In Gemeindekassenfließtviel 380-kV-Geld

16. August 2024, Salzburg

Wofür verwenden die Orte an der neuen Stromleitung die Ausgleichszahlungen? Bürgermeister legen den Zweck offenbar sehr großzügig aus.

Wenn alles nach Plan läuft, wird die neue Hochspannungsleitung vom Flachgau in den Pinzgau in einem Jahr schon einige Wochen oder Monate in Betrieb sein. Dem Projektbetreiber Austrian Power Grid (APG) haben die Behörden zahlreiche Ersatzleistungen für den Naturschutz vorgeschrieben, wie zum Beispiel die renaturierte Weitwörther Au und das Naturwaldreservat Tauglboden.

Die betroffenen Gemeinden bekommen bei der Inbetriebnahme vom Bauherrn APG die zweite Hälfte ihrer Ausgleichszahlungen. Der erste Teil ist schon nach dem Baubeginn geflossen. 

Die Grünen mahnen den Verwendungszweck ein: Das Geld müsse, wie vorgesehen, wirklich für Natur- und Landschaftsschutz aufgewendet werden und dürfe nicht irgendwo im Budget versickern. In den meisten Gemeinden belaufen sich die Gesamtsummen auf mehrere Hunderttausend Euro. Insgesamt geht es, wie beim Baustart 2019 berichtet, um mehr als 14 Millionen Euro bzw. inzwischen um deutlich mehr, da die Beträge über die Jahre wertgesichert sind. 

Die grüne Nationalratsabgeordnete Astrid Rössler, die als LH-Stellvertreterin während der Planung und Genehmigung des Projekts in der Landesregierung ressortzuständig war, beschäftigen Fragen: „Was passiert mit den Geldern? Sieht man davon etwas in der Landschaft? Haben die Gemeinden, die ja mehr Naturschutzmaßnahmen vor Ort in der Nähe der Leitung gefordert haben, Konzepte zum Wohl ihrer Bevölkerung?“ Das habe mit Glaubwürdigkeit und Verantwortung zu tun. Jede Gemeinde habe Flächen, die man dringend erhalten oder ökologisch verbessern sollte, von Alleen und Streuobstwiesen über die Renaturierung von Bächen und Mooren bis zur Biotopvernetzung. „Ich hoffe, dass es nicht nur drei Blühstreifen an der Bundesstraße sind.“ Kleine Maßnahmen wie ökologische Blumenwiesen führt der Koppler Bgm. Rupert Reischl (ÖVP) tatsächlich ins Treffen. Weiters habe man Erdverkabelungen kleinerer Stromleitungen umgesetzt. Der größte Teil des Geldes hat noch keine Bestimmung. Geplant sei die Renaturierung des Koppler Moors, aber „das geht nicht von heute auf morgen“. Auf Koppl entfielen vor fünf Jahren mehr als 700.000 Euro (noch ohne Inflationsausgleich). Die Höhe der Beträge ergibt sich einerseits aus den Leitungskilometern. Andererseits gibt es zusätzliche Zahlungen, die sich nach den jeweiligen Auswirkungen auf die Landschaft und Wohnsiedlungen richten.

Reischl fasst die möglichen Verwendungszwecke sehr weit auf, auch Wasser, Kanal, Straßen und Wege zählt er dazu. In den Vereinbarungen zwischen dem Projektbetreiber APG und der jeweiligen Gemeinde heißt es nämlich, die Ausgleichsleistungen müssten „vollinhaltlich dem Zweck des Naturschutzes oder der Verbesserung der Gemeindeinfrastruktur“ gewidmet werden. An anderer Stelle werden ein Betrag zur „Erhaltung der landschaftlichen Eigentümlichkeit“ sowie die Verbesserung des Lebensraums genannt. 

Der grüne Koppler Gemeinderat Wolfgang Hyden pocht auf die Einhaltung eines Gemeindebeschlusses von Ende 2020: Jedes Projekt müsse in der Gemeindevertretung beschlossen werden. Das sei bei den wenigen bisherigen „kleineren Verschönerungsmaßnahmen“ verabsäumt worden. „Die wurden nur nachträglich identifiziert.“ Rund 470.000 Euro betrage die erste Hälfte für Koppl. Das Geld habe die Gemeinde auf ein Rücklagensparbuch gelegt. Mittlerweile werde es als Zahlungsmittelreserve verwendet, aber wieder aufgefüllt und es bleibe zweckgebunden, erklärt Hyden. Neben der von der ÖVP seit zehn Jahren versprochenen Renaturierung des Moors müsse vor allem der stark betroffene Ortsteil Guggenthal von Projekten profitieren. 

Die Nachbargemeinde Eugendorf hat das meiste Geld auf die hohe Kante gelegt. Circa 300.000 Euro habe man 2021 bekommen, sagt Bgm. Robert Bimminger (ÖVP). „Das ist großteils noch da.“ Eugendorf stehe finanziell gut da und sei schuldenfrei. Und schließlich sei die Leitung ja noch nicht in Betrieb und die alten Leitungen seien noch nicht abgebaut. Erst mit dem Zeitpunkt der zweiten Zahlung werde sich die Gemeindepolitik Gedanken über die Verwendung machen. Bereits umgesetzt seien ein paar Verkabelungen kleiner Leitungen.

Ein besonderer Fall ist Seekirchen. Die Stadtgemeinde ist sowohl vom ersten Abschnitt, der vom Innviertel nach Elixhausen führt und 2011 in Betrieb ging, als auch nun vom zweiten Abschnitt betroffen. Damals sei alles für Verkabelungen aufgewendet worden, erklärt Bgm. Konrad Pieringer (ÖVP).

Wenn Gemeinden die Ausgleichszahlungen für die Verkabelung von Nieder- und Mittelspannungsleitungen verwenden, leistet die Netzgesellschaft der Salzburg AG einen Investitionszuschuss von maximal 50 Prozent. Auch jetzt überlege man, wieder in Verkabelungen zu investieren. „Wir sind mit der Salzburg AG in Kontakt“, betont Pieringer, der ebenfalls auf eine große Bandbreite möglicher Verwendungen verweist. Seekirchen habe das Geld „auf die Seite gelegt“ und werde dann wahrscheinlich beide Teilzahlungen gemeinsam behandeln.

In Adnet, das etwa mit Kuchl, Koppl und Eugendorf als einer der schärfsten Kritiker des Freileitungsprojekts auftrat, steckt ein Teil des 380-kV-Geldes schon in Photovoltaikanlagen auf gemeindeeigenen Gebäuden. „Wir haben beschlossen, die erneuerbare Energie weiter auszubauen, und eine Energiegemeinschaft gegründet“, sagt Ortschef Wolfgang Auer (ÖVP). Weitere PV-Anlagen sollen noch folgen. Den Verwendungszweck sieht Auer mit diesem nachhaltigen Projekt als erfüllt an. 

Chronologie und Fakten zum Bau der neuen Stromleitung in Salzburg

Erste Planungen für die 380-kV-Salzburgleitung reichen mehr als drei Jahrzehnte zurück. 2011 wurde nach 16 Monaten Bauzeit der erste nördliche, 46 km lange Abschnitt aus dem Bezirk Braunau (OÖ) zum neu errichteten Umspannwerk Salzburg bei Elixhausen fertig gestellt. Diese Leitung dient der Stromversorgung des Großraums Stadt Salzburg.

Der Bau des zweiten nun errichteten südlichen Abschnitts vom Flachgau bis zum Umspannwerk Tauern in Kaprun begann im Herbst 2019. Die Bauzeit wurde mit etwas mehr als fünf Jahren veranschlagt. Die Leitung schließt eine Lücke im österreichischen 380-kV-Ring. Sie ist 114 km lang. Dazu kommen 14 km eines neuen 220-kV-Astes im Pongau. 36 Gemeinden sind betroffen. Nach der nächstes Jahr geplanten Inbetriebnahme werden laut Projektbetreiber 110- und 220-kV-Leitungen (193 km und 678 Masten) abgebaut. Der Neubau besteht aus 449 Masten. Die Kosten gab der Bauherr APG mit ungefähr einer Milliarde Euro an.

Das Projekt war – und ist zum Teil noch – äußerst umstritten. Vor allem Bürgerinitiativen und etliche Gemeinden forderten statt der Frei- eine Erdleitung. Die Behördenverfahren zogen sich Jahre hin – bis zu höchstgerichtlichen Verhandlungen.

Thomas Auinger

Salzburger Nachrichten