Russlands neues Gas-Schlupfloch

26. September 2024, Rotterdam

EU-Sanktionen. Das EU-Ziel zum Ausstieg aus russischem Gas rückt in weite Ferne: Rotterdam ist einer der Häfen, in dem immer mehr Schiffe mit russischem Flüssiggas anlegen.

Die Vorzeichen haben sich verändert. Noch vor Kurzem wurde erwartet, dass Russland mit Ende des Jahres ein erheblicher Einbruch bei seinen Gasverkäufen in Europa droht. Da die Ukraine die Verträge zur Durchleitung von Gas per Pipeline auslaufen lassen möchte, hätte die Gazprom deutlich weniger an EU-Länder liefern können als bisher. Doch russische Exporteure haben mittlerweile neue Alternativen gefunden. Wohl aus diesem Grund hat sich beispielsweise die Einfuhr von russischem Flüssiggas (LNG) in die Niederlande plötzlich verdoppelt. Das Ministerium für Klima, grünes Wachstum und Umweltschutz in den Haag ist alarmiert und will die Angelegenheit untersuchen. Sollte Russland auf diesem Weg künftig sogar mehr liefern als zuvor, droht nämlich das Ziel der EU, bis 2027 aus russischem Gas völlig auszusteigen, in weite Ferne zu rücken.

Die EU-Mitgliedstaaten haben erst im Juni in ihrem 14. Sanktionspaket beschlossen, dass russisches LNG nicht mehr in EU-Häfen zum Weiterverkauf umgeladen werden darf. Einen völligen Importstopp von LNG bedeutete dies allerdings nicht. Im ersten Halbjahr 2024 kamen laut dem jüngsten Energiebericht der EU-Kommission bereits wieder 18 Prozent aller Gas-Importe aus Russland. 2023 waren es noch 15 Prozent gewesen. Auch die Einfuhr von russischem Gas per Pipeline hat sich, so lange der Durchfluss durch die Ukraine noch möglich ist, in der ersten Hälfte des Jahres 2024 wieder leicht erhöht. Vor Ausbruch des Kriegs ließen sich die EU-Staaten freilich noch 45 Prozent ihres Gases aus Russland liefern.

Niederlandes Umweltministerin Sophie Hermans von der rechtsliberalen Regierungspartei VVD kündigte an, sie wolle das Parlament über die plötzliche Verdopplung der LNG-Importe aus Russland ausführlich informieren. Sie muss sich rechtfertigen, weil die rechtskonservative Haager Regierung ebenso wie die Europäische Union eigentlich den vollständigen Ausstieg aus russischer Energie vorantreiben wollte.

Seit Beginn der EU-Sanktionen 2022 legte durchschnittlich nur ein russischer LNG-Tanker pro Monat in Rotterdam an, um seine Ladung zu löschen. Doch seit diesem Jahr gehen zwei große russische LNG-Tanker pro Monat vor Anker. Die Schiffe können zwischen 120.000 und 245.000 Kubikmeter transportieren. Das verflüssigte Erdgas nimmt rund 600 Mal weniger Platz ein als im gasförmigen Zustand. Dadurch können auf diesem Weg einfacher große Mengen als über Pipelines geliefert werden. Die Zeitung „De Telegraaf“ berichtet, dass die neue russische Strategie möglicherweise auf das neue Sanktionspaket der Europäischen Union zurückzuführen ist, das im Juni gegen Russland verhängt wurde. Ebenso wie bei den vorangegangenen Paketen war das Ziel der Sanktionen, die russische Kriegsindustrie zu schwächen und die russischen Staatseinnahmen, die für den Krieg gegen die Ukraine ausgegeben werden, zu verringern. Das Verbot für ein Umschiffen von russischem Gas in europäische Häfen zur Weiterlieferung in Drittländer, dürfte aber dazu geführt haben, dass nun vermehrt Abnehmer in der EU gesucht und offenbar gefunden wurden.

Kontraproduktive Sanktionen?

Auch im Haager Umweltministerium wird vermutet, dass das neue EU-Sanktionspaket für den Gassektor kontraproduktiv war. Die Russen hätten dadurch eine neue „Lücke im Netz“ gefunden. Ministerin Hermans kündigte an, dass dies ein Anlass zur „Besorgnis“ sei und die Niederlande sich „aktiv für Maßnahmen auf EU-Ebene zur Reduzierung des russischen Gasimports auf null“ einsetzen werden.

Hermans weist darauf hin, dass die Niederlande bereits „Maßnahmen zur Beschränkung des russischen Gases“ ergriffen hätten, die Regierung jedoch „in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt“ sei. So könnten Rotterdamer Gasunternehmen beispielsweise alte Verträge mit russischen Unternehmen haben, die eingehalten werden müssten. Die Ministerin erklärte, dass sie derzeit keine rechtliche Möglichkeit habe, gegen laufende Verträge vorzugehen. Sie verwiesauf die EU-Kommission in Brüssel, die ihrer Meinung nach die Tür für die Umgehung der EU-Sanktionen durch Russland einen Spalt weit offen gelassen habe. Nun bestehe Handlungsbedarf, diesen Spalt wieder zu schließen.

von unserem Korrespondenten Helmut Hetzel

Die Presse