Reich, heiß – und gierig nach Strom

18. Oktober 2024, Wien

Energie. Die Nachfrage nach Öl sinkt noch vor 2030, sagt die IEA. Gleichzeitig braucht die Welt immer mehr (sauberen) Strom. Der Boom der Rechenzentren ist da nicht das größte Problem.

Die Nachricht ist Balsam für die Seele all jener, die zuletzt unter den hohen Energiepreisen gelitten haben: In den kommenden Jahren dürften die Preise für Erdöl und Erdgas kräftig sinken, erwartet die Internationale Energieagentur (IEA). In der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre würden demnach große Mengen an Öl und Flüssiggas auf den Markt kommen – und dort auf eine schwindende Nachfrage treffen, heißt es im jährlichen „World Energy Outlook“, den die Organisation am Mittwoch vorgestellt hat. Noch vor dem Jahr 2030 werde die Nachfrage nach Erdöl zu schrumpfen beginnen und das Erdölzeitalter endgültig vom Stromzeitalter abgelöst werden, so die Erwartung.

Schon in den vergangenen zehn Jahren ist die Nachfrage nach Elektrizität weltweit doppelt so schnell angewachsen wie der Energiebedarf insgesamt. Jedes Jahr werden etwa 1000 Terawattstunden (TWh) an Strom zusätzlich gebraucht. Das entspricht in etwa dem gesamten Bedarf Japans. Und das Tempo dürfte sich weiter beschleunigen, schreibt die IEA: In der kommenden Dekade wird der Hunger nach Elektrizität sogar sechs Mal so rasch wachsen wie die Energienachfrage in Summe.

Abkühlung frisst Energie

Die Elektrifizierung der Industrie, der Aufstieg der Elektroautos, der Energiehunger der Rechenzentren – all das sind bekannte Treiber des steigenden Strombedarfs. Aber es gibt auch weniger bekannte Gründe dafür, warum die Welt deutlich mehr Strom brauchen wird als bisher.

Auf einem Planeten, der durch den menschengemachten Klimawandel immer heißer wird und dessen Bewohner zusehends wohlhabender werden, dürfte nämlich der erwartete Boom der Klimaanlagen einen großen Einfluss auf das Energiesystem haben. Zur Einordnung: In hoch entwickelten Ländern wie den USA besitzen heute neun von zehn Haushalten eine Klimaanlage, in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern, die besonders unter dem Temperaturanstieg leiden, sind es noch unter zehn Prozent. Doch „die Kombination aus steigenden Einkommen und steigenden Temperaturen“ wird Klimaanlagen zum Massengut für alle machen und damit schon bis 2030 einen zusätzlichen Strombedarf von 679 TWh verursachen. Das ist drei Mal so viel, wie alle Rechenzentren bis dahin an Extrastrom brauchen dürften. Bis 2050 wird der Energiebedarf für Klimaanlagen gar um 280 Prozent steigen und 14 Prozent des gesamten Energiebedarfs in Gebäuden ausmachen.

Dieser Boom der Klimaanlagen ist potenziell problematischer als die stark wachsende Zahl an Rechenzentren, warnt die Internationale Energieagentur. Denn während diese oft regional konzentriert seien und einen gut vorhersehbaren Bedarf hätten, seien Klimaanlagen weit verstreut und können je nach Wetterlage stark schwankende Stromnachfrage generieren. Das wiederum dürfte die ohnedies belasteten Stromnetze zusätzlich unter Druck bringen.

Rekordzubau an Erneuerbaren

Immerhin die Hälfte des Stroms, den die Welt 2030 brauchen wird, dürfte dann bereits aus emissionsfreien Quellen stammen. Der CO₂-Ausstoß durch die Energieproduktion könnte sogar heuer schon seinen Höhepunkt erreicht haben. Zu verdanken ist das dem gigantischen Zubau von 560 Gigawatt an Erneuerbaren im Vorjahr, sechzig Prozent davon hat die Volksrepublik China umgesetzt. Das Land ist auf dem besten Weg, in sechs Jahren im Alleingang so viel Solarstrom zu erzeugen, dass damit theoretisch und bilanziell die gesamte US-Volkswirtschaft am Laufen gehalten werden könnte. Auch heuer investiert die Menschheit mit zwei Billionen US-Dollar fast doppelt so viel in saubere Energie als in Öl- und Gasprojekte. Zur Erreichung der globalen Klimaziele ist das aber immer noch zu wenig, warnt die IEA. Läuft alles weiter wie bisher, werden die Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,4 Grad steigen.

von Matthias Auer

Die Presse