Klimapolitik. Die Umweltministerin fordert EU-Maßnahmen ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner.
Wie sehr soll die EU bis zum Jahr 2040 ihren Beitrag zum Klimawandel verringern – und zwar verpflichtend, mit Geldbußen für jene Mitgliedstaaten, die nicht mitziehen? Die Europäische Kommission hat nur mehr zwei Monate Zeit, einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen, warnt eine Gruppe von elf Umwelt- und Klimaschutzministern in einem gemeinsamen offenen Brief. „Wir müssen auch für den Energiesektor einen verlässlichen politischen Rahmen für die Zeit nach 2030 schaffen“, hält die amtsführende Klimaschutzministerin, Leonore Gewessler (Grüne), gemeinsam mit ihren Amtskollegen aus Deutschland, Italien, Dänemark, Portugal, der Niederlande, Griechenland, Irland, Malta, Zypern und Luxemburg in diesem Schreiben fest, das sie als „Freunde der Erneuerbaren“ verfasst haben.
Beim Ratstreffen der Umweltminister am Dienstag in Luxemburg wird diese Frage diskutiert werden. Gewessler, die dann an einem ihrer letzten EU-Räte teilnehmen wird, hat diesen Vorstoß erneut nicht mit dem Koalitionspartner ÖVP abgesprochen, hieß es am Montag auf Rückfrage der „Presse“ aus dem Bundeskanzleramt. Das war bereits bei einem anderen offenen Brief so, den sie mit Amtskollegen unterschrieb, und in dem sie gesetzliche Maßnahmen zur vestärkten Aufnahme von Elektroautos in Europas Firmenwagenflotten forderte.
Türkisgrüne Koalitionsgegner
Dort wie hier handelt es sich um unverbindliche politische Wünsche an die Kommission. Anders als bei der Abstimmung über das Renaturierungsgesetz Mitte Juni in Brüssel, wo die Ministerin gegen den ausdrücklichen Wunsch der Volkspartei zustimmte und damit die hauchdünne Mehrheit für die Annahme dieser umwelt- und klimapolitischen Vorschrift ermöglichte, gibt es hier keine rechtlichen Folgen. Dementsprechend ertönte aus dem Kabinett von Bundeskanzler Karl Nehammer bei keinem der beiden offenen Briefe lauter Protest.
Die Stimmung zwischen den Koalitionspartnern, die bisweilen eher als Koalitionsgegner auftreten, lässt sich in der Dämmerung von Türkisgrün schwer anders denn als komplette Entfremdung beschreiben. Wirtschaftsminister Martin Kocher und Landwirtschaftsminister Georg Totschnig seien auch mit diversen Brüsseler Sololäufen vorgeprescht, rechtlich verbindlich sei das alles ohnehin nicht, wieso sollte Gewessler also nicht auf eigene Faust Initiativen starten?
In der konkreten Sache, nämlich der Frage danach, welche Etappe die Union auf dem Weg zu ihrem Endziel, im Jahr 2050 klimaneutral zu sein, im Jahr 2040 erreichen soll, enthält der Brief der „Freunde der Erneuerbaren“ kaum etwas, das die ÖVP erzürnen dürfte. Zur Erinnerung: Die EU hat sich verpflichtet, ihren Treibhausgasausstoß bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent zu senken, verglichen mit dem Basisjahr 1990.
Ehrgeiziges 90-Prozent-Ziel
Im Februar hatte die Kommission erklärt, dass das Ziel für 2040 eine Senkung von 90 Prozent sein solle. Diese Ankündigung bindet die Mitgliedstaaten allerdings nicht rechtlich. Sie ist nur der erste Schritt hin zu einer Verordnung, in der das 90-Prozent-Ziel zur Pflicht würde. Vier Monate vor der Europawahl, und inmitten des wachsenden Zorns der europäischen Landwirte über den Europäischen Grünen Deal, waren dieser Einigung der Kommission zähe interne Debatten vorangegangen.
Noch heuer muss, dem Wortlaut des Europäischen Klimagesetzes folgend, so ein verpflichtender Vorschlag der Kommission vorliegen. Die Zeit dafür läuft rasch ab. Denn die gegenwärtige Mannschaft der Europäischen Kommission führt mehr oder weniger nur mehr die laufenden Geschäfte. In drei Wochen beginnen die Anhörungen der neuen Kommissarskandidaten. Wenn die glatt laufen, könnte die neue Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen am 1. Dezember ihre Amtsgeschäfte antreten. Für ein so weitreichendes Gesetzesvorhaben wie die Festlegung der Senkung der Emissionen bis 2040 wären dann nur rund zwei Wochen Zeit, ehe das politische Personal der Union in die Weihnachtspause geht.
Zumal dieses 90-Prozent-Ziel sehr ambitioniert ist. Derzeit ist die Union erst ungefähr auf halbem Weg, um das Ziel der Senkung der Emissionen um 55 Prozent bis 2030 zu erreichen. Dieser Pfad fußt allerdings auf einigen Politiken, die zuletzt in starken Gegenwind geraten sind. Allen voran trifft das die komplette Elektrifizierung aller neu zugelassenen Autos ab 2035. Die damit verbundene Hoffnung war, dass es schon in den Jahren vor 2035 einen gleichsam erdrutschartigen Schwenk vom Verbrenner- zum Elektromotor geben werde. Das ist jedoch nach derzeitigem Stand der Dinge unwahrscheinlich.
Einfachere Genehmigungen
Der stockende Ausbau der grenzüberschreitenden Elektrizitätsnetze verhindert es zudem, dass beispielsweise Windstrom aus der wachsenden Zahl von Windparks in Nordeuropa ins Innere des Kontinents kommt. Der gemeinsame Brief fordert darum auch vestärkte Maßnahmen zum Ausbau der Netze, und der Vereinfachung von Genehmigungsverfahren für Projekte.
von unserem Korrespondenten Oliver Grimm
Die Presse