Europas Gasspeicher sind zu fast 95 Prozent gefüllt. Am 21. Oktober findet die nächste Ausschreibung auf der Beschaffungsplattform Aggregate EU statt, um nichtrussisches Gas zu ordern.
Aggregate EU ist die Beschaffungsplattform der Europäischen Union, die den gemeinsamen Einkauf von nichtrussischem Erdgas ermöglicht. Durch Bündelung der Nachfrage sollten Haushalte und vor allem die energieintensive Industrie mit der Marktmacht der EU-27 im Hintergrund Zugang zu günstigerem Gas bekommen. Das war neben dem Finden neuer Lieferanten abseits der russischen Gazprom eines der Hauptziele. Jetzt, 17 Monate nach dem Start des gemeinsamen Beschaffungsprogramms, macht sich Ernüchterung breit. Denn die Initiative floppt.
Laut Financial Times (FT) sind im Rahmen der gemeinsamen Beschaffungsmaßnahme Aggregate EU, die auf dem Höhepunkt der Energiekrise und der explodierenden Preise nach Russlands Einmarsch in der Ukraine aus dem Boden gestampft wurde, nur schätzungsweise zwei Prozent des potenziellen Bedarfs gemeinschaftlich beschafft worden. Die Zeitung beruft sich auf Personen, die Zugang zu den unter Verschluss gehaltenen Daten hatten.
Vorbild Impfstoffbeschaffung
Vorbild für die Plattform war die erfolgreiche Koordinierung des Corona-Impfstoffeinkaufs. Die EU-Kommission schrieb jedem Mitgliedsstaat vor, dass die teilnehmenden Unternehmen vor Ort Bestellungen im Umfang von 15 Prozent der Gasspeicherkapazitäten des jeweiligen Landes erreichen müssen. In Österreich, das über eine Gesamtspeicherkapazität von etwas über 100 Terawattstunden (TWh) verfügt, wären das bis zu 15 TWh. Das entspräche Pi mal Daumen 1,5 Milliarden Kubikmeter. Allerdings: Der tatsächliche Kauf von Gas ist und bleibt eine freiwillige Angelegenheit der jeweiligen Unternehmen.
„Es war sehr schwierig, den Mechanismus zu konstruieren, weil es um Mengen und Preise geht und auch kartell- sowie wettbewerbsrechtliche Themen stark zu berücksichtigen sind“, sagte Oliver Dworak, Geschäftsführer des Energieinstituts der Wirtschaft, dem STANDARD. Dworak hat einst in der Wirtschaftskammer die Genesis von Aggregate EU hautnah miterlebt. Warum die Plattform nicht besser abheben könne, liege auch, aber nicht nur an dem sehr aufwendigen Registrierungsprozess, den interessierte Unternehmen durchlaufen müssen.
Aufwendige Registrierung
„Es ist nicht so, dass man sich anmeldet, online ein Formular ausfüllt und mit einem Hakerl darunter alles erledigt ist“, sagt Dworak. „Sowohl als Händler als auch als Verbraucher von Gas muss man verschiedenste Nachweise erbringen, Garantien, Sicherheiten und anderes mehr.“ Vielen Unternehmen sei das schlicht zu kompliziert und zu aufwendig, noch dazu, wo es bei vielen nur um vergleichsweise kleine Gasmengen gehe. „Die meisten Unternehmen haben fixe Lieferverträge mit ihren Stammlieferanten und können am Spotmarkt nur geringe Mengen zukaufen“, weiß Dworak. Auch das bremse letztlich den gemeinschaftlichen Einkauf.
Insgesamt brachte die Plattform im Vorjahr laut einem Papier der EU-Kommission Käufer und Verkäufer von Gas für einen Bedarf von insgesamt 43 Milliarden Kubikmetern zusammen. Letztlich wurde jedoch nur etwa eine Milliarde Kubikmeter tatsächlich vertraglich vereinbart, schreibt die FT unter Berufung auf Personen mit Zugang zum Datenmaterial.
Die niedrige Zahl löste eine Debatte über den Nutzen der gemeinsamen Beschaffung aus. Der Zeitpunkt ist pikant, hat doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprochen, Aggregate EU während ihrer nächsten Amtszeit auf kritische Materialien auszuweiten. „Wir müssen die Macht und Größe unseres Marktes nutzen, um die Versorgung sicherzustellen. Deshalb werde ich vorschlagen, unseren gemeinsamen Beschaffungsmechanismus auszuweiten, um über Gas hinaus auch Wasserstoff und kritische Rohstoffe einzubeziehen“, sagte von der Leyen in ihren im Juli veröffentlichten politischen Leitlinien für die nächsten fünf Jahre sinngemäß. Kommende Woche gibt es dazu einen zweitägigen Workshop in Athen.
Kritisch äußerte sich auch der EU-Rechnungshof. Es mangle dem Tool an Mehrwert und Marktversagen könne durch Aggregate EU nicht behoben werden.
Energieexperte Dworak möchte Aggregate EU nicht kleinreden. Die Plattform biete auch Nachfragern vergleichsweise kleiner Mengen Zugang zu günstigerem Gas. Einen Preisvorteil müsse es ja geben, sonst wären nicht Verträge abgeschlossen worden.
Europaweit haben sich dem Vernehmen nach weniger als 100 Unternehmen auf der Plattform registriert, in Österreich weniger als zehn, darunter OMV und Wien Energie, aber auch Unternehmen aus der Chemie- und Zementindustrie. Am 21. Oktober findet die nächste Ausschreibung statt, wobei der Bedarf bis spätestens 16. Oktober einzumelden ist.
Die Gasspeicher in Europa sind jedenfalls gut gefüllt, gemeinsame Beschaffung hin oder her. Europaweit liegen die Speicherstände Anfang Oktober bei durchschnittlich 94 Prozent, in Österreich nur knapp darunter.
Der Standard