – vornehmlich mit nordafrikanischen Staaten wie Tunesien, Algerien oder Marokko. Auch der österreichische Verbund plant in Kooperation mit Total Energies Großprojekte in Tunesien. Die Hälfte des geplanten EU-Bedarfs soll importiert werden – paradoxerweise mehrheitlich aus autokratischen, fossilen und erdgasreichen Staaten. Nachhaltig oder sozial gerecht wird dies jedoch kaum sein, denn für die Wasserstoff exportierenden Länder entstehen neue wirtschaftliche Abhängigkeiten.
Die Gewinne werden vermutlich auch nicht der Zivilbevölkerung zugutekommen. Die erwartbaren Folgen sind Landvertreibung und zusätzlicher Wassermangel in einer Region, die durch die Klimakrise ohnehin schon mit Dürren zu kämpfen hat. Auch die extrem energieintensiven Entsalzungsanlagen für die Nutzung von Meerwasser bei der Herstellung von Wasserstoff stellen keine nachhaltige Lösung dar.
Sie werden die Energiearmut vor Ort verschärfen und die Abhängigkeit der lokalen Bevölkerung von Erdgas sogar erhöhen. Es handelt sich daher um eine neue Form von Energiekolonialismus, der sich Land und Ressourcen zum Zweck des Exports in die EU einverleibt.
Hype der fossilen Lobby
Die großen Verfechter des Wasserstoffhypes sind eine bekannte und gut organisierte Lobby: Shell, RWE, Total oder auch die OMV und der Verbund in Österreich. Hinzukommen potenzielle zukünftige Wasserstoffnutzer aus der Industrie, insbesondere die Stahl- oder chemische Industrie. Über 75 Millionen Euro an Ausgaben können laut EU-Lobbyregister Konzernen, Verbänden und Thinktanks zugeordnet werden, die Wasserstoff als eines ihrer Hauptthemen angeben – mehr als der Big-Tech- oder der Big-Finance-Lobby. Diese – als Wasserstofflobby getarnte – fossile Lobby hat ein großes Interesse daran, ihre Infrastruktur etwa in Form von Pipelines weiterzubetreiben und ihr fossiles Geschäftsmodell so lang wie möglich aufrechtzuerhalten.
Doch derzeit stockt der Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft erheblich: Von den angekündigten Projekten im Umfang von 200 GW sind derzeit gerade einmal 0,2 GW in Betrieb, zusätzlich befinden sich Anlagen mit 3 GW Leistung im Bau oder sind finanziert. Daher soll die öffentliche Hand mit Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Technologie einsteigen. Es verwundert also kaum, dass Wasserstoff plötzlich zentraler Bestandteil des überarbeiteten „Repower EU“-Plans von 2022 ist.
Hohe Subventionen
Österreich will in diesem Milliardenspiel zentrale Drehscheibe eines neuen europäischen Wasserstoffnetzes werden. Auch hierzulande richtet eine neue Allianz aus Energiewirtschaft und Industrie Forderungen an die öffentliche Hand: Es brauche Subventionen in Milliardenhöhe, um die nötigen Investitionssicherheiten zu geben und die hochgesteckten EU-Ziele zu erreichen.
Regionale Produktion
Doch anstatt den fossilen oder fossil-basierten Unternehmen durch den Wasserstoffhype neue Investitionsmöglichkeiten mit grünem Anstrich zu ermöglichen, sollte die EU die absurden Wasserstoffziele herabsetzen. Nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus sozialen und ökologischen Gründen sollte Wasserstoff nur in geringen Mengen und regional produziert werden sowie maßvoll eingesetzt werden. In Sektoren, die nicht oder kaum zu dekarbonisieren sind, wie etwa die Stahl- oder Zementindustrie, werden wir in Zukunft Wasserstoff benötigen – nicht aber in der Raumwärme oder im Individualverkehr.
Demokratische Wege
Um den fossilen Konzernen nicht die Energiewende zu überlassen, benötigen wir eine demokratische Mitbestimmung über die Transformation der Energiewirtschaft. Denn letztendlich muss unsere Wirtschaft so umgestellt werden, dass sie ressourcen- und energieeffizient wirtschaftet, was auch das Schrumpfen einiger energieintensiver Sektoren bedeutet.
Max Hollweg ist Energieexperte bei Attac Österreich. Emma Schrade ist Politikwissenschafterin in Wien. Reaktionen an: debatte@diepresse.com
von Emma Schrade und Max Hollweg
Die Presse