Das Ende des Transitvertrags für russisches Erdgas durch die Ukraine rückt näher. Probleme drohen jetzt aber eher aus einer anderen Richtung.
Plötzlich soll es kein Problem mehr sein, dass spätestens ab Jänner kein Gas aus Russland mehr nach Österreich kommt. Wer derzeit in die heimische Gaswelt hineinhorcht, könnte den Eindruck bekommen, dass die Versorger locker auf die Lieferungen über die Ukraine-Pipelines verzichten können – obwohl sie dieser Tage noch immer rund 80 Prozent der Importe ausmachen. Die notwendigen Leitungskapazitäten durch Deutschland oder Italien für Gas aus Norwegen oder Flüssiggas (LNG) seien gebucht, heißt es unisono, und die Speicher über 90 Prozent gefüllt.
Tatsächlich ist in den vergangenen Monaten einiges passiert, was die Folgen eines Aus für Pipeline-Gas aus Russland mildern sollte. Nicht nur hat sich der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV – der noch bis 2040 einen Abnahmevertrag mit der russischen Gazprom hat – erneut etwa 40 Terawattstunden (TWh) nicht russisches Gas samt Transport gesichert. Kärntens Landesversorger Kelag vermeldete kürzlich, dass bereits seit Juli nur noch nicht russisches Gas an die Abnehmer geliefert und mehr eingespeichert werde. Die Salzburg AG hat ihren langjährigen bilateralen Vertrag für russisches Gas im März 2023 „nachhaltig beendet“, wie der Versorger betont. Die benötigten drei TWh Gas würden über direkte Verträge oder an der Börse in Österreich oder Deutschland beschafft, die Zusammensetzung entspreche damit „dem österreichischen Gasmix“. Zudem seien Gasverträge aus explizit nicht russischen Mengen ab 2025 abgeschlossen worden.
Auch die Wien Energie verspricht, ab 2025 ausschließlich nicht russisches Gas zu liefern. Der städtische Versorger, auf den mit 14 TWh fast ein Fünftel des österreichischen Jahresverbrauchs entfällt, hat allerdings noch einen längerfristigen Vertrag für Gas unbekannter Herkunft. Es soll über die Börse weiterverkauft werden.
Die oberösterreichische Energie AG kann nach Unternehmensangaben mittlerweile für 90 Prozent der Gasmenge für Haushalte und Gewerbe – rund 4,5 TWh – nachweisen, dass das Gas nicht aus Russland stammt. Der Rest werde über die Börse oder bei Händlern gekauft und da sei – mangels eines europäischen Herkunftsnachweises – die Herkunft unbekannt.
Nach Schätzungen wird etwa ein Drittel des Gasbedarfs der EU heute aus Norwegen gedeckt, dazu kommen Mengen aus Nordafrika und LNG aus dem arabischen Raum und – unter anderen Flaggen – Russland. Sämtliche Prognosen von der Regulierungsbehörde E-Control bis zur EU gehen seit Monaten davon aus, dass die Versorgung in Europa auch ohne russisches Gas gesichert ist. Selbst in noch stark abhängigen Ländern wie Österreich und der Slowakei und auch wenn der Winter sehr kalt wird, beruhigt der Gasmarktexperte und frühere E-Control-Vorstand Walter Boltz. Und Ungarn, das einzige Land, das weiter Gas aus Russland braucht, wird über die Türkei und den Balkan versorgt. Das Versiegen des russischen Gasflusses würde allerdings für einen neuerlichen Preisschub sorgen, sind sich die Marktkenner einig – wenn auch ein Teil schon als eingepreist gilt und niemand Ausschläge wie vor zwei Jahren erwartet.
Bernhard Painz, einer der beiden Vorstände des Gas-Übertragungsnetzbetreibers AGGM, kann die „große Entspanntheit“, mit der jetzt dem Auslaufen des Transitvertrags entgegengeblickt werde, nicht ganz nachvollziehen. „Es wird niemand erfrieren“, sagt er, aber eine erneute Verteuerung sei für Haushalte und Wirtschaft eine Gefahr. „Da kann man nicht lapidar sagen, die Preise werden noch ein bisserl steigen.“
Die Großhandelspreise sind in den vergangenen Tagen ohnehin schon wieder auf rund 40 Euro pro Megawattstunde nach oben gegangen, jedoch nicht wegen der Kämpfe in der Ukraine. Vielmehr stieg die Nervosität wegen der weiteren Eskalation im Nahen Osten: Denn wenn die Flüssiggas-Tanker die Häfen in Katar oder Abu Dhabi nicht verlassen können, treibt das die Preise, die angesichts der höheren Nachfrage in Asien schon angezogen haben. „Das zeigt, dass auch LNG ein Risiko sein kann“, sagt Painz.
Dass bis Jahresende noch eine Lösung für den Gastransit durch die Ukraine gefunden wird, sei „nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich“. Dem Vernehmen nach arbeitet die Slowakei an einem Projekt mit Gas aus Aserbaidschan. Nach Meinung von Painz könnten die ukrainischen Gaspipelines ein Ziel für Sabotage werden, sobald ein kommerzielles Interesse daran fehlt. Natürlich gebe es immer das Risiko, dass etwas passiert, warnt auch Boltz. Sollten etwa die wichtigen Leitungen aus Norwegen unterbrochen werden, wäre das „tatsächlich der Super-GAU“.
von Monika Graf
Salzburger Nachrichten