FPÖ-Obmann Herbert Kickl im Interview über sein Wahlprogramm, neue Volksentscheide über sensible Themen und die kommende Regierungsbildung
Die FPÖ hat gute Chancen, bei der Nationalratswahl Erste zu werden. Über das blaue Programm sprachen die Bundesländerzeitungen mit FP-Chef Herbert Kickl. Für die OÖN war Wien-Korrespondent Christoph Kotanko dabei.
Herr Kickl, ist Russland, wie die Regierung in ihrer Sicherheitsstrategie meint, ein Sicherheitsrisiko?
Herbert Kickl: Ich halte die Änderung der Sicherheitsstrategie in eine Richtung, die uns mehr und mehr hinein in die NATO führt, für hochgradig bedenklich. Wenn Österreich seine Sicherheitsdoktrin auf die Höhe der Zeit bringt, dann ist ein zentrales Element die Neutralität. Ich halte diese für ein großes Zukunftsmodell. Wir haben selbstverständlich den russischen Angriffskrieg verurteilt, aber ein Neutraler muss überall mit den gleichen Maßstäben messen. Das ist das, was mir fehlt. Wenn wir weiter in einer Eskalationsspirale unterwegs sind, werden wir Teil dieser Spirale sein, anstatt ein Ort zu sein, an dem vermittelt wird und an dem man versucht, diesen entscheidenden Schritt heraus zu machen. John F. Kennedy wusste schon im Kalten Krieg: Wir können diesen Konflikt militärisch möglicherweise gewinnen, aber nur um den Preis, dass wir selber verlieren.
Das heißt, die Ukraine sollte nachgeben.
Es könnten auch die Russen sein. Irgendeiner von den beiden wird den Schritt machen müssen. Ich würde mir jemanden wünschen, egal ob auf der einen oder anderen Seite, der das Format hat, so wie Kennedy damals zu sagen, Freunde, wir kommen aus dieser Nummer nur heraus, wenn wir eine andere Ebene aufmachen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass das am Schlachtfeld erledigt werden kann.
Wären Sie für eine Volksabstimmung über Sky Shield?
Wenn wir über Sky Shield eine Volksabstimmung machen, dann ist das eine Abstimmung über unsere Neutralität. Ich bin auch nicht dafür, dass man einen gemeinsamen Luftabwehrschild gegen Russland hat. Das ist ebenso nicht kompatibel mit der Neutralität. Man muss mit den Leuten ehrlich sein. Was bedeutet es dann, in der NATO zu sein? Im Norden Europas gibt es neue Länder, die bei der NATO sind. Wenn da irgendetwas passiert und wir sind im Verbund der NATO, dann sind wir Angriffsziel.
Wir haben vor zwei Jahren gesehen, wie erpressbar sich Österreich mit der Abhängigkeit von russischem Gas gemacht hat. Soll Österreich weiterhin dieses Gas beziehen?
Ja, Österreich soll weiterhin russisches Gas beziehen. Diese billige Energie aus Russland ist ein wesentlicher Faktor für Österreichs Wohlstand. Wer mit moralischen Maßstäben misst, darf auch von verschiedenen anderen Staaten nichts mehr nehmen. Barack Obama mit seinem Friedensnobelpreis hat sieben Länder angegriffen. Wenn wir das Gas aus Aserbaidschan importieren – großartig, das sind diejenigen, die gerade gegen die Armenier vorgehen. Und wenn Sie auf die erneuerbaren Energien setzen, dann müssen Sie auch dazusagen, dass Sie von den Chinesen abhängig sind, wo es um die Menschenrechtssituation auch nicht besonders gut ausschaut.
Mit einem Kanzler Kickl gibt es keinen Gasausstieg 2027?
Nein. Ich bin auch kein Freund der Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen. Das kann man zurückbauen, aber nicht übers Knie brechen. Ich bin auch dafür, dass wir die nachhaltigen Energiemöglichkeiten, die wir haben, nutzen. Aber nicht mit einer Scheuklappe: Windräder, die größte Bodenversiegelung, die es überhaupt gibt, wird von den Gleichen betrieben, die gegen die Bodenversiegelung antreten. Man muss auch die Frage stellen, ob es nicht vernünftiger wäre, die Frage von Fracking zur Erdgas-Gewinnung neu zu bewerten.
Laut Ihrem Wahlprogramm wollen Sie das System der parlamentarischen Demokratie umbauen. Wie stellen Sie sich das vor?
Wir hören von allen Parteien, wie wichtig es ist, dass sich die Bürger engagieren. Es gibt Volksbegehren, damit ein Anliegen ins Parlament kommt. Aber das System ist nicht durchlässig. Das Volksbegehren wird im Parlament entweder auf die lange Bank geschoben oder es gibt eine tolle Plenarveranstaltung, nach der nichts geschieht. Unsere Idee einer Volksinitiative sieht eine Durchgängigkeit von einem Volksbegehren zu einem Gesetz vor. Das ist kein Ersatz für die repräsentative Demokratie, sondern eine sinnvolle Ergänzung – wie in der Schweiz. Die ist auch noch nicht untergegangen.
In Österreich wurde die Todesstrafe 1950 abgeschafft. Per Volksentscheid könnte sie wieder eingeführt werden?
Jedes Gesetz, das im Nationalrat beschlossen werden kann, soll auch in Form einer Volksinitiative beschlossen werden können.
Kann jedes Thema Gegenstand dieser Initiative sein?
Was heißt denn Demokratie anderes? Könnte das Parlament die Todesstrafe einführen? Ja. Also muss es logischerweise auch für eine Volksinitiative möglich sein. Aber bei diesem Prozess muss es natürlich eine entsprechende Teilnahme an Wahlberechtigten geben, das ist schon wichtig.
Wären Sie dafür?
Ich bin ein klarer Gegner der Todesstrafe.
Mit einer Wiedereinführung der Todesstrafe würde Österreich den Konsens aller EU-Staaten verlassen.
Ich glaube gar nicht, dass das mehrheitsfähig wäre.
Laut Ihrem Wahlprogramm sollte die Bundesregierung per Volksentscheid abgesetzt werden können. Das klingt extrem populistisch – und könnte eines Tages auch Sie selbst treffen.
Das soll ja nicht etwas sein, das mit ein paar Stimmen geht, sondern wenn eine ganz große Unzufriedenheit da ist. Wir halten uns hier an das Modell, mit dem Arnold Schwarzenegger 2003 Gouverneur von Kalifornien wurde. Das Recall-Verfahren sieht die Abberufung des amtierenden Gouverneurs durch eine Petition und Neuwahlen vor.
Sie haben über die „Inzuchtpartie“ bei den Salzburger Festspielen geschimpft. Die Salzburger FPÖ-Landesobfrau Marlene Svazek ist gern gesehener Gast bei den Festspielen. Ist sie auch Teil dieser „Inzuchtpartie“?
Das ist das klassische Beispiel einer manipulativen Berichterstattung. Ich habe keinen Künstler oder Kulturschaffenden angegriffen und nicht das Publikum, sondern den politischen Teil dieser Veranstaltung. Derjenige, der dort eine Festrede hält, spricht von „Gräben schließen“ und „Brücken bauen“. Gleichzeitig sagt er, ich muss mir als Bundespräsident überlegen, ob ich den Stimmenstärksten mit einer Regierungsbildung beauftrage. Fällt diesen Herrschaften der Widerspruch nicht auf? Aber wenn der FPÖ-Parteiobmann in irgendwelchen Werbespots von angeblichen Demokratie-Rettern de facto als Adolf Hitler hingestellt wird, halten alle den Mund. Das ist ein Missbrauch des Leids der Opfer des Nationalsozialismus.
Wo ist da der Aufschrei der Medien?
Die Spots sind eine private Aktion. Sie sind aber Spitzen- kandidat einer Partei und wollen Bundeskanzler werden.
Berechtigt das, die Opfer zu verhöhnen?
Von „berechtigt“ redet kein Mensch. Aber Sie sprechen die Regierungsbildung an. Wenn Sie eine Mehrheit bringen, müsste der Bundespräsident Sie doch ohnehin angeloben?
Ich habe ein Interview mit dem Bundespräsidenten in Erinnerung, wo er gesagt hat, ob er einen Bundeskanzler angelobt oder nicht, ist seine höchstpersönliche Angelegenheit. Jeder, dem die Demokratie am Herzen liegt, muss ihn da in die Schranken weisen. Eine höchstpersönliche Angelegenheit ist, ob er mit seinem Hund Gassi geht oder seine Frau das erledigt. Aber wenn er als Bundespräsident handelt, dann steht er nicht neben der Verfassung und nicht über der Verfassung, sondern auf dem Boden der Verfassung.
Wenn Sie eine parlamentarische Mehrheit zusammenbringen, sitzt er am kürzeren Ast.
Er muss mich nicht angeloben, aber er bricht damit die Verfassung. Es ist nicht alles ausdrücklich geregelt, aber es gibt die Grundbausteine, die den Geist der Verfassung zum Ausdruck bringen.
„Wenn irgendetwas im Norden Europas passiert und wir sind im Verbund der NATO, dann sind wir ein Angriffsziel.“
„Bundespräsident Alexander Van der Bellen muss mich nicht angeloben, aber er bricht damit die Verfassung.“
Oberösterreichische Nachrichten