Über 200 Mrd. Dollar wurden in neue Anlagen investiert, um die hohe Nachfrage nach verflüssigtem Gas (LNG) wenigstens 2025 zu bedienen – und die Energiepreise zu senken. Daraus scheint so schnell nichts zu werden.
Für manche Länder können neue Gasquellen gar nicht schnell genug kommen, um von den hohen Energiekosten befreit zu werden, die die Industrie und Haushalte seit Langem belasten. Deutschland beispielsweise hat seit zwei aufeinanderfolgenden Quartalen kein Wachstum mehr verzeichnet, weil die Energiekrise seine Industrie ins Trudeln brachte. Und was Europa insgesamt betrifft, so hat es zwar in den vergangenen Jahren zwei außergewöhnlich milde Winter erlebt, aber für einige Gebiete werden in der jetzigen Saison tiefere Temperaturen vorhergesagt. Sollten diese eintreffen, könnten sie den Wettbewerb mit Asien um den Brennstoff verschärfen und zu Engpässen in Ländern führen, die sich den Brennstoff nicht leisten können.
Wo bleibt das Gas?
Dabei sollte eigentlich kein Versorgungsengpass bestehen. Schließlich wurden mehr als 200 Milliarden Dollar in vor Jahren vereinbarte Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas (LNG) investiert, die schon 2025 für ein Überangebot auf dem Markt sorgen sollten. Daraus scheint nichts zu werden. Warum ist das so? Wo hakt es?
Faktum ist, dass diese Projekte immer wieder verschoben werden, weshalb die globale Energiekrise sich zu verlängern droht. Verzögerungen von den USA bis Mosambik dürften wohl kaum eine baldige Entlastung bei den hohen Kraftstoffpreisen bringen.
„Der Markt versucht, in kurzer Zeit eine noch nie da gewesene Menge an neuen Kapazitäten aufzubauen. Das ist nicht leicht zu bewerkstelligen“, erklärt Ira Joseph, Fellow am Center on Global Energy Policy der Columbia University, gegenüber Bloomberg.
Für die Verzögerungen gibt es mehrere Gründe, darunter verlängerte Bauarbeiten an Verflüssigungsprojekten in Texas und Mexiko sowie westliche – vor allem US-amerikanische – Sanktionen, die die russische Anlage Arctic LNG 2 des Gaskonzerns Novatek aufhalten. Gleichzeitig steigt die weltweite Nachfrage, und es kommen neue Abnehmer ins Spiel, wie etwa Ägypten, das in diesem Jahr nach Produktionsproblemen und einem extrem heißen Sommer zum Nettoimporteur wurde.
Der Verbrauch wird im nächsten Jahr wahrscheinlich höher sein als 2024, was zum Teil auf eine allmähliche Umstellung auf Gas im Strom- und Verkehrssektor in Asien zurückzuführen ist, so Florence Schmit, Energiestratege bei der niederländischen Rabobank. Jegliche Aufstockung des Angebots in der zweiten Hälfte des Jahres 2025 könnte zu spät kommen, um mit der gestiegenen Nachfrage Schritt zu halten, fügte sie hinzu.
Prognosen gesenkt
Die Internationale Energieagentur (IEA) hat ihre Prognose für den Anstieg der LNG-Produktion im Jahr 2025 in einem Bericht von letzter Woche nach unten revidiert. Die weltweite Produktion wird bis 2025 auf knapp 580 Milliarden Kubikmeter steigen, so die Agentur in ihrem Quartalsbericht. Zuvor war sie von mehr als 600 Milliarden Kubikmetern ausgegangen.
Das Forschungsunternehmen Wood Mackenzie hat seine Schätzungen für das zusätzliche Angebot gegenüber den Berechnungen von vor sechs Monaten um etwa 16 Prozent gesenkt und geht davon aus, dass die Entlastung auch im folgenden Jahr begrenzt sein wird.
„Dies ist immer noch ein beträchtlicher jährlicher Anstieg, sodass der Preisdruck ein zentrales Thema für 2026 bleibt“, sagte Lucas Schmitt, Analyst bei WoodMac. „Allerdings ist der erwartete Preisrückgang aufgrund von Verzögerungen weniger ausgeprägt als zu Beginn des Jahres.“
Diffiziler Russland-Faktor
Zwar sind die aktuellen Gaskosten gegenüber den Spitzenwerten von 2022 deutlich gesunken, doch sind die Benchmark-Futures in Europa immer noch etwa doppelt so hoch wie vor der Krise, als der russische Gaskonzern Gazprom die Lieferungen über Pipelines nach Europa drosselte bzw. Europa selbst den Einkauf bei Gazprom radikal reduzierte – einmal abgesehen davon, dass auch die Ostseepipeline Nordstream mutmaßlich von ukrainischen Saboteuren mit Zustimmung der ukrainischen Staatsspitze gesprengt wurde, wie das „Wall Street Journal“ kürzlich in einer Recherche enthüllte. Die zunehmende Abhängigkeit von verflüssigtem Erdgas (LNG) ist für die hohen Benchmark-Futures teilweise verantwortlich, da Europa nun mit Käufern aus der ganzen Welt konkurriert und der Brennstoff an den Meistbietenden geht.
KI treibt Nachfrage und Preis
Darüber hinaus wird erwartet, dass die Nachfrage nach LNG bis zum Ende dieses Jahrzehnts erheblich ansteigen wird, da der Boom der künstlichen Intelligenz (KI) den Bedarf an stromhungrigen Rechenzentren erhöht. McKinsey & Co. geht davon aus, dass der KI-Bedarf bis 2030 ganze fünf Prozent des Strombedarfs in Europa ausmachen wird, während der Vermögensverwalter BlackRock davon ausgeht, dass der Energieverbrauch im asiatisch-pazifischen Raum in den nächsten zehn Jahren um etwa 50 Prozent steigen wird. Laut Bloomberg Intelligence könnte die Nachfrage des US-Stromsektors nach Gas bis 2030 um bis zu 30 Prozent gegenüber dem heutigen Stand steigen.
„Das LNG-Angebot ist nicht sehr stark gestiegen, aber die Nachfrage nach LNG hat zugenommen“, sagte Mark Simons, Leiter der Abteilung Gas- und Strombeschaffung beim französischen Öl- und Gaskonzern TotalEnergies, kürzlich auf einer Konferenz in London. Der Markt ist „ziemlich eng, und infolgedessen sind die europäischen Preise hoch, da sich die Händler Sorgen machen, wie es im Winter aussehen wird“.
Es stockt überall
In den USA, seit dem Ukraine-Krieg und der Marginalisierung von Gazprom einer der wichtigsten LNG-Lieferanten Europas, ist es unwahrscheinlich, dass über die derzeit genehmigten Projekte hinaus noch viele weitere Exportanlagen gebaut werden. Grund dafür sind einerseits die steigenden Baukosten und andererseits regulatorische Herausforderungen, die von Bidens LNG-Genehmigungspause bis hin zur Aufhebung von Genehmigungen durch Gerichte reichen.
Ein weiterer großer Produzent, Katar, will seine Exporte bis 2030 um mehr als 80 Prozent steigern, ist aber noch einige Jahre davon entfernt, die ersten zusätzlichen Tropfen Kraftstoff zu produzieren.
Kleinere Anbieter haben ebenfalls mit Gegenwind zu kämpfen. Die Angriffe der vom Islamischen Staat unterstützten Aufständischen haben ein Großprojekt in Mosambik zum Stillstand gebracht. Die Bemühungen, die Produktion in Papua-Neuguinea und Nigeria zu steigern, sind ebenfalls ins Stocken geraten, während einige ältere Anlagen weltweit mit Produktionsrückgängen zu kämpfen haben.
Händler profitieren
Für globale Händler wie TotalEnergies, die an weltweiten LNG-Projekten von den USA über Australien bis Angola beteiligt sind, bedeutet dies eine längere Phase hoher Preise, die die Handelsgewinne stützen.
„Es ist ein guter Markt, so wie er heute ist“, sagte Patrick Pouyanne, Chef von TotalEnergies, und bezog sich dabei auf das aktuelle Niveau der Gaspreise.
Für die Entwicklungsländer bedeutet dies jedoch, dass sie mit wohlhabenderen Ländern um teure Treibstoffladungen konkurrieren müssen. Ein Preisanstieg könnte demnach die Bemühungen von Ländern wie Pakistan und Thailand erschweren, sich die für die Versorgung der Wirtschaft benötigten Lieferungen zu sichern. Auch die Länder Malaysia und Indonesien werden als Nettoimporteure auf den Markt kommen, da ihre Reserven zur Neige gehen.
„Wenn die Nachfrage weiter steigt, weil sich die makroökonomischen Bedingungen verbessern und neue Nachfrageknotenpunkte wie Rechenzentren entstehen, könnte sich das Überangebot in den Jahren 2027 und 2028 vollständig auflösen“, mutmaßt Saul Kavonic, Energieanalyst beim australischen Forschungsunternehmen MST Marquee in Sydney.
Die Presse