Die Euphorie in Deutschland über die Möglichkeiten einer klimafreundlichen Wasserstoff-Wirtschaft ist vorbei. Verging noch vor zwei, drei Jahren kaum ein Tag, an dem nicht ein weiteres Unternehmen stolz neue Pläne ankündigte, so herrscht inzwischen vielfach Ernüchterung. Es folgen einige Fakten, woran es hakt:
Deutschland wettet in großem Stil auf die Zukunft von Wasserstoff: Bis 2032 soll ein rund 9.000 Kilometer langes Wasserstoff-Kernnetz errichtet werden. Es verbindet den Planungen zufolge alle Bundesländer und hat an den Grenzen 13 Knotenpunkte für den Import. Das Netz wird nach und nach ausgebaut – und das bestehende Netz an Erdgas-Leitungen dabei genutzt. Dieses macht rund 60 Prozent der Leitungen des Wasserstoffnetzes aus, die restlichen 40 Prozent werden neu gebaut. Die Kosten werden auf knapp 19 Milliarden Euro geschätzt. Ob auch genügend Wasserstoff vorhanden sein wird, ist allerdings offen. Sollte dies nicht der Fall sein, könnten die Pläne zu einem Milliardengrab werden.
In den vergangenen Monaten wurden bereits mehrere Wasserstoff-Leuchtturmprojekte auf Eis gelegt oder komplett abgesagt: Dänemark verschob Anfang Oktober Pläne für den Bau einer Pipeline für grünen Wasserstoff von der Westküste nach Norddeutschland um drei Jahre bis 2031. Es seien noch umfangreiche Umwelt- und Sicherheitsstudien notwendig, hieß es zur Begründung. Der norwegische Energiekonzern Equinor gab im September Überlegungen für eine Pipeline auf, die blauen Wasserstoff nach Deutschland bringen sollte. Die Kosten seien zu hoch, die Nachfrage zu schwach. Equinor und der deutsche Versorger RWE hatten Anfang 2022 eine Absichtserklärung zum Aufbau einer Wasserstoff-Lieferkette für deutsche Kraftwerke unterzeichnet.
Auch der verstaatlichte Energiekonzern Uniper tritt auf die Bremse. Bisher war das Unternehmen eine treibende Kraft hinter Wasserstoffprojekten. Langfristig soll das gesamte Gasgeschäft auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Aber die Nachfrage sei zu schwach, erläuterte Konzernchef Michael Lewis in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Uniper werde sein grünes Investitionsprogramm von acht Milliarden Euro über einen längeren Zeitrahmen bis Anfang der 30er-Jahre strecken.
Kein Unternehmen hat eine so hohe Förderzusage für den grünen Umbau seiner Produktion erhalten wie Thyssenkrupp. Rund zwei Milliarden Euro der Gesamtkosten von drei Milliarden Euro kommen vom Bund und dem Land NRW. Doch das könnte nicht reichen. Der Konzern kämpft mit Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Mit der neuen Anlage könnte Thyssenkrupp nach eigenen Angaben im reinen Wasserstoffbetrieb jährlich bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Offen ist allerdings, woher der Wasserstoff in solchen Mengen herkommen soll. Unklar ist auch, ob Stahlkunden wie die Automobilindustrie bereit sind, die zumindest am Anfang erwarteten Mehrkosten für den grünen Werkstoff zu zahlen, und an ihre Kunden weitergeben können. Vorstandschef Miguel Lopez hält eine Verschiebung der für 2027 geplanten Inbetriebnahme der Direktreduktionsanlage für möglich.
Deutschland wird den größten Teil des benötigten Wasserstoffs importieren müssen. Die Bundesregierung erwartet bis 2030 einen Importanteil von 50 bis 70 Prozent. Konkrete Lieferverträge gibt es bisher nur wenige. Als mögliche Lieferanten hat der Bund unter anderem Norwegen, Dänemark, Großbritannien, Länder Nordafrikas, Spanien, Kanada und Namibia im Blick. Die Regierung verweist darauf, dass es in der Hochlaufphase auch anderswo nicht genügend grünen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen gibt. Zunächst müssten in den Exportländern die nötigen Kapazitäten einschließlich der Pipeline- und Schiffstransporte für einen weltweiten grünen Wasserstoffmarkt geschaffen werden.
Es besteht kein Zweifel, dass der Einsatz von Wasserstoff zumindest zunächst teurer sein wird als herkömmliche Methoden. Ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln hat die Wirtschaftlichkeit der möglichen Nutzung des Energieträgers Wasserstoff in den Jahren 2030 bis 2045 untersucht. Dabei hat es die erwarteten Kosten mit denen konventioneller Verfahren in den Sektoren Industrie, Verkehr, Strom und Gebäude verglichen. Fazit: Bei den derzeit angenommenen Kosten des neuen Energieträgers würden sich viele der in den Szenarien unterstellten Anwendungen nicht rechnen. Die Lücke würde bei einer mittleren Preisentwicklung bis 2030 bei zwei bis zehn Milliarden Euro liegen.
APA/ag