„Ist die Fledermaus wichtiger oder die voestalpine?“

17. Oktober 2024


APG-Chef Gerhard Christiner über lange Verfahren bei Stromprojekten, schlampige Politik und höhere Netzkosten für alle

Die Austrian Power Grid (APG) ist als Übertragungsnetzbetreiber für knapp 7000 Kilometer Stromleitungen in Österreich zuständig – auf den Spannungsebenen 110, 220 und 380 kV. Die OÖN trafen den technischen Vorstand und Vorstandssprecher, Gerhard Christiner, beim Energietag der Sparte Industrie der Wirtschaftskammer Oberösterreich zum Interview.

OÖNachrichten: Die Energiewende hängt auch vom Netzausbau ab. Die APG plant in den nächsten Jahren neun Milliarden Euro an Investitionen, womit ein Teil der Gesamtkosten auf dem Weg zu Österreichs Klimaziel 2040 abgedeckt wird. Geht sich das alles aus?

Gerhard Christiner: Die Frage ist: Geht sich die Energiewende zeitlich aus? Hinter dem Ziel, 2040 den gesamten Energiesektor dekarbonisiert zu haben, würde ich ein großes Fragezeichen setzen. 2030 den Stromverbrauch zu hundert Prozent aus Erneuerbaren zu decken, da sind wir auf einem guten Weg. Beim Photovoltaikausbau hat sich viel getan, bei Windkraft gab es zuletzt eine Seitwärtsbewegung, aber es kommt einiges. Das Entscheidende ist natürlich: Wie geht es weiter mit einer neuen Regierung? Die Dynamik bei den Erneuerbaren ist durch ein entsprechendes Fördervolumen zustande gekommen.

Was heißt das für die APG?

Wir haben die Verantwortung, das, was an Strom erzeugt, verbraucht, importiert und exportiert wird, im Gleichgewicht zu halten. Diese Balance ist eine große Aufgabe, der alles andere unterzuordnen ist. Man muss klar unterscheiden: Ausbau und Ziele erreichen auf der einen Seite, alles leistbar und versorgungssicher im System integrieren auf der anderen. Da sind die Hausaufgaben noch nicht gemacht.

Welche sind die wichtigsten Dinge, die erledigt werden müssen?

Ich glaube, dass die Politik die Dimensionen dessen, was zu tun ist, nicht antizipiert hat oder auch nicht die richtigen Informationen gehabt hat. Wenn es darum geht, ins Tun zu kommen, vermisse ich den Mut, den es beim Ausrufen der sehr ehrgeizigen Ziele gab. Wir brauchen Rahmenbedingungen auf gesetzlicher Ebene, die uns Projekte umsetzen lassen. Genehmigungsverfahren müssen schneller werden. Wir brauchen eine Priorisierung für Projekte, die die Energewende unterstützen. Es geht um das überragende öffentliche Interesse, das in der entsprechenden EU-Richtlinie steht, aber in Österreich nicht mehr umgesetzt wurde. Die Beschleunigung ist ein Muss, das haben wir in Linz gesehen.
Sie sprechen die Gerichtsverfahren bei der 220-kV-Stromleitung im Zentralraum an, die auch Voraussetzung für die Produktion grünen Stahls der voestalpine ist.

Das Projekt wurde deutlich verzögert. Auf der Gegenseite gibt es mittlerweile Anwälte, die das Verhindern von Projekten als Geschäftsmodell erkannt haben. Sie wissen, wo man einhaken muss. Die Gesetze geben keine Priorisierung vor. In Oberösterreich wurde gesagt, da sind Fledermäuse in der Au, und behauptet, das habe die APG nicht ausreichend untersucht. Dann liegt es an den Richtern, abzuwägen: Ist die Fledermaus wichtiger oder die voestalpine, die CO2-Emissionen im Ausmaß von fünf Prozent des österreichischen Ausstoßes reduzieren kann. So geht es uns in fast jedem Projekt.

Jetzt wurde es unter Schwarz-Grün nichts mit dem überragenden öffentlichen Interesse solcher Projekte. Glauben Sie, dass das in den nächsten Jahren besser wird?

Es muss besser werden. Die EU-Richtlinie hätte mit 1. Juli umgesetzt werden müssen. Es läuft deshalb wieder ein Strafverfahren gegen Österreich. Bei den Hausaufgaben sind wir sehr schlampig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns über den Rahmen hinwegsetzen wollen, der aus Brüssel kommt.

Im Sommer konnten Sie mit dem Bau des Stromrings im Zentralraum beginnen. Wie läuft es?

Alles ist auf Schiene, wir richten Zufahrten und Baustellen für Masten und Umspannwerke ein. Wir sind im Zeitplan, 2027 für die voestalpine, 2030 für das Gesamtprojekt.

Und die Investitionskosten?

Wir haben die Budgetierung noch einmal überarbeitet, es sind knapp 700 Millionen Euro. Wir gehen davon aus, das halten zu können.

Wie werden generell die hohen Kosten für den Netzausbau in Österreich in den nächsten Jahren aufgeteilt werden?

Dieses Thema gewinnt an Fahrt. Wir sind eine Tochter des Verbund, der in der Lage ist, die neun Milliarden Euro zu finanzieren. Bei den Verteilnetzbetreibern geht es um mehr als 20 Milliarden Euro, das ist für manche eine Herausforderung und eine Frage von Eigen- und Fremdkapital. Privates Geld wäre genug da, bei den Banken liegen 300 Milliarden Euro an Sichtgeld, also Cash. Es geht darum, einen Teil davon künftig in Infrastrukturprojekte zu leiten. Ich glaube, dass die Energiewende nicht an der Finanzierung scheitern wird. Die Frage ist die Zahler-Seite: Wie kann man ein Tarifmodell gestalten, mit dem man die Kosten verträglich auf unterschiedliche Kundengruppen umlegt.

Letztlich werden wir alle den Ausbau zahlen müssen. Auch wenn der Staat finanziert, zahlen wir am Ende über die Steuern. Es gibt viele mögliche Modelle, zum Beispiel, indem man die Kosten über Generationen verteilt. Wer was zu zahlen hat, ist letztlich eine politische Entscheidung. Wenn man solche Ziele vorgibt, muss man auch den Mut haben, zu sagen, was die Show kostet.

Wie stark steigen die Netzgebühren für Haushalte und Unternehmen nun konkret?

Heuer gibt es einen Anstieg von rund 20 Prozent. Die Frage ist eben, wie es weitergeht. Es könnte zu einer Verdoppelung kommen. Man muss aber auch bedenken: Wir leben von der abgeschriebenen Infrastruktur, die unsere Großeltern aufgebaut haben. Und wir überweisen jährlich rund zehn Milliarden Euro für Erdöl und Erdgas ins Ausland. Die Wertschöpfung des Netzausbaus im Land ist laut Studien sehr groß.

„Es gibt Anwälte, die das Verhindern von Projekten als Geschäftsmodell erkannt haben.“
Gerhard Christiner, technischer Vorstand der APG

Oberösterreichische Nachrichten