Chinas CO2-Emissionen sinken – Zweifel bleiben

16. August 2024, Peking

Peking könnte seine Ausbauziele für erneuerbare Energien bereits 2024 erreichen. Gleichzeitig werden so viele neue Kohlekraftwerke gebaut wie lange nicht mehr. 

Mit diesem Erfolg brüstet sich die Staatsführung gern: Kein Land der Welt baut erneuerbare Energien schneller aus als China. In der Volksrepublik sollen allein 2024 neue Anlagen mit einer Leistung von 260 Gigawatt installiert werden, wie aus einer jüngst veröffentlichten Analyse des staatlichen Instituts für Erneuerbare Energietechnik (CREEI) hervorgeht. In Deutschland kamen im ersten Halbjahr dieses Jahres gerade einmal 9,3 Gigawatt hinzu. 

Die gesamte Kapazität von Sonnen- und Windkraft in China könnte bis Ende des Jahres auf mehr als 1300 Gigawatt wachsen. Das wäre neun Mal so viel wie in Deutschland und viereinhalb Mal so viel wie in den USA. Damit würde die Volksrepublik ihr für 2030 anvisiertes Ausbauziel für erneuerbare Energien bereits sechs Jahre früher erreichen als geplant, so die Forscher.

Der rasante Ausbau ist ein wichtiger Grund, warum Chinas Emissionen in der Stromerzeugung seit März rückläufig sind. Seitdem diskutieren Experten: Könnte das Land den CO2-Peak bereits erreicht haben, sieben Jahre früher als von Staats- und Parteichef Xi Jinping versprochen?

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt verursacht mehr als 25 Prozent der globalen Treibhausgase. Im September 2020 hatte Xi bei einer Rede vor der UN-Generalversammlung angekündigt, die Volksrepublik werde ihre CO2-Emissionen spätestens ab 2030 reduzieren und bis zum Jahr 2060 CO2-neutral werden. Diese beiden Ziele, in China ist von „shuang tan“ die Rede, haben zu einem Rekordausbau der erneuerbaren Energien geführt.

Gleichzeitig werden in der Volksrepublik derzeit so viele neue Kohlekraftwerke gebaut wie seit acht Jahren nicht mehr. Das weckt Zweifel, wie ernst es Xi mit der Energiewende ist. 

Trotz des rasanten Ausbaus der erneuerbaren in China werden nach wie vor zwei Drittel des Energiebedarfs mit Strom gedeckt, der aus Kohle gewonnen wird. Atomkraft spielt mit einem Anteil von weniger als fünf Prozent kaum eine Rolle. 

Die geringe Auslastung der Sonnen- und Windkraftwerke sei eine große Herausforderung, heißt es in der CREEI-Analyse. In einigen Regionen könnten die Netze die volatile Energie aus Erneuerbaren zeitweise nicht aufnehmen. Die Experten fordern deshalb einen beschleunigten Ausbau der Netzinfrastruktur.

Ungeachtet dieser Probleme haben Sonnen-, Wind- und Wasserkraft zumindest dafür gesorgt, dass sich die CO2-Emissionen trotz des steigenden Stromverbrauchs nicht weiter erhöht haben, analysierte der Energieexperte Lauri Myllyvirta vom finnischen Klimaforschungszentrum Crea jüngst auf der Plattform X. Bereits im Mai hatte Myllyvirta darüber spekuliert, dass Chinas Emissionen in der Stromerzeugung ihren Höhepunkt bereits erreicht haben und nun strukturell zurückgehen könnten. 

Unbestritten ist die elementare Rolle der Volksrepublik beim globalen Kampf gegen den Klimawandel. Die „Klimaziele sind ohne China nicht erreichbar“, betonte der deutsche Vizekanzler Robert Habeck jüngst auf seiner China-Reise. Denn China ist nicht nur der größte Treibhausgas-Emittent, sondern auch der mit Abstand größte Produzent grüner Technologien. Die Produktionskapazitäten der Solarindustrie in China betragen inzwischen mehr als 1000 Gigawatt pro Jahr, wie eine Analyse des Beratungsunternehmens Wood Mackenzie zeigt. Das ist doppelt so viel, wie im vergangenen Jahr an Solaranlagen weltweit installiert wurde.

Dank billiger grüner Technologien „made in China“ können sich auch Länder des globalen Südens die Energiewende leisten. Allerdings wächst in vielen westlichen Staaten die Kritik an den Überkapazitäten der chinesischen Solar- und Windindustrie. Diese drohen die globalen Märkte zu überschwemmen und lokale Hersteller aus dem Markt zu drängen.

Längst liefern sich die chinesischen Hersteller untereinander einen ruinösen Preiskrieg. Hinzu kommen Vorwürfe, dass insbesondere bei der Lithiumförderung in der westchinesischen Provinz Xinjiang uigurische Zwangsarbeiter eingesetzt werden.

Chinas Erfolge beim Ausbau erneuerbarer Energien hingegen werden international gewürdigt. Oft folgt auf die Anerkennung jedoch ein „aber“. China sei ein Vorreiter, lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Peking im Dezember vergangenen Jahres. Sie sei aber „sehr besorgt über den verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken in China“. Auch Habeck kritisierte die gleichzeitige Förderung von grüner Energie und fossilen Energieträgern als „ineffizient“. Er forderte eine möglichst schnelle Senkung der CO2-Emissionen. Ein Grund, warum 2022 und 2023 neue Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von fast 200 Gigawatt genehmigt wurden, waren großflächige Stromausfälle im Sommer 2021. Damals sorgten unter anderem eine extreme Hitzewelle und eine lang anhaltende Dürre dafür, dass deutlich weniger Strom mit Wasserkraft erzeugt werden konnte als üblich. Wasserkraft trägt in China rund 15 Prozent zur Stromerzeugung bei. 

Das führte dazu, dass in vielen Landesteilen, insbesondere in der Industrie, der Strom rationiert wurde. Zahlreiche Fabriken mussten die Produktion herunterfahren. Der Schock führte dazu, dass insbesondere die Lokalregierungen in den industriestarken Provinzen an der Ostküste eine Rekordzahl neuer Kohlekraftwerke in ihrem Zuständigkeitsbereich genehmigten.

Chinas Offizielle betonen, dass es sich dabei lediglich um Kraftwerksreserven handelt, die nur ans Netz gehen, wenn nicht ausreichend Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht. Der Neubau diene „ausschließlich dem Lastenmanagement“, beteuerte Zheng Shanjie, Vorsitzender der mächtigen Nationalen Reform- und Entwicklungskommission (NDRC), bei seinem Treffen mit Habeck. Klimaschützer bezweifeln dies jedoch. Denn für den Bau neuer Kraftwerke fallen hohe Investitionskosten an, die wieder verdient werden müssen. Zudem handele es sich bei den genehmigten Anlagen meist um Großkraftwerke, die sich nicht zum Lastenmanagement eignen.

Kritik gibt es auch daran, dass deutlich mehr Kraftwerke genehmigt wurden als eigentlich notwendig. Ein Grund dafür ist der Wettbewerb zwischen den Provinzen, die oftmals nicht kooperieren, auch nicht bei der Stromversorgung. 

Die Widersprüche in Chinas Energiepolitik sind damit auch ein Spiegelbild der gegenläufigen Interessen in der Volksrepublik: Zwar hatte Xi im Jahr 2020 seine beiden CO2-Ziele definiert. Allerdings sorgt die aktuelle Wachstumsschwäche infolge der Immobilienkrise auch dafür, dass sich die Prioritäten der Staatsführung verschieben. Wichtiger, als die Energiesparziele umzusetzen, erscheint es derzeit, das Wachstumsziel von rund fünf Prozent zu erreichen. 

Das gilt auch für die Provinzen. Da infolge der Immobilienkrise die Landverkäufe stark zurückgingen, ist vielen von ihnen die wichtigste Einnahmequelle weggebrochen. Sie fördern deshalb verstärkt die lokale Industrie – und wollen deren Stromversorgung garantieren. Dabei setzen sie auf Kohlestrom, bereitgestellt von Staatskonzernen. Sicher ist sicher.

Wenig politischer Einfluss

Der Markt für fossile Stromerzeugung wird von fünf großen staatlichen Konzernen dominiert: Huaneng, Huadian, China Energy Investment, State Power Investment und Datang. Bei den grünen Energien dagegen sind private Unternehmen wie die Solarkonzerne Longi Green Energy, Trina Solar und Jinko Solar sowie die Windkraftunternehmen Jinfeng, Vision und Yunda führend. Diese verfügen jedoch über weniger politischen Einfluss und liefern sich einen ruinösen Wettbewerb. 

Trotz dieser Widersprüche gehen Experten in China derzeit davon aus, dass das Land den CO2-Peak bereits vor 2030 erreichen wird. Sie kritisieren allerdings, dass das Emissionsmaximum angesichts wenig ambitionierter Einsparziele höher ausfallen könnte als notwendig. Am Freitag rief der Staatsrat, Chinas Scheinparlament, noch einmal dazu auf, die „doppelte Kontrolle der CO2-Emissionen“ zu beschleunigen. Damit ist gemeint, dass sowohl stärker auf die absolute Höhe der Emissionen als auch auf die Emissionsintensität pro BIP-Einheit geachtet werden müsse.

Klimaschützer hoffen derweil darauf, dass China sich angesichts des rasanten Ausbaus der erneuerbaren Energien im kommenden Jahr ambitionierte CO2-Ziele setzen wird. Dann muss die Staatsführung gegenüber den Vereinten Nationen (UN) einen Plan vorlegen, wie sie in den kommenden fünf Jahren dazu beitragen will, die Pariser Klimaziele zu erreichen – also die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen.

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