Infrastruktur. In die Wende zur grünen Energieversorgung wird massiv investiert. Im Expertentalk von „Die Presse“ werden Herausforderungen, Lösungen und Finanzierungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Um die Energiewende zu schaffen und vor allem grünen Strom an Haushalte, Industrie und Wirtschaft zu liefern, bedarf es einer gründlichen Überholung und des raschen Ausbaus der Energienetzinfrastruktur. Grüne Transformation erfordert eine integrierte Betrachtung des gesamten Energiesystems – von Gasnetzinvestments bis hin zur Nutzung von grünen Gasen wie Wasserstoff. Es sind tausende dezentrale Erzeugungsanlagen, Speicher und vor allem die alles verbindenden Netze notwendig. Bis zum Jahr 2030 müssen laut Planungen der Elektrizitätsbranche etwa 40.000 Kilometer an neuen Leitungen, 12.000 neue Trafo-Stationen und 200 neue Umspannwerke errichtet werden. Bei der Finanzierung der Energiewende sind etablierte Geldgeber, wie Banken oder Versicherungen, aber auch der Kapitalmarkt gefragt. Welche gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen es in Zukunft brauchen wird, damit alle Strukturmaßnahmen auch rechtzeitig fertiggestellt werden, diskutierte Jakob Zirm, Ressortleiter Wirtschaft bei „Die Presse“ mit Michael Höllerer, Generaldirektor Raiffeisen NÖ-Wien und Martin Graf, Vorstandsdirektor Energie Steiermark.
Grünen Strom sichern
Wie herausfordernd erneuerbare Energien für die bestehende Netzinfrastruktur sein können, unterstreicht der Umstand, dass Besitzer von privaten PV-Hausanlagen von ihren Energie- oder Netzbetreibern verständigt werden, dass sie gewisse Teile ihrer Produktion nicht einspeisen dürfen. Das würde das Netz überlasten. Der österreichweite Ausbau der Stromnetze hinkt dem Ausbau von grünen Erzeugungsanlagen oftmals hinterher. Martin Graf kennt das Problem aus der Steiermark: „Wer ja zum Öko-Strom sagt, muss auch ja zum Netzausbau sagen. Diesen Satz verwende ich seit einer Dekade. Ich bin ein Garant dafür, dass man genau dieses Thema vorantreibt.“ In der Steiermark gingen im vergangenen Jahr etwa 15.000 neue PV-Anlagen mit einer Leistung von 300 Megawatt ans Netz, was der doppelten Kapazität eines Donaukraftwerks entspricht.
„Man erkennt daran die Dimensionen“, so Graf weiter, „Wir müssen das Netz allerdings auf die Spitzenlast auslegen. Hier stellt sich die Herausforderung, dass an sonnigen Tagen die Last bei der Erzeugung oft bis zu 1300 Megawatt entspricht, während der Verbrauch nur bei 400 Megawatt liegt. Wir haben also ein System, in dem wir uns überlegen müssen, wie wir die untertags gewonnene Energie in die Nachtstunden, oder die Sommersonne in den Wintermonaten bringen.“ Dafür brauche es Speicher, auch wenn der Netzausbau massiv voranschreitet. Die Energie Steiermark hat ihre Bautätigkeit in den vergangenen Jahren verdoppelt und investiert in die Netzinfrastruktur heute rund 200 Millionen Euro. Tendenz steigend.
Paradigmenwechsel
Es hat sich in der Energiewirtschaft ein Paradigmenwechsel vollzogen, skizziert Graf die Veränderungen der vergangenen Jahre. „Wir kommen von einem sehr zentralen System, dem thermohydraulischen Verbund. Das sind thermische Kraftwerke für den Winter und Wasserkraft, speziell an der Donau und den großen Flüssen, für den Sommer“, analysiert der Energieexperte, „Das hat sich nun zu einer dezentralen, kleinteiligen Struktur mit den unterschiedlichsten Technologien verändert. So ähnlich wird es auch im Speicherbereich sein. Wir werden in Zukunft alles brauchen, nämlich jegliche Flexibilität beim Kunden, beim Speicher und bei der Steuerung des Verbrauchs.“
Banken als Motor
Einen wichtigen Beitrag beim Ausbau der Energieinfrastruktur spielen auch Banken wie die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien, die seit langem grüne Stromproduktions-anlagen, wie Windparks und PV-Anlagen, finanziert. „Wir sind bereits sehr früh in die Finanzierung erneuerbarer Energie eingestiegen. Wir haben, anteilig gesehen, eines der größten Portfolien in der österreichischen Kreditwirtschaft in diesem Bereich“, unterstreicht Michael Höllerer die Bedeutung der Banken, „Wir konnten die gesamte Entwicklung und Geschichte der erneuerbaren Energien mitverfolgen, allerdings ist die Netzinfrastruktur aus verschiedensten Gründen nicht nachgezogen.“
Um Engpässe zu überwinden, gäbe es aber nicht die eine, umfassende Lösung für alle Notwendigkeiten. Höllerer: „Man muss der Energie- und der unterstützenden Finanzwirtschaft die Möglichkeit geben, in den unterschiedlichsten Alternativen zu denken, zu planen und Maßnahmen zeitgerecht umzusetzen.“
Flexibilität bei Speichern
Leistbarkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit nennt Graf als die drei Eckpfeiler der Energiewirtschaft. „Dieses Pendel schlägt in den vergangenen Jahren immer wieder in die unterschiedlichsten Richtungen aus. Wenn man in diesem Trilemma auf der einen Seite etwas bewegt, hat das Auswirkungen auf die beiden anderen. In den vergangenen Jahren lag der Fokus auf der Erzeugung von erneuerbaren Energien. Die Volatilität und Dezentralität, die damit ins System getragen wurden, wurden zu wenig adressiert“, analysiert der Vorstandsdirektor der Energie Steiermark, „Hier braucht es größere Flexibilität und Speicherkapazitäten. Es wurde ein hohes Ausbauziel formuliert und im Jahr 2030 möchte man in Österreich 100 Prozent erneuerbare Energie zur Verfügung haben. Hier sind wir auf einem guten Weg.“ Graf fordert aber auch Rahmenbedingungen ein: „Wir müssen einerseits kleine und große Speicherlösungen forcieren, wie etwa Wasserstofftechnologie als Speichermedium, und gleichzeitig einen wettbewerbsfähigen Strompreis speziell für Industrie und Wirtschaft bieten.“
Der Experte verweist auf Erleichterungen für die Energiewirtschaft, die etwa in Deutschland bereits umgesetzt wurden, wie die Herabsetzung der Stromsteuer auf ein Minimum, Erleichterungen bei der Fortschreibung, die Kompensation von Kosten im Vergleich zum internationalen Wettbewerb und eine Kraftwerks- und Flexibilitätsstrategie. Die einzelnen Sektoren der Wertschöpfungskette dürften nicht individuell betrachtet, sondern es müsse stärker sektorübergreifend systemisch gedacht werden. Raiffeisen NÖ-Wien begleitet Kunden beim Aufbau neuer Technologien und den nötigen Investitionen, erläutert Michael Höllerer die gängige Praxis, was aber auch mit entsprechenden Risiken verbunden ist: „Es braucht Rechts- und Investitionssicherheit und alle Investitionen müssen sich wirtschaftlich rechnen, damit es nicht später über Jahre hohe Abschreibungen gibt oder, noch schlimmer, ein System durch staatlich regulierte Preise oder gar Förderungen künstlich am Leben gehalten wird. Es ist für uns als Bank und Finanzbranche eine der großen Herausforderungen, einen Mittelweg zu finden.“ Engpässe bei der Finanzierung sieht Höllerer nicht.
Investition in die Zukunft„Wenn es ein gesundes, klar durchkalkuliertes Projekt ist, das keine fantastischen Annahmen trifft, finanzieren wir das auch“, unterstreicht er, „Das ist ähnlich wie beim Netzausbau. Netze waren über Jahrzehnte etwas völlig Unspektakuläres. Mittlerweile gibt es große Investmentfonds und staatliche Fonds, die in die öffentliche Netzinfrastruktur investieren, in das große Asset der Zukunft. Wir, als Finanzwirtschaft, ziehen nach und begleiten die Wirtschaft. Das ist genau unsere Rolle als Banken, Pensionskassen oder Versicherungen.“ Einen schleppenden Netzausbau kann Martin Graf nicht erkennen. „Jeder Netzbetreiber baut intensiv und je nach Bedarf aus, denn wir können nicht auf Verdacht entsprechende Infrastrukturen aufbauen und ,stranded Investments‘ verursachen“, erklärt der Vorstandsdirektor der Energie Steiermark, „Früher ist der Netzausbau begleitend mit dem Bau von Wind- und großen Wasserkraftwerken einher gegangen, sowohl vom Genehmigungszeitraum, als auch von der Bauzeit her. Das hat sich durch kleine PV-Anlagen völlig verändert und der Netzausbau braucht schlichtweg manchmal mehr Zeit.“ Allerdings gäbe es ein Commitment der Branche, die Netze zu adaptieren: „Deshalb werden bis zum Jahr 2040 in Summe mehr als 50 Milliarden Euro investiert. Bei der Fremdfinanzierung sehe ich keine Probleme. Die Energie Steiermark hat erst kürzlich Schuldscheine aufgelegt, die völlig überzeichnet waren.“
Banker Höllerer blickt ähnlich optimistisch in die Zukunft, denn gestiegene Zinsen bei Fremdfinanzierungen betreffen, quer durch die Branchen, alle Projekte. „Wir sind im Netzbereich in einem Monopolmarkt und die Regulierung deckt zeitlich verzögert die Zinsentwicklung ab“, ergänzt Graf, „Wir müssen aber mehr Gewinne thesaurieren, um die Eigenkapitalquote zu bewerkstelligen.“ Beim Erreichen der Ziele des Green Deals sieht er ebenfalls Licht am Horizont: „Ich bin grundsätzlich optimistisch, wenn man den Unternehmen nicht die Handbremse anzieht. 80 Prozent des Green Deals werden von der Wirtschaft geleistet. Eine eventuell sogar ideologische Regulierung und ein ambitioniertes Ziel werden sich gemeinsam nicht ausgehen.“
Wir müssen einerseits kleine und große Speicherlösungen forcieren, wie etwa Wasserstofftechnologie als Speichermedium, und gleichzeitig einen wettbewerbsfähigen Strompreis speziell für Industrie und Wirtschaft bieten.
von Martin Graf
Man muss der Energie- und der unterstützenden Finanzwirtschaft die Möglichkeit geben, in den unterschiedlichsten Alternativen zu denken, zu planen und Maßnahmen zeitgerecht umzusetzen. Michael Höllerer
InformationDie Diskussion fand in Kooperation mit der Presse statt und wurde finanziell unterstützt von Raiffeisen-Holding NÖ-Wien und Energie Steiermark.
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